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Kommentar zu Corona-Protesten Der Luxus der Demokratie

Vom Bundespräsidenten, über den Bundestagspräsidenten, bis hin zu Bundesministern und Vertretern der Opposition: Die Empörung ist groß in weiten Teilen des politischen Berlins über die Vorfälle vom Wochenende, als Demonstranten die Absperrungen vor dem Reichstagsgebäude durchbrachen und die Treppen zum Haupteingang hinauf stürmten. Kommentatorin Susanne Betz findet: das war schamlos.

Von: Susanne Betz

Stand: 31.08.2020

29.08.2020, Berlin: Teilnehmer einer Kundgebung gegen die Corona-Maßnahmen stehen auf den Stufen zum Reichstagsgebäude, zahlreiche Reichsflaggen sind zu sehen. Foto: Achille Abboud/NurPhoto/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ | Bild: dpa-Bildfunk/Achille Abboud

Was für ein Luxus: während der russische, vermutlich vom Geheimdienst seines eigenen Landes vergiftete, Regimekritiker Nawalny in der Charité um seine körperliche und geistige Genesung kämpft und in Minsk Menschen, die friedlich gegen den mutmaßlichen massiven Wahlbetrug in Belarus demonstrieren, verhaftet und gefoltert werden, reizte in Berlin eine kleine, laute Minderheit die Rechte in unserer liberalen Demokratie schamlos aus.

Eine kleine, laute Minderheit läuft Sturm

Erstens ist dem makabren Pulk aus dekadenten Impfgegnern, Verschwörungs-Praktikern und aggressiven Rechtsextremisten das Grundrecht auf Leben, sprich die Sicherheit von Mitbürgern, nichts wert. Dass Freiheit auch immer eine Freiheit zu etwas ist - nämlich Masken zu tragen und Abstände einzuhalten - passt nicht in solch ein egozentrisches Politikverständnis. Zweitens hat ein Teil dieser kleinen, lauten Minderheit mit seinem Sturm auf das Gebäude des Deutschen Bundestages, sowie das Schwenken der Reichsflagge deutlich gezeigt, dass es dem System Demokratie an den Kragen gehen soll.

Lächelnder Staatspräsident in Russland

Wladimir Putin wird sich die Hände reiben: der russische Staatspräsident, autokratisches Idol der Ultrarechten hat einen langen Arm zum Front National in Frankreich und zur AFD in Deutschland. Er mag Disruption im Westen. Diejenigen, die am Wochenende in Berlin randalierten, würden in Putins Reich mit Tränengas traktiert und für längere Zeit von der Bildfläche verschwinden. Dass sich der Organisator, der Anti-Corona-Regeln-Demo, der Stuttgarter IT-Unternehmer Michael Ballweg, gestern von den Randalierern distanzierte, ist scheinheilig. Er wusste seit dem 1. August, wer mit ihm Seite an Seite marschiert: Antisemiten, Reichsbürger, Identitäre.

Die Demokratie muss sie gegen Angreifer wehren

Ein Mann wird bei einem Protest gegen die Corona-Maßnahmen vor der Siegessäule von Polizisten abgeführt.

Auch die letzten der besorgten Bürger sollten jetzt aus ihrer Fahrlässigkeit aufwachen. Trotzdem wird es wahrscheinlich zu einem heißen Herbst mit weiteren Großdemonstrationen kommen. Das einzige Rezept: das Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit gewähren, aber jegliche Ausschreitungen scharf ahnen. Auch eine Demokratie kann sich gegen Angreifer werden, wenn auch mit ihren eigenen, politisch klugen und durch und durch rechtsstaatlichen Methoden.


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