Bayern 2 - Das Kalenderblatt


0

20. September 2004 Yang Huanyi stirbt und mit ihr eine Sprache

Für die Genderforschung ist es klar: Frauen reden anders als Männer. Aber sie sprechen immerhin dieselbe Sprache meistens wenigstens. Nicht so in China. Da gab es bis vor wenigen Jahren Nushu, eine Geheimsprache nur für Frauen. Inzwischen ist auch die letzte Kennerin tot.

Stand: 20.09.2011 | Archiv

20.09.2004: Yang Huanyi stirbt und mit ihr eine Sprache

20 September

Dienstag, 20. September 2011

Autor(in): Petra Herrmann

Sprecher(in): Krista Posch

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Wer kennt sie nicht, diese Situation, in der man gerne dem Freund oder der Freundin etwas sagen möchte, was nicht gleich alle Umstehenden (die Eltern, Kollegen oder Nachbarn) verstehen sollen. Was haben wir da schon als Kinder gemacht? Wir haben eine Geheimsprache benutzt. Zum Beispiel die Bebe-Sprache: dubu bibist liebieb! Oder die Lefu-Sprache: I-lefi-ch hei-lefeiß-e- lefe Ha-lefan-na-lefan. U-lefund du-lefu? Bei besonders heiklen Gelegenheiten empfahl sich auch die Dehudefu-Sprache: Du-hudefu bist- istefist doof-oftefof!

Historische Geheimsprachen wie das Rotwelsche, die Sprache der fahrenden Handwerker und Gauner, sind in Deutschland fast ausgestorben. Übernommene Reste verwenden wir jeden Tag - wie den Bammel für Angst, den Barras fürs Militär, die Falle fürs Bett, den Feez für Spaß und das Geseire für Geschwätz. Die Sprachforschung widmet sich inzwischen aktuelleren Gegenständen wie zum Beispiel der speziellen Sprache der Frau im Gegensatz zu der des Mannes, wobei beide ja immerhin dieselbe sprechen.

In China gab es allerdings wirklich eine eigene, geheime Frauensprache. Leider starb sie vor genau vor genau 6 Jahren zusammen mit Yang Huanyi, die am 20. September 2005 von uns ging - wahrscheinlich in ihrem 95sten Lebensjahr. Yang Huanyi beherrschte Nushu, eine Sprache, die kein Mann in ganz China verstand. Eine alte Frau hatte sie ihr in ihrer Jugend beigebracht. Die schimpfte auf Nushu über ihre verschnürten Füße, arrangierte Ehen ohne Zuneigung und Hausdrachen in der Familie. Danach kicherten beide herzlich. Und ohne Gefahr, obwohl die Wände in den chinesischen Häusern so dünn waren wie Papier.

Nushu dürfte etwa vor 500 Jahren in einer abgelegenen Gegend der Provinz Hunan entstanden sein. Weil es den Frauen verboten war, lesen und schreiben zu lernen, erfanden sie heimlich eigene Wörter und Schriftzeichen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden konnte.

Entdeckt wurde Nushu erst vor rund 30 Jahren, da konnten es außer Yang nur noch wenige Frauen und die meisten alten Dokumente waren verbrannt. Wissenschaftler besuchten Yang Huanyi in ihrer Hütte. Sie lächelte und sagte: „Mit dem Schreiben verschwand unser Leid. Wer Nushu konnte, war nicht mehr allein mit seinen Sorgen.“

Die eingeweihten Frauen nannten sich "Schwestern im Schwur" und beherrschten raffinierte Techniken der Nachrichtenübertragung. Einen Papierfächer konnte man notfalls rasch zuklappen, zusammengefaltete Taschentücher enthielten Geheimbotschaften. Junge Frauen, die ihr Heimatdorf verlassen mussten und der Willkür des fremden Ehemanns und seiner Familie schutzlos ausgeliefert waren, bekamen oft ein Nushu-Buch als Hochzeitgeschenk. Mit einer Widmung der Freundinnen: "Mit uns an deiner Seite wirst du nie verzweifeln."

1 500 unterschiedliche Schriftzeichen und 20 000 Wörter machten es möglich, Trost zu spenden oder Dampf abzulassen. "Mein Mann sieht so klein und hässlich aus wie eine Ameise" befand eine Unglückliche und fühlte sich nach dem Niederschreiben dieses Satzes schon deutlich besser. Eine andere wagte gar festzustellen: "Sogar Tiere sind hin und wieder erregt, aber er ..."

Yang Huanyi hat gekichert, wenn sie so etwas las und gemeint: Seit die Frauen aus dem Haus gehen, um zu arbeiten, und sich ihre Männer selbst suchen, werde diese Sprache vergessen.
Aber wer weiß: vielleicht brauchen die chinesischen Frauen bald wieder ein Nushu - befreit zur Ein-Kind-Familie und zwangsemanzipiert zu einem harten Berufsleben, das ihnen auch samstags und sonntags frohes Schaffen abverlangt. In einer offiziell kommunistischen Welt, die nach frühkapitalistischen Gesetzen funktioniert. Ob´s da viel zu kichern gibt?


0