Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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5. Dezember 1858 Münchner Marionettentheater wird eröffnet

Josef Leonhard Schmidt war ein kleiner Kanzleiangestellter und träumte von einem ständigen Marionettentheater in München. Am 5. Dezember 1858 ging schließlich zum ersten Mal der Vorhang hoch und präsentierte den Kasperl Larifari.

Stand: 05.12.2011 | Archiv

05.12.1858: Münchner Marionettentheater wird eröffnet

05 Dezember

Montag, 05. Dezember 2011

Autor(in): Brigitte Kohn

Sprecher(in): Krista Posch

Redaktion: Thomas Morawetz

Die Welt braucht Büros und Behörden, das ist klar. Ohne sie würde sie ins Chaos stürzen und viel zu wenig Arbeitsplätze bieten. Wer einen hat heutzutage, träumt vielleicht gelegentlich davon, ein Café zu eröffnen oder ein Buch zu schreiben, tut aber meist nichts dergleichen, sondern füllt seinen Urlaubsantrag aus und ist in zwei Wochen wieder da.

Gehorsamste Bitte um gnädige Begutachtung

Doch vereinzelt gibt es Leute, die lassen sich ihre verrückten Ideen nicht austreiben, von keinem Amtsschimmel der Welt, nicht einmal vom königlich-bayerischen aus dem 19. Jahrhundert. Josef Leonhard Schmidt, Jahrgang 1822, war so eine von den Musen geküsste bayerische Beamtenseele, von denen es wahrscheinlich mehr gibt, als man glaubt. Er arbeitete als kleiner Kanzleiangestellter in München für vierzig Kreuzer Tageslohn. Aus der Chorsängerkarriere seiner Jugendträume war mangels Geld und Stimme nichts geworden. Aber Schmid träumte beim Aktenwälzen einfach weiter, diesmal von einem eigenen Marionettentheater. Träumte und schrieb der hohen Schulkommission von München einen Brief mit der "gehorsamsten Bitte um die gnädige Begutachtung zur Errichtung eines ständigen Marionettentheaters für Kinder".

Die Schulkommission hielt nichts davon, noch unfertige und ungezügelte Untertanen gesondert zu bespaßen, und bewilligte nichts. Schmid, der schon wusste, dass Strippenziehen nicht nur Holz-Marionetten in Bewegung setzt, fasste sich ein Herz und schrieb an den Grafen Franz von Pocci. Der hatte ein hohes Amt am Königshof und war ein vielseitig begabter Freizeitkünstler, unter anderem dichtete er Kasperlstücke. Er ließ sich von Schmids Idee begeistern, und plötzlich lief alles wie Butter in der Sonne, die Spielerlaubnis traf ein, und am 5. Dezember 1858 ging zum ersten Mal der Vorhang hoch.

Wenn's sein muss auch den nackten Hintern

Die Münchner lernten den Kasperl Larifari kennen, die originellste und lebenskräftigste Figur aus Graf Poccis Schaffen mit tiefen Wurzeln in der Volkskultur. Als versoffener, verfressener Langschläfer hielt er dem Nützlichkeitsdenken, den bürokratischen Apparaten, der pompös versteinerten Kunstszene seiner Zeit sein loses Mundwerk entgegen - und wenn's sein muss auch mal den nackten Hintern.

Die Sache lief und war ein Erfolg. Warum der reiche Graf Pocci den kleinen Angestellten Schmid so bedingungslos unterstützte, weiß bis heute keiner so genau. Wahrscheinlich weil er selbst so eine geknebelte Beamtenseele war, zutiefst genervt von den höchsten und höchst intriganten Kreisen, in denen er sich beruflich bewegte, angewiesen auf jede Möglichkeit, seiner Kasperlnatur die Zügel schießen zu lassen, ganz wie Josef Leonhard Schmid. Den übrigens alle bald nur noch Papa Schmid nannten, weil er den Kindern so nahe war und bis ins hohe Alter, nach seiner Pensionierung mit ganzem Einsatz, für sein Theater lebte.

Die Stadt München errichtete ihm im Jahre 1900 ein eigenes Haus,  das Marionettentheater in der Blumenstraße, weltweit der erste feste Bau für ein Theater dieser Art und heute noch in Betrieb. Papa Schmid und Graf Pocci hatten Theatergeschichte geschrieben. Ja, die Leidenschaft trägt Menschen weit - weiter als der stärkste Amtschimmel.


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