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Kommentar Merkels Appell in der Corona-Krise

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich am Wochenende mit einer Video-Botschaft zur Corona-Pandemie an die deutsche Bevölkerung gewandt. Darin zeigt sie sich ungewöhnlich emotional, meint BR-Kommentator Ingo Lierheimer.

Von: Ingo Lierheimer

Stand: 19.10.2020

Angela merkel bei Videobotschaft | Bild: Bayerischer Rundfunk 2020

Entscheidungsfreudig war Angela Merkel in den 15 Jahren ihrer Kanzlerschaft selten: Der Atomausstieg nach Fukushima und die Hilfe für die Flüchtlinge 2015 sind bemerkenswerte Ausnahmen. Ansonsten fiel die CDU-Politikerin gerne dadurch auf, dass sie abgewartet hat, welche Seite der Medaille sich für sie persönlich und durchaus auch für die Gesellschaft jeweils als die richtige herausstellte, um sich dann für diese zu entscheiden. Jetzt, in der Pandemie, ist das anders.

Dritte Ansprache seit Beginn der Pandemie

Merkel hat nicht gezögert, nicht gezaudert. Sie hat sich früh entschieden. Für den Schutz der Schwachen, für den Schutz des Lebens. Ungünstig für sie, dass die Entscheidungshoheit für viele Maßnahmen bei den Bundesländern liegt. Also hat sie versucht zu moderieren, die Ministerpräsident*innen zusammenzubringen. Und hat dabei ihr Amt und ihre Person in die Waagschale geworfen: Mit ihrer ersten Fernsehansprache direkt an die Bevölkerung überhaupt Mitte März, mit einer zweiten als Regierungserklärung im Bundestag und jetzt mit ihrem Video-Podcast.

Ungewöhnlich emotionale Worte

Gemein haben alle drei Auftritte, dass Merkel jeweils nicht nur sachlich-nüchtern agierte, sondern sich auch emotional-appellierend an die Bevölkerung wandte. Zuletzt nur drei Tage, nachdem sie die Länderchefinnen und Länderchefs fassungslos im Kanzleramt zurückgelassen haben. Wo sie Kindergarten gespielt haben, mit dem Finger jeweils auf andere gezeigt haben oder sich trotzig zurückgezogen haben nach dem Motto: wenn der das nicht macht, mache ich’s auch nicht. Stichworte: Beherbergungsverbot und restriktivere Kontaktbeschränkungen.

Der Förderalismus ist nicht das Problem

Bundeskanzlerin Angela Merkel (M), Markus Söder (r, CSU), Ministerpräsident von Bayern, und Michael Müller (SPD), Bürgermeister von Berlin.

Um das deutlich zu sagen: Das Problem ist nicht der Föderalismus. Das Problem sind seine Vertreterinnen in den Staatskanzleien. Natürlich gibt es regionale Besonderheiten. Die Infektionszahlen in den östlichen Bundesländern oder in Mecklenburg-Vorpommern sind völlig andere als in Bayern, Berlin oder Nordrhein-Westfalen. Also ist es doch ein Vorteil des föderativen Systems, hier auch angepasst und angemessen reagieren zu können. Aber in der Kommunikation müssen die Regierungschefs klar sein, eindeutig, mit unmissverständlichen Botschaften. Wenn es, worauf Virologen und besonnene Politiker zurecht hinweisen, jetzt auf die Mitwirkung aller ankommt, dann müssen auch alle wissen, was Sache ist. Und keinen partei- und karrierepolitischen Streit vorgeführt bekommen, der vor allem eines bewirkt: die Bevölkerung zu verunsichern oder noch schlimmer: sie gleichgültig zu machen.

Tauziehen der Mächtigen

Fast immer mit dabei beim Corona-Maßnahmen-Tauziehen ist der Bayerische Ministerpräsident: Söder gegen Laschet, Söder gegen Müller und sowieso immer Söder gegen Ramelow. Sollte Söder tatsächlich Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur haben, schadet er sich mit seiner Rauflust im Rest der Republik mehr als ihm dann lieb sein kann. Aber auch für alle anderen gilt trotz sechs bevorstehender Landtags- und einer Bundestagswahl im nächsten Jahr: Mehr Merkel bitte.


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