Serie // "Die Neue Zeit" Wie Wohlstandspunks die Kunst revolutionierten

Wer das Bauhaus nur für avantgardistische Stühle und Häuser mit flachen Dächern kennt, kann seine Wissenslücken über die unkonventionelle Schule und ihre Studenten mit dieser nicht ganz so experimentierfreudigen ZDF-Serie stopfen.

Von: Vanessa Schneider

Stand: 02.09.2019 | Archiv

Anna Maria Mühe als Studentin Dörte Helm und August Diehl als Bauhaus-Gründer Walter Gropius in der ZDF-Serie "Die neue Zeit". | Bild: ZDF und Mathias Bothor

Diese Serie gehört auf eure Watchlist, wenn... ihr die Kulissen aus "Unsere Mütter, Unsere Väter" mochtet, euch immer wieder über das Intro und die Kostüme von "Babylon Berlin" freut und ihr Serien wie "Charité" gern mal als Geschichtsnachhilfe nutzt.
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Der weltberühmte Architekt Walter Gropius (August Diehl) blickt zurück auf sein Lebenswerk. Es ist das Jahr 1963 und eine feministische Journalistin will für eine Story zum 80. Geburtstag des Bauhaus-Gründers herausfinden, ob Gropius es mit der viel gepredigten Gleichberechtigung an seiner revolutionären Kunstschule vielleicht doch nicht so ernst genommen hat. Dieses Interview ist der erzählerische Rahmen der Serie "Die Neue Zeit" und wirft uns in prägende Momente aus den ersten Jahren des Bauhauses zurück. Am Anfang steht – natürlich – die Gründung vor fast genau 100 Jahren in Weimar. Damals beginnt auch die junge Dorothea "Dörte" Helm (Anna Maria Mühe aus "Dogs Of Berlin") ihr Studium am Staatlichen Bauhaus.

Zwischen Fakt und Fiktion

Die Studentinnen Dörte Helm (Anna Maria Mühe) und Gunta Stölzl kurz vor der Gründung des Staatlichen Bauhaus zu Weimar.

"Die Neue Zeit" sieht zwar so aus, aber sie ist keine faktentreue Geschichtsserie. Die Charaktere gab es wirklich, aber das, was sie in der Serie erleben, ist oft ausgedacht. Alles was in der Politik und am Bauhaus in Weimar offiziell so passiert, ist historisch gut belegt. Was sich in den Studentenstuben und eben im privaten Raum abgespielt hat – zum Beispiel zwischen Walter Gropius und der Studentin Dörte Helm - das ist ausgedacht. Helm war wirklich eine der vielen Studentinnen am Bauhaus und stammte aus einer wohlhabenden, super konservativen Professoren-Familie aus Rostock. Und sie war auch tatsächlich eine der wenigen Frauen, die nicht nur in der Bauhaus-Weberei lernen durften, sondern auch in den anderen Handwerken ausgebildet wurden. Allerdings musste sie sich das hart erkämpfen und in der Serie wird auch gezeigt, wie schwer es den Frauen gemacht wurde.

Großes Serien-Kino ist "Die Neue Zeit" aber nicht. Regisseur und Mitautor Lars Kraume hat sich zwar alle Mühe gegeben, den revolutionären Geist der Bauhäusler mit einigen visuellen Experimenten einzufangen. Die Kamera wirkt wacklig dokumentarisch, Farb- und Schwarzweiß-Aufnahmen wechseln sich ab und immer wieder werden fotografische Momentaufnahmen auf den reduzierten Jazz-Soundtrack gelegt. Die Serie  versucht auch den Geniekult um den Bauhaus-Gründer Walter Gropius und seine Bauhaus-Meister zu brechen. Nur gelingt das selten. Denn Gropius ist ja derjenige, der die Geschichte aus seiner Sicht erzählen darf. Und da bleibt mehr Platz für seine wuchtigen, idealistischen Reden – als für Selbstkritik.

"Die Neue Zeit" ist dadurch leider eine ziemlich biedere, chronologisch runtererzählte Angelegenheit. Weil nur sechs Folgen Platz sind, wird die politische Situation Anfang der 1920er Jahre oft erklärt. Dabei hab ich mich eher wie in einer Kunstgeschichtevorlesung gefühlt – aber nicht am unkonventionellen Bauhaus.

Warum erzählt ein alter Mann die Geschichte der emanzipierten Künstlerin?

Wirklich gestört hat mich etwas anderes: Wenn man von einer ungewöhnlich emanzipierten Frau erzählen will, dann sollte sie selbst auch diejenige sein, die spricht. Und nicht der Mann, der nicht nur ihr Schulleiter war, sondern mit dem sie später – angeblich – auch ein Verhältnis hatte. Die Serie tut so, als könne dieser Walter Gropius wissen, was die prägendsten Momente im Leben seiner Studentin Dörte Helm waren, wie sie dachte und fühlte. Egal wie selbstkritisch die Drehbuchautoren sich Gropius vorstellen: So verliert die eigentlich durchsetzungsstarke, progressive und begabte Dörte vor allem durch die Art der Erzählung jede Selbstbestimmung, obwohl die Serie so tut, als würde sie im Zentrum der Handlung stehen.

Die Künstlerin Dörte Helm bleibt am Ende nur als eine ehrgeizige, von der Liebe enttäuschte junge Frau im Kopf – über ihre Kunst, ihre Ambitionen und Träume erfahren wir sehr, sehr wenig. Dabei ist ihr Werk wenigstens noch einigermaßen belegt, die angebliche Liebesaffäre mit Walter Gropius nicht. Und auf die hätte ich echt gut verzichten können.

"Die Neue Zeit" ist ab sofort in der ARTE-Mediathek kostenlos streambar. Ab dem 10.09. dann auch in der ZDF-Mediathek.

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Sendung: Hochfahren vom 04.09.2019 – ab 7 Uhr.