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Tätowierungen im Medizin-Check Sind Tattoos ungesund?

Lösen Substanzen in Tattoos Allergien oder sogar Krebs aus? Zahlreiche Farben sind ab sofort in der EU verboten. Die Wissenschaftler wissen nur eines sicher: Ein Tattoo bleibt nicht da, wo es unter die Haut gebracht wurde.

Stand: 25.01.2022

Tattoos | Bild: mauritius-images

Die Haut ist nicht nur ein Sinnesorgan, sondern für viele mittlerweile auch eine große Projektionsfläche. Etwa 20 Prozent der Deutschen haben sich bereits ein Bild, ein Symbol, ein Muster oder die Namen sowie die Geburtstage der Kinder unter die Haut stechen lassen. Bei den unter 23-Jährigen trägt sogar jeder Zweite bereits eine Tätowierung.

Nicht umsonst macht in den Städten mittlerweile an jeder Ecke ein Tattoo-Laden auf, auch wenn die Branche durch die Pandemie schwer gebeutelt ist. Immerhin: Die Hygienestandards sind hierzulande durchweg hoch und frühere Risiken, wie Hepatitis C durch verunreinigte Tätowiernadeln, weitgehend minimiert.

Viele Tätowierfarben in der EU verboten

Die meisten bisher genutzten Tattoo-Farben werden in der aktuellen Zusammensetzung bald ganz verboten sein.

Schon 2020 ist die so genannte REACH-Verordnung, also die Chemikalienverordnung der EU, gründlich überarbeitet worden. Nach einer Übergangsfrist sind seit dem 4. Januar 2022 viele Substanzen in Tätowierfarben nicht mehr erlaubt. Tausende von Chemikalien stehen auf dieser Bannliste. Ab 2023 kommen noch mehr Farbpigmente, vor allem blaue und grüne, auf die Verbotsliste. Das bedeutet unterm Strich: Die meisten bisher genutzten Tattoo-Farben sind in der aktuellen Zusammensetzung bald ganz verboten - vor allem die bunten.

Wobei seitens der EU-Kommission betont wird, man wolle Tätowierungen nicht verbieten - aber Tätowierfarben und auch Permanent-Make-up sicherer machen. Tatsächlich gibt es im Gegensatz zu Medikamenten, die wir ebenfalls im Körper aufnehmen, bei Tattoofarben keine langfristig angelegten Untersuchungen über unerwünschte Nebeneffekte. "Und natürlich würde man den Tätowiererbegeisterten wünschen, dass es eine Art Positivliste gäbe, also eine Liste mit Inhaltsstoffen, wo man davon ausgehen kann, dass sie keinen nennenswerten Schaden anrichten im Laufe der Jahre", sagt Deutschlands bekannteste Hautärztin, die Berliner Dermatologin und Bestsellerautorin Yael Adler.

Hör-Tipp: Brauchen wir eigentlich diese ganzen Gesichtscremes? Dieser Frage ist Dr. Adler im Gespräch mit Melitta Varlam und Alexander Dallmus im BAYERN 1 Nachhaltigkeitspodcast "Besser leben" nachgegangen.

Wie schädlich sind Tätowierungen?

Viele Tätowierer in ganz Europa sehen das anders und haben gegen das Verbot gängiger Tätowierfarben auch schon protestiert. Ihr Argument: Es sei doch gar nicht wissenschaftlich bewiesen, dass bestimmte Farben oder Tätowierungen grundsätzlich Allergien oder sogar Krebs auslösen würden.

Tätowierer in ganz Europa protestieren gegen das Verbot.

Daniel Rust, Vorstandsmitglied des Bundesverbands Tattoo, sieht durch das ausgedehnte Verbot zahlreicher Tätowierfarben eine Entmündigung der Kundschaft durch die Verordnung, die der gesamten Branche schade. Vor jeder Tätowierung gebe es schließlich einen mehrseitigen Aufklärungsbogen. Zudem habe er nie schlechte Erfahrungen mit den betreffenden Farben gemacht, betont er: "Ich bin seit zwölf Jahren Tätowierer und natürlich hatte ich auch schon Tattoos, die entzündet waren. Das hatte aber nicht in einem Fall mit der Farbe zu tun, sondern immer mit mangelnder Hygiene bei der Nachsorge."

Hautärztin Dr. Yael Adler hat da über die Jahre in ihrer Berliner Praxis andere Erfahrungen gemacht:

"Ich sehe auch Allergien, das Aufblühen von Autoimmunerkrankungen, Hautkrebs in Tattoos. Das ist in Einzelfällen natürlich publiziert, aber eben nicht systematisch in Studien untersucht. Es ist eben so, dass viele Verbraucher sich gar keinen Kopf machen. Die denken, naja, die Farben werden schon nichts ausrichten. Und hier braucht es mehr Aufklärung."

