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Zur Eröffnung der 42. Passionsspiele in Oberammergau "Jesus muss lauter werden!"

Was heißt Auferstehung für uns? Könnte Jesus die Menschen heute noch mitreißen? Wie würde er auftreten? Fragen, die Christian Stückl, Spielleiter der Oberammergauer Passionsspiele auch persönlich umtreiben. Er will einen Jesus auf die Bühne bringen, der laut seine Stimme erhebt für die Schwachen, gegen Armut, Diskriminierung, Gewalt und Vertreibung.

Von: Christine Gaupp

Stand: 11.05.2022 | Archiv

"Es gibt kaum Orte,  wo so viele Leute quer über die Generationen 'per du' san, wie hier auf der Bühne. Wenn man bei den Proben in die Garderoben oder in die Kantine geht, wuselt alles durcheinander - von 90 bis zum Babyalter"

Walter Lang, 89, Passionsspieler 'Armer aus dem Volk'

Jung und Alt bei den Proben

Das halbe Dorf auf der Bühne, über 2000 Menschen, die mitspielen: Seit 1633, seit fast 400 Jahren, spielen die Oberammergauer die Passion das Spiel vom Leben, dem Tod und der Auferstehung Jesu.

Im 30-jährigen Krieg bleiben die Oberammergauer zunächst von der Pest verschont. Bis ein Mann, Kaspar Schisler, die Quarantäne umgeht, sich heimschleicht zu Frau und Kind und damit die Pandemie nach Oberammergau bringt. Viele sterben und so legen die Oberammergauer ein Gelübde ab: würden sie ab sofort von der Pest verschont, so geloben sie, künftig alle 10 Jahre die Passion aufzuführen. Und ab da, so heißt es, ist keiner mehr gestorben. 2020, als die 42. Neuauflage der Oberammergauer Passion anstand, hat eine Pandemie dafür gesorgt, dass die Spiele verschoben werden mussten. Als es 2022 wieder losgeht, ist es, als würde ein Dorf langsam aus seiner Schockstarre erwachen

"Natürlich wird da am Anfang gestritten, aber dann hält ma doch zusammen."

Anton Preisinger, Pilatusdarsteller

Jesus auf dem Esel - Einzug nach Jerusalem

Gestritten ist schon immer viel worden in Oberammergau. Monika Lang ist eine von drei Frauen, die in den 80er Jahren vor Gericht ziehen - denn bis dahin dürfen Ehefrauen und Frauen über 35 nicht mit auf die Bühne. Es ist nach wie vor ein männerdominiertes Spiel, sagt Spielleiter Christian Stückl - allein von der Geschichte her - viele Römer, Soldaten, der Hohe Rat und die Apostel. Doch immerhin hat er die Frau des Pilatus eingeführt, die Rollen der Magdalena und Veronika gestärkt und auch die der Maria. Und ganz neu: Dieses Jahr spielt ein Muslim den Judas - Cengiz Görür. Und schon wird spekuliert: Will Spielleiter Stückl mit dieser Besetzung provozieren?

"Ich hab einen Oberammergauer genommen, der Muslim ist. Bei uns heißt es, Judas ist eine der begehrtesten Rollen. Die bekommt immer einer von den guten Schauspielern und der Cengiz gehört zu den guten Schauspielern. Also so viel Provokation ist dahinter, dass ich einen Oberammergauer genommen hab, der gut Theater spielen kann."

Christian Stückl, Spielleiter

Christian Stückl bei den Proben mit Cengiz Görür

Entdeckt hat Stückl den damals 16-jährigen Cengiz Görür in der Eisdiele im Ort. "Mir gefällt Deine Stimme", hat er zu einem gesagt, der mit Schauspielerei bis dahin überhaupt nichts am Hut hatte. Sechs Jahre ist das her - und seither ist Cengiz mit Feuereifer dabei. Kommt mit seinem Kappi, auf dem für einen Judas passenderweise "Just do it" steht, zu den Proben, gibt alles, wenn er als Judas erst an Jesus und dann an sich selbst verzweifelt. Im Herbst beginnt er seine Schauspiel-Ausbildung bei der renommierten Otto Falckenberg Schule in München.

"Ja, bei den Alteingesessenen gabs vereinzelt Gespräche - warum spielt ein Muslim. Aber zum Großteil gab's nur positives Feedback im Dorf. Es ist was Schönes, dass man mir so eine Rolle anvertraut und es ist halt auch eine riesen Ehre dass ich in so einem christlichen Stück mitspielen darf. Klar, es ist mittlerweile keine Frage mehr, dass da alle mitspielen dürfen - egal ob Migrationshintergrund, Evangele, Frau - des find ich wirklich stark, dass es so ist."

Cengiz Görür, Darsteller des Judas

Vielleicht, so Stückl, ist sein Jesus deshalb manchmal so energisch, weil er selbst wütend ist. Wütend auf die Kirche, wie sie sich gerade auch im Missbrauchsskandal verhält. Wütend auf die Machthaber - darauf, wie wir alle einfach so weitermachen, als gingen uns Klimakrise, Flüchtlinge und Krieg nichts an.

Kofel mit Passionstheater

Spuren hinterlässt so ein Spiel auch bei den Darstellern. Gelübde, Tradition, Laienspiel, gutes Geschäft, das die Dorfkasse wieder auffüllt - die Oberammergauer Passionsspiele sind all das. Sie sind aber auch der ernsthafte Versuch von theaterbegeisterten Menschen, der zweitausend Jahre alten Geschichte gerecht zu werden. Und so stressig alles war in den vergangenen Monaten - und auch noch sein wird - von der Premiere bis zum letzten Vorhang am 2. Oktober - Christian Stückl und das Stück hat die Oberammergauer wieder mitgerissen und zusammengeschweißt. Und ein wenig davon wird auch wieder hängen bleiben.

"Man weint beim letzten Spiel, weil man sich wieder trennt und danach geht jeder seinen Weg. Aber, die Gruppen - z.B. die Römer, die Apostel, die treffen sich immer wieder. Ich hatte 40 Jahre lang eine Wirtschaft in O'gau und da hab ich immer wieder solche Stammtische gehabt."

Vladimir Zerebni, Zauberer und Wirt der Passionsspiel-Kantine Oberammergau


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