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Aus dem Takt Herzrhythmusstörungen

Es schlägt. 60 bis 80 Mal in der Minute. Regelmäßig, von der Geburt bis zum Tod. Das menschliche Herz ist ein unglaublich aktives und beanspruchtes Organ. Doch manchmal kommt es aus dem Tritt. Wann ist dies harmlos, wann nicht?

Published at: 27-10-2022

Herzrhythmusstörungen sind relativ leicht zu diagnostizieren - mittels EKG - im Bild: Patient bei einem sogenannten Belastungs-EKG | Bild: picture-alliance/dpa

Im besten Fall ist vom großen Taktgeber, dem Sinusknoten, nichts zu spüren. Nur wenn einem das Herz vor Angst in die Hose rutscht, vor Aufregung bis zum Hals schlägt oder vor Schreck einen Schlag aussetzt, dann bemerkt man das Organ, dessen Pumpmuskulatur den Kreislauf aufrecht und den Menschen am Leben erhält.

Was das Herz macht

Etwa 100.000 Mal täglich schlägt das Herz und pumpt dabei völlig unbemerkt 10.000 Liter Blut durch den Körper. Im Normalzustand liegt die Herzfrequenz zwischen 60 und 80 Schlägen pro Minute. Bei körperlicher Belastung oder Stress steigert auch das Herz seine Leistung und kontrahiert häufiger.

Wenn das Herz aus dem Takt ist

Expertin:

Prof. Dr. med. Ellen Hoffmann, FESC
Chefärztin der Klinik für Kardiologie und internistische Intensivmedizin, Herzzentrum der München-Klinik Bogenhausen, München Klinik gGmbH

Aber manchmal gibt das Herz seine Rolle als Regisseur im Hintergrund auf und spielt sich in den Vordergrund: Es stolpert, rast oder setzt aus. Unregelmäßigkeiten im Herzschlag empfinden die meisten Menschen als bedrohlich. Doch diese Taktstörungen kommen auch bei allen gesunden Menschen hin und wieder vor. Für die meisten Fälle gibt es Entwarnung:

"Grundsätzlich kann man sagen: Kurze nicht-anhaltende Herzrhythmusstörungen sind vor allem bei Personen die bereits eine Herzerkrankung aufweisen von Bedeutung. Bei Herzgesunden spielen sie meist keine Rolle. Sollten Herzrhythmusstörungen allerdings länger andauern und mit Symptomen wie Schwindel oder einem Leistungsknick einhergehen wird es Zeit, dass man zum Arzt geht."

Prof. Ellen Hoffmann

Herzrhythmusstörungen sind der Überbegriff für eine ganze Reihe von Taktverschiebungen des Herzschlags. Da diese Ausdruck einer Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems sein können, muss immer zunächst eine Abklärung vom Arzt erfolgen.

"Jede Herzerkrankung per se, sei es nun ein stattgehabter Herzinfarkt, eine Herzmuskelentzündung oder -erkrankung, kann Rhythmusstörungen verursachen."

Prof. Ellen Hoffmann

Ärzte unterscheiden Herzrhythmusstörungen nicht nur nach ihrer Frequenz, sondern auch nach dem Ort ihres Auftretens: Sowohl der Sinusknoten als eigentlicher Taktgeber des Herzschlags als auch die Vorhöfe oder die Herzkammern können betroffen sein.

Regel: Welche Störung gefährlich ist

Tendenziell gilt: Störungen in den Herzkammern sind ernster zu beurteilen als die, die sich auf die Vorhöfe beschränken. Es ist auch bekannt, dass Herzrhythmusstörungen ihre Ursache nicht immer innerhalb des Herzens haben.

"Es gibt Störungen, die knapp außerhalb des Herzens in den Lungenvenen entstehen und von dort auf das Herz übergeleitet werden. Sie können dann Vorhofflimmern bei ansonsten herzgesunden Patienten auslösen. Meist ist Bluthochdruck die Ursache. Allerdings können Stoffwechsel- und Elektrolytentgleisungen, Infektionen, Alkohol oder andere Drogen das Auftreten begünstigen."

Prof. Ellen Hoffmann

Kurzes Glossar:

Bradykardie: Die Herzfrequenz liegt unter 60 Schlägen pro Minute.