Hautärztin Dr. Yael Adler

Warum Tattoos verblassen

Noch weitgehend unerforscht ist dabei: Was passiert eigentlich mit Tätowierungen nach Jahren oder Jahrzehnten? Wissenschaftler wissen nur eines sicher: Ein Tattoo bleibt nicht da, wo es unter die Haut gebracht wurde. Das zeigt sich bislang vor allem durch die Untersuchungen an tätowierten Leichen.

Bei solchen Obduktionen hat Prof. Andreas Luch, Leiter Chemikalien- und Produktsicherheit beim Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin, schon vor Jahren festgestellt, dass diese Pigmente unter der Haut der Verstorbenen deutlich kleiner sind als die Gehalte an Pigmenten in der Haut von frisch tätowierten Menschen: "Wir wissen ungefähr, wie viel Pigmentmasse eingebracht wird in die Haut, pro Quadratzentimeter Oberfläche - aber wenn man sich dann die Leichen anschaut, stellt man fest, dass das viel, viel weniger ist als das, was in der Haut zu messen ist. Weit über die Hälfte der tätowierten Pigmente unter der Haut verschwindet einfach mit der Zeit."

Tätowiermittel wandern im Körper

Dass schwarze und farbige Pigmente überhaupt auf Wanderung gehen, ist insofern bemerkenswert, wenn man sich nochmal vor Augen hält, was beim Tätowieren genau passiert. Schließlich wird meistens Tusche mit einer Tätowiernadel unter die Haut gestochen (also unter die Epidermis), wo sie eigentlich dauerhaft zum Liegen kommen müsste. Als eine Art Fremdgebilde, mit dem der Körper nicht reagieren sollte, und das dann farblich durchscheint.

Viele Pigmente aus den Tätowiermitteln sammeln sich in den Lymphknoten.

Die Pigmente aus Tätowiermitteln sind nämlich eigentlich nicht wasserlöslich - Konservierungsstoffe, Stabilisatoren oder auch Lösungsmittel dagegen schon. Sie werden zwar zeitgleich mit der Nadel unter der Haut eingebracht, gehen aber innerhalb von Sekunden und Minuten ins Blutsystem über. Von dort aus werden sie dann über den Stoffwechsel nach und nach ausgeschieden, vermuten die Wissenschaftler.

Die unlöslichen Farbpigmente sollten jedoch erstmal bleiben, wo sie sind. Tun sie aber nicht. Das hat Andreas Luch vom BfR bereits klar nachgewiesen:

"Unsere Studie hat gezeigt, dass es tatsächlich so ist, dass in den Lymphknoten, die in der Nähe dieser Tätowierungen waren, ein großer Anteil an Pigment aufläuft und akkumuliert."

Prof. Andreas Luch, Leiter Chemikalien- und Produktsicherheit beim Bundesinstitut für Risikobewertung in Berlin

Tätowiermittel: Als Fremdkörper bekämpft

Unser Körper reagiert unter der Haut auf die Außeneinwirkungen, also die Tätowierungen, und setzt Fresszellen ein, die sich die Farbpigmente mit der Zeit einverleiben und versuchen, sie abzutransportieren. Die Pigmente werden vom Körper als Verunreinigung wahrgenommen, und der kann damit nichts weiter anfangen, außer zu versuchen, diese irgendwie zu entfernen. In den Lymphknoten kann das im Extremfall zu Vergrößerungen oder Entzündungen führen. Und es ist außerdem noch nicht geklärt, ob die gefundenen Stoffe, die zweifelsfrei aus Tätowiermitteln stammen, auch tatsächlich dort liegenbleiben. Bislang konnten die Stoffe nur in den Lymphknoten nachgewiesen werden, die in der Nähe der Tätowierungen lagen.

Langzeitstudien, die mehr und umfangreichere Erkenntnisse zulassen, sind nur schwer möglich. Tierversuche für kosmetische Stoffe sind in der EU nämlich verboten. Dabei würde Andreas Luch vom BfR bei Schweinen - deren Haut der des Menschen ähnlich ist - gerne über Jahre beobachten, ob schwarze oder farbige Pigmente noch weiterwandern als nur bis zu den nächstgelegenen Lymphknoten. 

Können Tatoos krank machen?

In den Tätowierfarben finden sich immer wieder Stoffe, die problematisch sind, also Allergien auslösen können oder in hohen Konzentrationen sogar als krebserregend gelten. Wie beispielsweise Azofarbstoffe, die eben eine "freisetzbare kanzerogene Arylaminkomponente" enthalten. Die Tätowierer selbst haben wenig Möglichkeiten vorbeugend tätig zu werden und müssen sich auf die zugelassenen Farben verlassen. Da die meisten Hersteller sehr spät auf die EU-Verbotsliste reagiert haben, gibt es derzeit nur wenige und teurere Alternativen für die Shops. Für die blauen Farbpigmente, die ab 2023 verboten sind, gibt es überhaupt keinen Ersatz.

