Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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14. Januar 1897 Matthias Zurbriggen besteigt den Aconcagua

Die Bergwelt hatte noch weiße Flecken auf der Karte, aber kantige Männer wie der Schweizer Bergbauernsohn Matthias Zurbriggen waren schon mit Eispickeln und Steigeisen unterwegs. Am 14. Januar 1897 bestieg er als Erster den Aconcagua, den höchsten Berg der Anden.

Stand: 14.01.2011 | Archiv

14 Januar

Freitag, 14. Januar 2011

Autor: Markus Mähner

Sprecherin: Ilse Neubauer

Redaktion: Thomas Morawetz / Wissenschaft und Bildung

Es ist wohl der Traum eines jeden Bergsteigers: In einem Tal stehen, den Blick schweifen lassen über Schnee-, Fels- und Eisriesen, alle noch unberührt, und sich zu fragen: "Na, welche Erstbesteigung mache ich denn heute?"

Liest man Erinnerungen von Bergpionieren des 19. Jahrhunderts, fühlt man, wie groß und weit damals die Welt noch erschien. Von einer Erstbesteigung zur nächsten, oft unter Lebensgefahr und ständig mit der Last beschäftigt für einen neu erklommenen Berggipfel einen wohlklingenden Namen im Handgepäck dabei zu haben. Solche Abenteuer waren natürlich nur die Sache von wenigen verwegenen und wilden Gestalten! Der wohl verwegenste unter ihnen hieß Matthias Zurbriggen.

Zurbriggen: Ein Bergführer wie aus dem Bilderbuch: Gerade mal einen Meter achtundsechzig groß, nicht dick, aber von kräftiger Statur. Vollbart! Knielange Bergsocken über der Lederhose. Lodenjacke und breitrandiger Hut. In der einen Hand einen langen Eispickel, mit dem er wohl schon manchen abenteuerlustigen Lord aus Gletscherspalten und Lawinen herausgeholt hat. In der anderen Hand die obligatorische Pfeife, die jedes Mal Zurbriggens Gipfelglück vervollständigte. Kräftige Oberarme, mit denen er seine Kundschaft auch schon mal in die Realität zurückholte - so zum Beispiel geschehen im Eissturm am Matterhorn. Da hat er seinen Schützling mit einer Watschentirade wieder ins Tal hinuntergetrieben. Ungewöhnlich waren seine Methoden manchmal, aber gemocht haben ihn seine Kunden alle.

So zum Beispiel Edward Fitzgerald, dem Zurbriggen schon das ein oder andere Mal die vor Kälte abgestorbenen Füße massierte, bis der gute Herr wieder Leben in seinen Gliedmaßen fühlte. Ein anderes Mal musste eine hohe Steilstufe überwunden werden und es blieb nichts anderes übrig, als dass Fitzgerald dem kräftigen Bergführer auf die Schultern stieg. Dass er dabei vergaß, die Steigeisen abzunehmen, daran konnte sich Zurbriggen noch lange erinnern.

Die allerdings haarsträubendste Geschichte ereignete sich in Neuseeland am Mount Sefton: Fitzgerald stößt an einen losen Felsbrocken. Der kommt ins Fallen und reist den Engländer mit in die Tiefe. Zurbriggen packt gerade noch das lose Seilende, lässt es durch seine Hände gleiten und bremst so den Sturz des Bergkameraden langsam ab. Dabei erleidet er schreckliche Verbrennungen an den Händen. Als beide wieder sicheren Boden unter den Füßen haben, sehen sie, dass das Seil von dem Felsbrocken fast durchgeschlagen worden ist. Fitzgerald hing also am seidenen Faden - im wahrsten Sinne des Wortes!

Die Bergtour brechen sie trotzdem nicht ab! Gerade mal mit dem Leben davongekommen, entscheiden sie sich nach einer Cognac-Pause den Gipfel doch noch zu besteigen. Oben gibt es dann die erlösende Pfeife.

Drei Jahre später starten die beiden ihr größtes Unternehmen: die Besteigung des Aconcagua, des höchsten Bergs der Anden und somit des gesamten amerikanischen Kontinents. Doch dort muss Zurbriggen seine Gipfelpfeife alleine genießen: Fitzgerald gibt 500 Meter unterhalb des Gipfels auf. Aus tiefster Verbundenheit erlaubt der englische Lord seinem Schweizer Bergführer den Ruhm der Erstbesteigung des Aconcagua alleine einzuheimsen - eine einmalige Angelegenheit in der Geschichte des Bergsteigens. So kommt es, dass ein armer Bauernsohn den höchsten Berg Amerikas - und den damals bisher überhaupt höchsten bestiegenen Berg weltweit - im Alleingang gemacht hat. Stattgefunden hat dies am 14. Januar 1897.


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