Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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1. Dezember 1911 "Jedermann" uraufgeführt

Sein letztes Stündlein schlägt, er hört die Glocken und den Ruf seines Namens: "Jee-der-ma-nn!" Am 1. Dezember 1911 erlebte Hugo von Hofmannsthals schaurige Allegorie auf die Vergänglichkeit des Menschen ihre Uraufführung.

Stand: 01.12.2011 | Archiv

01 Dezember

Donnerstag, 01. Dezember 2011

Autor(in): Gabriele Bondy

Sprecher(in): Andreas Wimberger

Redaktion: Thomas Morawetz

Die Welt war im Umbruch - und auch das Theater benötigte eine Erneuerung. Die jungen Bühnenschaffenden in Deutschland und Österreich zu Beginn des 20.Jahrhunderts sahen ihre Aufgabe darin, auf die gewaltigen gesellschaftlichen Veränderungen zu reagieren, die durch das fortschreitende Maschinenwesen, die wachsende Massenproduktion und die damit verbundenen individuellen und sozialen Fragen entstanden waren. Das damals vorherrschende naturalistische Theater vermochte seinen Zuschauern die innere und äußere Misere zwar drastisch vor Augen zu führen, doch viele empfanden das fast sklavisch übernommene Bild der Wirklichkeit recht trist und wenig zukunftsweisend.

Abstruse Geschichte

Aus dieser Sackgasse konnte nur ein experimentierfreudiger, ideensprühender und dazu mit solidem künstlerischem Wissen ausgestatteter Theatermensch wie der Österreicher Max Reinhardt heraushelfen. Ihm schwebte ein Volkstheater der besonderen Art vor, "das den Menschen wieder Freude gibt, das sie ... über sich selbst hinausführt in eine heitere und reine Luft der Schönheit." Sein Theater sollte kein "Erbauungs- und Bildungstheater" sein, sondern rauschhaftes Gesellschaftserlebnis, Fest, Kult, Ritual und Provokation in einem. Deshalb taugten für seine "Arenaspiele" Themen, die tief in der Volksseele verankert waren. Urstoffe wie beispielsweise  Goethes "Faust" und - dann eben das Drama "Jedermann", das Reinhardts Landsmann und Zeitgenosse Hugo von Hofmannsthal verfasst hatte.

Über acht Jahre war der Dichter mit diesem Projekt beschäftigt gewesen, für das ihm ein englisches Mysterienspiel aus dem 16.Jahrhundert ebenso als Vorlage diente, wie die mittelalterliche "Comedi vom sterbend reichen Mensch" des Hans Sachs. Im "Jedermann" wird, wie moderne Kritiker befinden mögen, die recht abstruse Geschichte eines egozentrischen Mannes erzählt, der seine Bediensteten ausbeutet, hartherzig auf Bedürftige reagiert, seine alte Mutter vernachlässigt, herumhurt, von einem Gelage zum nächsten taumelt und jede Gelegenheit wahrnimmt, um seinen Reichtum zu vergrößern.

Ein Ungläubiger, der erst zu sich kommt, als sein letztes Stündlein geschlagen hat, das sich durch nur für ihn hörbares Glockenläuten und den schaurigen Ruf seines Namens ankündigt - "Jee-der-ma-nn". Ihre Uraufführung erlebte diese Allegorie auf die Vergänglichkeit des Menschen am 1. Dezember 1911 unter der Regie Max Reinhardts im Berliner Zirkus Schumann.

Gutes Publikum?

Seit 1920 wird das Mysterienspiel, das längst zu den berühmtesten und meistgespielten deutschsprachigen Stücken zählt, bei den von Max Reinhardt, Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss gegründeten "Salzburger Festspielen" gegeben. Ort der Handlung: der Salzburger Domplatz, wo sowohl der Dom als auch "das Brausen der Orgel und das Läuten sämtlicher Kirchenglocken ins Spiel einbezogen werden." Ein Publikumsmagnet, der Jahr für Jahr Tausende in seinen Bann zieht.

Doch ob es sich dabei durchweg um ein in Reinhardts Sinne "gutes Publikum" handelt? Das nämlich - so der legendäre Theatermann - setze sich keinesfalls aus solchen Zuschauern zusammen, die "gewöhnt seien, selbst im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen." Reinhardts Bestreben war es zudem, Volkstheater für jedermann und jedefrau zu niedrigen Eintrittspreisen zu bieten.


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