Extrasystolen: Zusätzliche Herzschläge außerhalb des eigentlichen Taktes.

Hypersensitiver Karotissinus: Der Messfühler für den Blutdruck in der Halsschlagader meldet irrtümlich falsche Werte, was zu einer Veränderung des Herzschlags führt.

Tachykardie: Die Herzfrequenz liegt über 100 Schlägen pro Minute.

Sick-Sinus-Syndrom: Der Sinusknoten ist nur eingeschränkt funktionsfähig und ein langsamer Herzschlag <60 Schläge pro Minute und/oder Pausen im Herzschlag können die Folge sein.

Supraventrikulär: Bezeichnet die Vorhöfe als Entstehungsort der Störung.

Ventrikulär: Bezeichnet die Herzkammern als Entstehungsort der Störung.

Senioren haben ein erhöhtes Risiko für eine an sich eher harmlose Form von Herzrhythmusstörungen, die aber langfristig fatale Folgen haben kann: Das sogenannte Vorhofflimmern. Fünf bis zehn Prozent aller über 75-jährigen sind davon betroffen. Beim Vorhofflimmern kontrahieren die Vorhöfe nicht mehr regelhaft, so dass das Blut nicht mehr richtig fließen kann. Es können sich Blutgerinnsel bilden, die wiederum – wenn sie ins Gehirn geschwemmt werden – einen Schlaganfall auslösen können.

Therapie des Vorhofflimmerns

Deshalb ist eine Behandlung mit gerinnungshemmenden Medikamenten unumgänglich. Meist bemerken Menschen mit Vorhofflimmern die Rhythmusstörung nicht oder haben nur uncharakteristische Beschwerden wie eine schlechtere körperliche Belastbarkeit. Daher warnt Prof. Hoffmann davor, zu leichtfertig mit Vorhofflimmern umzugehen:

"Bei vielen wird diese Herzrhythmusstörung erst dann entdeckt, wenn sie den ersten Schlaganfall gehabt haben."

Prof. Ellen Hoffmann

Das gesunde Herz ist ein enorm flexibles und belastungsfähiges Organ. Es kann daher auch Einiges an Beschleunigung, Verlangsamung und Zusatzschlägen verdauen, ohne dass der Betroffene in Panik verfallen muss.

Bei unregelmässigem Herzschlag, sollte eine ärztliche Abklärung erfolgen. Falls Vorhofflimmern entdeckt werden sollte, dann erfolgt eine Risikoanalyse für Gerinnselbildungen und –verschleppung (Schlaganfall, Gefässverschluss). Falls dieses Risiko als erhöht angesehen wird, kann durch medikamentöse Hemmung der Blutgerinnung dieses Risiko minimiert werden. Darüber hinaus kann insbesondere bei Vorhofflimmern mit Beschwerden eine gezielte medikamentöse Behandlung oder/und ein minimal-invasiver kathetergeführter Eingriff (Ablation) eingesetzt werden, um das Wiederauftreten von Vorhofflimmern zu verhindern. Wenn das Vorhofflimmern nicht mehr von alleine aufhört, dann durch einen Stromstoß in einer Kurznarkose der normale Rhythmus wieder hergestellt werden (Elektrokardioversion).

Tipp von Prof. Hoffmann:

"Wenn jemand nachgewiesenermaßen herzgesund ist, eine gute Leistungsfähigkeit hat und sich ansonsten vom Herzen her alles zutrauen kann, dann sind auch die Herzrhythmusstörungen, die meistens abends auftreten, nicht beängstigend. Anders sieht die Sache aus, wenn die Herzrhythmusstörungen mit anderen Symptomen einhergehen. Dazu gehören Schwindel, allgemeine Leistungsschwäche, innere Unruhe, Schmerzen hinter dem Brustbein, Luftnot, Schweißausbrüche und im Extremfall Bewusstlosigkeit. Dann wird es höchste Zeit, einen Arzt zuzuziehen."

Prof. Ellen Hoffmann

Es ist der absolute Ernstfall unter den Herzrhythmusstörungen: Das Kammerflimmern. Im Gegensatz zum Vorhofflimmern wird es für den Betroffenen sofort lebensbedrohlich. Das Herz zuckt dann mehr als 300 Mal pro Minute völlig unkoordiniert, ohne dass es noch Blut in den Kreislauf pumpen kann. Wichtig zu wissen: Wenn nicht umgehend medizinische Hilfe kommt, ist das Kammerflimmern gleichbedeutend mit dem Herztod.

