Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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15. Januar 1916 In Berlin startet der Expresszug nach Konstantinopel

Opulent, elegant, schnell und einfach Superlativ soll er sein, der neue Konkurrent des Orientexpresses: Der Balkanzug startet seine erste Fahrt von Berlin nach Konstantinopel denn auch unter jede Menge Presserummel. Richtig weltbewegend ist das Ganze aber dann doch nicht. Autor: Sebastian Kirschner

Stand: 15.01.2024 | Archiv

15 Januar

Montag, 15. Januar 2024

Autor(in): Sebastian Kirschner

Sprecher(in): Irina Wanka

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Zugausfälle, Verspätungen, defekte Klimaanlagen: Die Bahn hat es heute schwer, als Verkehrsmittel zu überzeugen. Schienenausbau, der vielerorts rückläufig ist. Preispolitik, die Preischaos gleicht. Bordverpflegung, die wie teurer Imbiss wirkt, statt wirklichem Restaurant. Was waren das für Zeiten, als verschwenderischer Luxus auch auf Schienen noch ein festes Zuhause hatte! Opulentes Dekor, exquisites Mobiliar, feinste Speisen und Tafelgeschirr.

Es durfte edelst und erlesen ...

Doch vorbei ist die Belle Époque an der Wende zum 20. Jahrhundert, als Fortschrittsglaube triumphierte, als Legenden auf Gleisen geboren wurden. Die Transsibirische Eisenbahn im Russland der Zaren, im luxuriösen Pullman-Schlafwagen quer durch die USA, unterwegs mit dem legendären Orient-Express, dem König der Züge. Oder mit …? Dem Balkanzug nach Konstantinopel? Von Berlin? Vonne Spree wech, wat?

Siehste ma, könnte knorke werden ...

Tatsächlich, am 15. Januar 1916 ist es so weit. Da startet der erste Balkanzug ab Anhalter Bahnhof, via Dresden, Prag und Budapest. Wie das kommt? Nun, wir befinden uns in der Zeit des Ersten Weltkriegs. Der von Frankreich und Belgien betriebene Orient-Express ist den Mittelmächten ein Dorn im Auge. Im Jahr 1916 beschlagnahmen sie daher seine Waggons. Und eben die fahren fortan als sogenannter Balkanzug weiter. Besser gut kopiert als schlecht selbst erdacht. Qualität made in – okay, lassen wir das lieber... Das bahnbrechend Neue am Balkanzug? "Die Sensation besteht allein in dem Ausbleiben sensationeller Zwischenfälle" – alles läuft wie immer, resümiert die Frankfurter Zeitung die Jungfernfahrt.
Dabei wird sie reichlich als Propaganda-Spektakel inszeniert. Zwei Dutzend Männer von der Presse sind da, berichtet ein Wiener Schriftsteller. Deren Job: Der Öffentlichkeit klar machen, wie bedeutend doch diese Fahrt ist.

In Dresden steigt der sächsische König zu, ein türkischer Prinz ist an Bord, der Großwesir mit dabei und auch der bulgarische Zar. Der Zug ausgestattet mit Gardinen, Kronleuchtern, preußisch blauen Polstern. Außen dekoriert mit Tannengirlanden und entlang der Strecke umjubelt von Schaulustigen. Dass dafür extra Schulklassen abgeordnet sind – wer nimmt das schon so genau.
Und noch etwas ist nicht ganz so gewöhnlich, wie es die Frankfurter Zeitung vermittelt. Es herrscht Krieg, die Streckenkontrollen sind streng. Zum einen sind Geheimagenten unterwegs. Daher brauchen alle Reisenden einen Pass mit Lichtbild und einen militärischen Passierschein. Zum anderen gelten militärische Entlausungsvorschriften derzeit auch für Zivilisten und gekrönte Häupter. Passagiere müssen nachweisen, dass sie ungezieferfrei sind. Der Luxus kennt wahrlich keine Grenzen!

Zweieinhalb Tage dauert die Fahrt im ersten Balkanzug. Kurz vor dem Ziel in Konstantinopel beschreibt ein Berliner Korrespondent die offenbar schon damals größte Sensation der Bahn: "Mit preußischer Pünktlichkeit kamen wir über die türkische Grenze". Fast schade, dass der Balkanzug im Oktober 1918 schon wieder eingestellt wird.


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