Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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1. Dezember 1866 Sir George Everest stirbt

8848 Meter - der höchste Berg der Welt, benannt nach einem britischen Offizier. 101 Jahre vergingen, bis der höchste Punkt des Everest erstmals bestiegen wurde. Autorin: Isabella Arcucci

Stand: 01.12.2016 | Archiv

01 Dezember

Donnerstag, 01. Dezember 2016

Autor(in): Isabella Arcucci

Sprecher(in): Caroline Ebner

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Der Engländer Maurice Wilson war am Ende. Er hatte im 1. Weltkrieg ein schweres Trauma und eine üble Schussverletzung erlitten - und in der Liebe sowieso nur Pech. Dazu kamen jetzt Tuberkulose und ein Nervenzusammenbruch. Doch plötzlich wurde Wilson klar: er war vom Schicksal  auserwählt! Er, Maurice Wilson, würde als erster Mensch den höchsten Berg der Erde besteigen, den Mount Everest!

Ein Held und sein "ewiger Kampf"

Bergsteigerische Erfahrung besaß er nicht, aber Willenskraft. Tagelang hatte er gefastet und gebetet, um Lunge und Geist zu heilen.  Als ihm in diesem Zustand der spirituellen Bewusstseinserweiterung ein Zeitungsartikel über die am Everest verschollenen Bergsteiger Mallory und Irvine in die Finger kam, war Maurice Wilson nicht mehr in seinem tuberkulösen Krankenbett zu halten. Schlagartig war er gesund und machte sein Gipfelstürmer-Vorhaben in ganz England publik. Die englische Presse, immer für einen auflagenstarken Spaß zu haben, bekräftigte Wilson auch sogleich in seiner eigenen Überzeugung, dass er ein Held sei! Und so flog der Brite, im Jahr 1934, Richtung Himalaya und zwar alleine, in seinem eigenen Doppeldecker, den er "Ever-Wrest", "ewiger Kampf" nannte, in Anspielung an den zu bezwingenden Berg, den Mount Everest.

Und da lag auch schon Wilsons erster Fehler. Denn auf Nepali heißt der mit 8848 m höchste Berg der Welt gar nicht Everest, sondern Sagarmatha, die "Stirn des Himmels" und auf Tibetisch Qomolangma, "Mutter des Universums". Im Glauben der Himalaya-Völker waren die Berge Gottheiten, auf deren Gipfeln man nicht  rum kraxelt, sondern die man verehrt. Die Europäer jedoch wollten erforschen und erobern.

Der "Berg der Abendruhe"

Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die Royal Geographic Society im Jahr 1857 den höchsten Berg der Welt "Everest" benannt hatte, nach Sir George Everest, einem gesetzten Herrn, der als Geometer lange Jahre unter anderem die Vermessung Indiens geleitet, die Meridiangradmessung vollendet und sich durch zahlreiche Tropenkrankheiten die Gesundheit ruiniert hatte - alles zum Ruhme des Empire! Als Sir George Everest damals erfuhr, man wolle den höchsten Berg der Welt nach ihm benennen, gab er zu Bedenken, dass die Inder seinen Namen nicht korrekt aussprechen könnten. Doch auch die Engländer konnten es nicht. Sir George hieß nämlich gar nicht "Everest". Sein Name sprach sich eve-rest aus, poetisch übersetzt etwa "Abendruhe".

Sir George Everest sollte nicht mehr miterleben, wie die Menschheit zum Sturm auf jenen Bergriesen ansetzte, der seinen verballhornten Namen trug. Er starb am 1. Dezember 1866. Sir George Everest, dieser wahre Held des Empire, liegt in England begraben - im Gegensatz zum armen, dummen Helden Maurice Wilson. Den Gipfel des höchsten Berges der Welt erreichte der nie. Er starb, vermutlich an Entkräftung, auf einer Höhe von 6400 m. Dort liegt seine Leiche noch heute, so wie auch die Körper zahlreicher anderer mutiger und übermütiger Gipfelstürmer, die hier im Eis ihre letzte Ruhe fanden. Am Mount Everest, dem "heiligen Berg der Abendruhe".


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