Für Außenstehende ist es meist schnell zu erkennen, ob jemand von Kammerflimmern befallen ist. Kammerflimmern führt zum sofortigen Umfallen des Patienten. Er gibt vielleicht noch einen Seufzer oder ein Stöhnen von sich und ist dann bewusstlos. Sofort sollte man eine externe Herzmassage machen, um einen minimalen Kreislauf wiederherzustellen, bis der Notarzt eingetroffen ist. Der kann das Herz elektrisch regulieren. Je früher die Herzdruckmassage stattfindet, umso besser sind die Chancen, dass der Patient unbeschadet davonkommt. Das Problem ist: Das Herz ist viel ausdauernder als das Gehirn. Das Herz kann auch einen Stillstand von bis zu drei Minuten vertragen, während das Gehirn sehr viel schneller erheblichen Schaden nimmt, wenn kein Blut mehr gepumpt wird.

Eine Herzmassage zu machen, das ist leicht dahingesagt. Im Ernstfall aber trauen sich viele nicht an einen Notfallpatienten heran, weil sie sich an die im Erste-Hilfe-Kurs gelernte Druck-Stelle nicht genau erinnern und auch vergessen haben, in welchem Rhythmus man abwechselnd drücken und beatmen soll. Außerdem gibt es die Hemmschwelle, einem fremden Menschen Luft einzublasen. Prof. Hoffmann versucht, diese Bedenken zu nehmen:

"Heute sagt man: Vergessen Sie die Beatmung. Durch das Drücken des Brustkorbs wird genug Sauerstoff hin und her bewegt. Viel entscheidender als zu beatmen ist, dass man drückt."

Prof. Ellen Hoffmann

Tipp: So geht die Herzdruckmassage

  • Mit einer Frequenz von circa 100 Mal pro Minute in der Mitte des Brustbeins drücken.
  • Man muss den Patienten auf eine feste Unterlage legen und das Brustbein etwa fünf bis sechs Zentimeter Richtung Wirbelsäule drücken.

Dann kommt ein Minimalkreislauf zustande, der es erlaubt, das Gehirn über eine Zeit von bis zu 15 Minuten so zu durchbluten, dass es keinen erheblichen Schaden nimmt. Sanitäter können dann die elektrische Defibrillation durchführen.

"Wenn jedoch ein Defibrillator in der Nähe ist, ist das neben der suffizienten Herzdruckmassage das Mittel der Wahl, denn er ist für jeden anwendbar."

Prof. Ellen Hoffmann

Der Defibrillator war lange Zeit den Rettungssanitätern und Krankenhäusern vorbehalten. Das Gerät gibt bei Kammerflimmern einen oder mehrere elektrische Schocks ab und normalisiert so wieder den aus dem Ruder gelaufenen Herzschlag. Inzwischen sind Defibrillatoren an vielen öffentlichen Plätzen, Flughäfen, U-Bahnhöfen und in Betrieben verfügbar. Im Notfall kann jeder Umstehende damit Hilfe leisten. Die modernen Geräte erkennen von selbst, wann und ob sie einen Schock abgeben müsse und leiten den Helfer genau an, was zu tun ist.

"Im Grunde sind diese Defibrillatoren selbsterklärend. Bahnpersonal, Stewardessen oder die Feuerwehr sind ohnehin in den Gebrauch der Geräte eingewiesen. Dadurch sind schon viele Menschenleben gerettet worden, weil in unglaublich kurzer Zeit die elektrische Regulierung erfolgen kann. Auch durch die vermehrte öffentliche Defibrillatornutzung konnte in den letzten Jahrzehnten die Überlebenschance nach plötzlichem Herztod durch Kammerflimmern um etwa 50% gesteigert werden. Das ist wirklich ein guter Fortschritt. Im Vergleich zur alleinigen Herzdruckmassage verlassen doppelt so viele Patienten, die mit einem automatischen öffentlich verfügbaren Defibrillator erfolgreich behandelt werden, ohne neurologische Folgeschäden das Krankenhaus."

