Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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25. August 1835 Der erste Artikel des "Great Moon Hoax" erscheint in der New York Sun

The Great Moon Hoax – der große Mond-Schwindel. Das war eine Serie von sechs Zeitungsartikeln, die ab dem 25. August 1835 in der New York Sun erschienen. Sie berichteten über die Entdeckung von Leben auf dem Mond. Der skurrile Schwindel ist bis heute einer der bekanntesten der gesamten Mediengeschichte. Autor: Markus Mähner

Stand: 25.08.2021 | Archiv

25 August

Mittwoch, 25. August 2021

Autor(in): Markus Mähner

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Ach, es ist schon ein leidig Ding mit der Wahrheit! Alternative Wahrheiten – alternative facts, wie man Neudeutsch sagt – sind doch meist viel spannender.

Leben auf dem Mond

Das hat sich wohl auch Benjamin Day, der Herausgeber der "New York Sun", gedacht, als er am 25.August 1835 in seiner Zeitung eine neu Reihe startete.

Die Artikelserie enthüllte in sechs Folgen die Entdeckungen, die der britische Astronom Sir John Frederick William Herschel, Sohn des Uranus-Entdeckers Wilhelm Herschel, angeblich auf dem Mond gemacht hatte. Der belesene Zeitgenosse wusste: Herschel war gerade am Kap der Guten Hoffnung und blickte mit seinem Teleskop in den Nachthimmel. Aber dass die Entdeckungen so großartig ausfallen würden, hätte wohl niemand gedacht. Denn: Sir John hat auf dem Mond Leben entdeckt! Eine wunderschöne dunkelrote Blume! Und nicht nur das. Bisonartige Tiere, eine bleifarben schimmernde Ziege und – unglaublich, aber wahr – Biber, die auf zwei Beinen gingen, in selbstgebauten Hütten lebten und darin Feuer entzündeten!

Wer bis jetzt den Berichten aus Kapstadt noch folgte, der wurde im vierten Teil  mit einer Entdeckung belohnt, die manche schon zu träumen, aber nicht auszusprechen gewagt hatten: Menschenartige Lebewesen bevölkerten den Mond! Um genau zu sein: Der Vespertilio-homo, ein Fledermausmensch mit Flügeln, der die meiste Zeit philosophierend herumsaß und mit seinen Mit-"Menschen" friedlich über Raum und Zeit diskutierte. Tat er das nicht, so flügelte er spazieren oder nahm ein erfrischendes Bad.

Besser als die schnöde Wahrheit

Der Journalist Richard Adams Locke, dem die Autorenschaft an diesen Erzählungen zugeschrieben wird, sagte später einmal, er hätte sie als Satire und nicht als Tatsachenbericht geschrieben. Als Satire darauf, wie sehr religiöser Glaube die Wissenschaft beeinflusse. Die Denkrichtung auf die Locke abzielte, war die Naturtheologie, die besagte, dass alles in der Natur den allumfassenden göttlichen Plan widerspiegle. Und damit war klar: Ein Planet ohne Leben machte einfach keinen Sinn, denn alles was Gott wollte, war: Leben! Nicht nur Kirchenmänner wollten an den "Mann im Mond" glauben. Auch Leibniz, Carl Friedrich Gauss oder der Vater von Sir John, William Herschel, hielten Leben auf dem Mond für möglich.

Und die breite Öffentlichkeit – insbesondere die Leser der Sun – mochte erst recht an die rote Blume, den rauchenden Biber und den Fledermausmenschen glauben. Denn: Lieber eine gut erzählte und spannende Geschichte als die schnöde Wahrheit. Das war es, was der Leser damals (und vielleicht auch heute?) wirklich wollte. Und die "Sun" war die erste Zeitung, die diesen Wunsch bediente. Als erste Groschenzeitung war sie Vorreiter der Massenmedien und der "Great Moon Hoax" das erste Massenmedienereignis mit all seiner Dynamik: Leute auf der Straße wussten oft noch mehr Einzelheiten zu den bemerkenswerten Entdeckungen auf dem Mond beizusteuern. Und als der ganze Schwindel aufflog, war niemand wirklich überrascht und eigentlich auch keiner böse.


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