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Es hätte längst Tote geben können

Auf dem rechten Auge hellwach Es hätte längst Tote geben können

Stand: 25.03.2014

In einem Auge spiegeln sich die wutverzerrten Gesichter von Neonazis | Bild: colourbox.com; picture-alliance/dpa; br; montage:br

Die Zutaten extrem rechter Ideologie sind stets die selben: Rassismus, Gewalt, Sehnsucht nach einem starken Führer, Hass auf alles, was nicht ins eigene Weltbild passt. Doch das Gewand, in dem diese Ideologie daherkommt, wandelt sich ständig. Deshalb gilt: Hellwach sein auf dem rechten Auge.

Von: Thies Marsen

Dass es in bayerischen Asylbewerberheimen noch keine Toten gegeben hat, ist allein aufmerksamen Bewohnern zu verdanken. Mindestens vier Brandanschläge hat es in den letzten zwei Jahren auf Flüchtlingseinrichtungen gegeben, nicht irgendwo in Ostdeutschland, nein: in Bayern! Und diese Anschläge sind nur die Spitze des Eisbergs. Laut aktuellen Recherchen der antifaschistischen Dokumentationsstelle aida-archiv (aida-archiv.de) aus München gab es in den vergangenen Monaten im Freistaat 130 rassistische Anschläge und Anfeindungen gegen Flüchtlinge – eine erschreckende Zahl, die deutlich macht, dass Bayern alles andere ist als eine Insel der Seligen.

Unverschuldet unerwünscht

Wer es auf seiner Flucht vor Krieg, Gewalt, Verfolgung oder Hunger bis in den Freistaat schafft, ist fast ausnahmslos „illegal“ eingereist, ganz einfach, weil ihm oder ihr gar nichts anderes übrig bleibt. Denn seit Jahrzehnten haben Deutschland und die Europäische Union sich systematisch gegen Flüchtlinge abgeschottet. Die EU machte ihre Grenzen dicht und delegierte die Abwehr von Flüchtlingen weitgehend an die Anliegerstaaten wie Marokko, Libyen, die Ukraine oder die Türkei. Menschen auf der Flucht haben inzwischen de facto keine legale Möglichkeit mehr, die EU zu erreichen. Dass die deutsche Politik und die Geschäfte deutscher Firmen, insbesondere deutscher Waffenproduzenten, für so manche Fluchtursache mitverantwortlich sind, sei hier nur am Rande erwähnt.

Hass und Gewalt gegen die Schwächsten

Die Abschottungspolitik war auf zynische Weise erfolgreich: Jahrelang ist die Zahl der Flüchtlinge deutlich gesunken. Zehntausende haben das mit ihrem Leben bezahlt: Allein im Mittelmeer sind seit 1990 nach Schätzung mindestens 20.000 Menschen ertrunken - bei dem verzweifelten Versuch, die EU auf dem Seeweg zu erreichen. Angesichts der zunehmenden Krisen und Kriege auf der Welt, ob in Syrien oder Zentralafrika, steigen die Flüchtlingszahlen nun seit einigen Jahren wieder – auch in Bayern. Und mit damit nimmt leider auch wieder die Gewalt zu.

Rechte Gewalt in Bayern

In einer Gemeinschaftsunterkunft im niederbayerischen Wörth an der Isar legten Unbekannte im November 2012 gleich an drei verschiedenen Stellen Feuer - mitten in der Nacht. Ein Bewohner entdeckte die Flammen in der Gemeinschaftsküche und alarmierte die Feuerwehr. In den Wochen zuvor war die Unterkunft mehrfach mit rechten Parolen beschmiert worden. Im unterfränkischen Gemünden zündelten im Oktober 2013 Unbekannte an der Fassade eines Asylbewerberheims, zwei Menschen wurden verletzt. Auch in Germering bei München wurde im Januar 2014 die Fassade einer Sammelunterkunft in Brand gesteckt – weil ein Bewohner es bemerkte, entstand „nur“ Sachschaden. Einzig in einem Fall konnten die Täter ermittelt werden: Drei junge Männer haben gestanden, im Juni 2012 Molotow-Cocktails auf eine Asylbewerberaufnahmestelle im oberpfälzischen Weiden-Stockerhut geworfen zu haben.

Die Polizei tappt im Dunkeln

Bei den Behörden scheint sich die Bereitschaft, die Täter im extrem rechten Milieu zu suchen, leider häufig in Grenzen. "Über die Motivlage des oder der Täter ist nichts bekannt", hieß es beispielhaft in einer Pressemeldung des Polizeipräsidiums Niederbayern zum Anschlag 2012 in Wörth. Dabei liegt ziemlich nahe, dass Neonazis hinter den Anschlägen stecken. NPD und militante Freien Kameradschaften nehmen schon seit langem wieder Flüchtlinge ins Visier. Sie tarnen sich als empörte Anwohner, inszenieren oder infiltrieren Bürgerinitiativen, starten Internetkampagnen und Flugblattaktionen gegen Asylbewerber. Und wenn dann mal ein Flüchtlingsheim brennt oder beschmiert wird, wird das in den einschlägigen Neonazi-Foren hämisch kommentiert. Doch der Widerstand gegen Flüchtlingsunterkünfte kommt auch aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft. Manchmal scheinen die Motive durchaus redlich zu sein – insbesondere, wenn es gegen große Gemeinschaftsunterkünfte geht, die auch von Flüchtlingsorganisationen abgelehnt werden. Doch immer wieder kommen auch bei den vermeintlich „normalen“ Bürgerinnen und Bürger rassistische Ressentiments zum Vorschein – etwa wenn Flüchtlinge als Drogendealer und Gewaltkriminelle denunziert werden.

Gemeinsam für die gute Sache

Glücklicherweise gibt es auch positive Beispiele für Bürgerengagement: Überall in Bayern haben sich inzwischen Initiativen gebildet, um neu angekommenen Flüchtlinge zu helfen – ob in München oder Nürnberg, ob in Au in der Hallertau oder am Ammersee-Westufer. Sie helfen bei Behördengängen, organisieren Möbel, geben Sprachkurse oder fahren Kinder zum Training des örtlichen Sportvereins. Noch sind wir weit entfernt vom gesellschaftlichen Klima der 1990er Jahre, als in ganz Deutschland regelmäßig Unterkünfte von Flüchtlingen und Migranten in Flammen aufgingen und zahlreiche Menschen starben.

Dass es damals auch in Bayern unzählige, teils tödliche Anschläge gegeben hat, ist heutzutage längst vergessen und verdrängt. Damit es nicht wieder so weit kommt, sind nicht nur die Bürgerinnen und Bürger gefordert, sondern auch die Politiker, die aufhören müssen, mit billigen Parolen gegen Flüchtlinge und Migranten Stimmung zu machen und Stimmen zu fischen. Und die Polizei, die gegen rechte Gewalt endlich konsequent vorgehen muss.

So viele sind es gar nicht!

Im Übrigen: Auch wenn die Flüchtlingszahlen steigen, im Gegensatz zu anderen, weitaus ärmeren Staaten sind sie hierzulande immer noch ziemlich niedrig. Im Libanon etwa kommen derzeit auf rund 4,3 Millionen Einwohner etwa eine Million Flüchtlinge aus Syrien. Verglichen damit sind die 17.000 Asylsuchenden, die 2013 in den Freistaat mit seinen rund 12,5 Millionen Einwohner kamen - und den gut 20.000, die heuer erwartet werden, noch immer ein Klacks.