Prof. Ellen Hoffmann

Meist ist für die Patienten nicht erkennbar, warum bei ihnen Herzrhythmusstörungen auftreten. Zum einen lässt sich das Herz ohnehin nicht bewusst steuern. Zum anderen liegen den Taktverschiebungen häufig andere (Herz-)Erkrankungen zugrunde. Oder es sind ansonsten gesunde Menschen betroffen, bei denen die Kapriolen gewissermaßen zur "natürlichen" Ausstattung gehören und die dadurch auch keine gesundheitlichen Schäden davontragen. Aber auch Drogen- oder Alkoholkonsum und unbehandelter hoher Blutdruck können Herzrhythmusstörungen auslösen. Wenn das allgemeine Befinden durch die Herzrhythmusstörungen beeinträchtigt ist, dann ist zunächst eine genaue Diagnose wichtig.

Herzrhythmusstörungen sind, wenn sie häufig auftreten, relativ einfach zu diagnostizieren. Mit Hilfe eines sogenannten EKGs (Elektrokardiogramm) kann der Arzt die elektrischen Aktivitäten der Herzmuskelfasern und damit auch den Rhythmus der Schläge und den Verlauf der Erregung nachvollziehen. Man unterscheidet Ruhe-EKG, Belastungs-EKG, Langzeit-EKG und intrakardiales EKG (während einer Herzkatheteruntersuchung zur Beurteilung der elektrischen Eigenschaften des Herzens). Bei Herzrhythmusstörungen reicht oft bereits ein Ruhe-EKG, bei dem der Patient entspannt liegt, um beispielsweise ein Vorhofflimmern festzustellen. Treten die Störungen dagegen unregelmäßig auf, kann ein Langzeit-EKG Aufschluss geben, bei dem der Patient ein tragbares EKG-Gerät über 24 Stunden oder länger mit sich führt. In Fällen von sehr sporadischen Herzrhythmusstörungen oder seltenen, wiederholten Ohnmachtsanfällen kann ein Ereignisrekorder auch in örtlicher Betäubung unter die Haut gesetzt werden, der kontinuierlich das EKG über zwei bis drei Jahre aufzeichnet.

Liegt den Herzrhythmusstörungen eine andere (Herz-)Erkrankung zugrunde, dann wird der Arzt zunächst diese Erkrankung behandeln. Manchmal kann es auch notwendig werden, operativ einzugreifen. Die verschiedenen gängigen Methoden:

  • Der Herzschrittmacher kommt für Patienten in Frage, deren Herz Gefahr läuft, zu langsam zu schlagen.
  • Im Gegensatz dazu greift der Defibrillator dann ein, wenn das Herz ein lebensbedrohliches Rasen aus den Kammern entwickelt, bei dem die Pumpfunktion stark beeinträchtigt wird.
  • Bei der sogenannten Katheterablation hingegen verödet der Operateur mit Strom die Gewebestellen am Herzmuskel, die für die Rhythmusstörung verantwortlich sind.

Vor einer Operation sollte man auf jeden Fall einen Rhythmologen zuziehen, also einen Kardiologen, der sich speziell mit Herzrhythmusstörungen befasst.

Bei manchen Herzrhythmusstörungen ist die medikamentöse Behandlung unumstritten: So müssen Patienten, die an Vorhofflimmern leiden, Gerinnungshemmende Mittel einnehmen, um das Risiko für einen Schlaganfall zu senken. Ansonsten aber sind die Ärzte vorsichtig geworden, wenn es darum geht, Herzrhythmusstörungen mit Medikamenten beizukommen.

"Medikamente, die Rhythmusstörungen beheben können, können in bestimmten Fällen auch welche auslösen. Man hat gelernt, dass man durch übermäßigen Einsatz von Rhythmusmedikamenten die Patienten auch gefährden kann. Die rasante Entwicklung in der minimal-invasiven kathetergeführten Behandlung von Herzrhythmusstörungen, die sogenannte Elektrophysiologische Untersuchung und Katheterablation, hat dazu geführt, dass eine dauerhafte Einnahme von hochwirksamen Rhythmusmedikamenten heute in vielen Fällen vermieden oder nur kurzzeitig eingesetzt werden können."

Prof. Ellen Hoffmann