Das könnte auch dazu führen, dass viele Kunden sich im Hinterzimmer tätowieren lassen. Illegal, mit nicht mehr zugelassenen Tätowierfarben. Das befürchtet auch Hautärztin Yael Adler; sie würde sich für die Zukunft eher eine Positivliste für die Tätowierer wünschen:

"Ja, man sensibilisiert jetzt vielleicht aktuell die Branche. Aber es ist keine Lösung. Zumal ja auch immer das Risiko besteht - der Tätowierer-Beruf ist ja nicht geschützt - dass da auch mal einer dabei ist, der sagt, dann importiere ich das irgendwie von außerhalb der EU, Hauptsache, die Farbe leuchtet schön. Also hier muss man noch mehr überwachen und überprüfen."

Hautärztin Dr. Yael Adler

Ist ein Tattoo krebserregend?

Deshalb wäre das Wissen um die Langzeitwirkung von Tattoos auch so wichtig. Bislang gibt es - auch das muss deutlich gesagt werden - keinen wissenschaftlichen Beweis, dass Tätowierungen grundsätzlich Krebs auslösen können. Aber es werden eben immer wieder krebserregende Stoffe in Tätowiermitteln gefunden. So genannte "Polycyklische aromatische Kohlenwasserstoffe" beispielsweise oder Nitrosamine, aber auch Nickel. Ein Allergieauslöser.

Langzeitstudie Tattoo

Allerdings spielen Tätowierungen selbst bei Langzeitstudien in diesem Bereich keine Rolle. Das soll sich ändern: Derzeit läuft eine BfR-Studie zu Tätowierfarben, welche am Klinischen Studienzentrum für Haut- und Haarforschung der Charité Universitätsmedizin Berlin durchgeführt wird.

Tattoo-Entfernung: Nicht immer sicher

Obwohl sich immer mehr Menschen tätowieren lassen, stellt der Münchner Hautarzt Georg Schuhmachers zumindest in seiner Praxis keine signifikante Zunahme von Entzündungen bei frischen Tattoos fest.

Was ihm aber schon auffällt: Immer mehr wollen sich ihre Tattoos wieder entfernen lassen. Geschätzt die Hälfte aller gestochenen Tattoos soll nach einer Weile wieder weg. Ein oft langwieriger Prozess, bei dem nicht garantiert ist, dass die Tätowierung völlig verschwindet. Gerade das Weglasern birgt gewisse Risiken, so Dr. Georg Schuhmachers:

"Das ist ja nicht nur bei den Tätowiermitteln, sondern auch bei den Mitteln für das Permament-Tattoo bei den Damen der Fall. Auch da werden unterschiedlichste Stoffe gebraucht. Gerade bei Farbnuancen. Die machen manchmal deutliche Schwierigkeiten, sie wieder zu entfernen. Und andererseits gibt es Berichte, dass in seltenen Fällen beim Entfernen krebserregende Stoffe entstehen könnten. Es gibt aber keinen nachgewiesenen Fall, soweit ich weiß."

Georg Schuhmachers, Hautarzt München

Blausäure ist beim Weglasern jedoch schon entdeckt worden - auch nicht gerade ein Stoff, den man gerne im Körper trägt.

Tatsächlich werden die Farbpigmente beim Lasern zertrümmert. Die dabei entstehenden Substanzen sind auch toxikologisch nicht unproblematisch. Andreas Luch vom BfR in Berlin: "Man sieht die Tätowierung zwar nicht mehr, aber es sind Fragmente da. Diese Fragmente sind kleiner geworden und dadurch auch mobiler. Möglicherweise sind sie auch löslicher geworden, gehen ins Blutgefäßsystem und verteilen sich im Körper."

Was sagen Ärzte zu Tattoos?

Je größer die Tätowierung, desto größer letztlich das Risiko. Letztlich geht es für Wissenschaftler wie Andreas Luch auch nicht um ein Verbot von Tattoos, sondern um Aufklärung und ums Bewusstmachen: "Es ist wichtig zu wissen, dass es immer um Chemikalien geht. Das muss man wissen, bevor man so was machen lässt. Ich kann mir vorstellen, dass das sicher nicht befriedigend ist, aber es gibt an dieser Stelle keine Entwarnung und sicher kein Motiv ohne Risiko."

Den informierten und aktiven Verbraucher wünscht sich auch Hautärztin Dr. Yael Adler: "Mein Lieblingssatz hierzu ‚Think before you ink!“, denke darüber nach, beschäftige dich damit, bevor du dich tätowieren lässt."

Quellen und weiterführende Links

Dr. med. Yael Adler: "Haut nah: Alles über unser größtes Organ." Droemer HC. April 2021. 384 Seiten ISBN: 978-3-426-30171-5

Tätowierfarben und Permanent Make-up - Infos der ECHA, der Europäischen Chemikalienagentur, die Rechtsvorschriften der EU zu Chemikalien und zum Schutz von Gesundheit und der Umwelt umsetzt

Save The Pigments - 2021 eingereichte Petition von europäischen Tätowierern und deren Unterstützer, um gegen ein Verbot von Farbpigmenten und Tätowierfarben in der EU

www.safer-tattoo.de - Aufklärungsseite des bislang zuständigen Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.

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