BR Fernsehen - Sehen statt Hören


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Gehörlose Darsteller Vielfalt im Film

Gehörlose Darsteller im deutschen Film sind eine absolute Seltenheit. Und wenn sie gezeigt werden, dann oft sehr einseitig – nämlich aus der Sicht von Hörenden. Doch warum sehen wir so wenig gehörlose Darsteller im Film?

Stand: 14.09.2021

Schauspielerei ist ein hartes Geschäft. Es ist schwer, gute Filmrollen zu bekommen. Oft sind es die immer gleichen Schauspieler, die in den großen Filmen spielen. Deshalb können viele in dem Beruf nicht überleben: Sie spielen noch Theater oder müssen sich ganz andere Jobs suchen. Gehörlose Darsteller sind im deutschen Film eine besondere Rarität: Obwohl die Gebärdensprache immer häufiger in Filmszenen eingesetzt wird, werden die vorgesehenen Rollen meist von Hörenden gespielt. Wieso, wenn es doch gehörlose Schauspielerinnen und Schauspieler gibt?

Schauspielerin Athina Lange

Athina Lange ist eine von ihnen. Schon als kleines Mädchen träumte sie davon, Schauspielerin zu werden.

"Während meiner Schulzeit stand ich nur einmal auf der Bühne, aber dieses eine Mal werde ich nie vergessen. Es war so ein schönes Erlebnis für mich, das erste Mal auf der Bühne zu stehen. Ich hatte das Gefühl, das ist der richtige Platz für mich. Die Bühne ist quasi mein Zuhause."

Athina Lange, Schauspielerin

2015 hat sie dann die Schauspielausbildung in Leipzig abgeschlossen. Athina ging nach Berlin – und dachte, es würden nun relativ bald Rollen für sie kommen. Doch schnell merkte sie, wie schwierig sich alles gestaltete: Zum einen gibt es in Berlin enorm viel Konkurrenz. Die Gehörlosigkeit, die in der Ausbildung noch kein Thema war, wurde nun zum Problem.

"Typischerweise werden für einen Film gehörlose Rolle gesucht, aber […] die Rollenbeschreibung ist schon fest mit der Gehörlosigkeit verbunden. Und es gibt insgesamt auch wirklich sehr wenige Angebote für gehörlose Schauspieler. […] So hatte ich keine Chance."

Athina Lange, Schauspielerin

Dass dann gehörlos angelegte Rollen auch noch von hörenden Schauspielerinnen und Schauspielern besetzt werden -  dafür hat Athina kein Verständnis. Mit Gebärdensprache werde zudem immer häufiger eine Show gemacht. Damit benutze man die Kultur der Gehörlosen lautet ihre Kritik.

Derzeit ist Athina Lange Teil einer vierköpfigen Gruppe von Künstlerinnen, die im Theaterlabor in Bielefeld proben. Sie haben ein Forschungsstipendium von flausen+ bekommen, mit dem sie vier Wochen lang an einem Vorhaben arbeiten und forschen können. Ihr Projekt: Ein Theater mit hörenden und gehörlosen Schauspielerinnen für hörendes und gehörloses Publikum. Das könnte durchaus auch ein Signal an die staatlichen Schauspielschulen sein, sich für gehörlose Schauspielerinnen zu öffnen.

"Ich habe die große Hoffnung, dass man damit aufhört, gehörlose Schauspieler auf ihre Behinderung zu reduzieren. Gehörlose können auch alles spielen. Sie können einen Mörder spielen, einen psychisch Kranken. Warum aber müssen die Rollen immer nur hörgerichtet sein. Das macht mich wahnsinnig. Das ist für mich so, als würde man die Talente gehörloser Schauspieler zunichtemachen. Das verstehe ich nicht. Ich wünsche mir, dass es in der Zukunft mehr Vielfalt gibt, auch eine Rollenvielfalt."

Athina Lange, Schauspielerin

Bündnis "Vielfalt im Film“

Wenn man sich das Filmgeschäft genauer ansieht, entdeckt man oft Diskriminierung. Von Diversität sieht man nur wenig. So hat sich ein Bündnis mit dem Titel „Vielfalt im Film“ gegründet, das genau dagegen vorgehen möchte. Vor einem Jahr hat man hier eine Online-Umfrage gestartet, bei der 6.000 Filmschaffende mitgemacht haben.

Das Ergebnis: Hinter der Kamera gibt es viel Diskriminierung - vor allem rassistische und sexistische Diskriminierung. Frauen haben sexuelle Belästigungen erfahren, people of colour sind viel seltener fest angestellt oder verdienen weniger. Gerade Filmschaffende mit Behinderung sind deutlich unterrepräsentiert und ihnen werden Kompetenzen und Fähigkeiten abgesprochen. Zwei Drittel aller Filmschaffenden haben ihre Diskriminierungserfahrungen nicht gemeldet. 83 Prozent sagen, eine Meldung habe keinen Effekt oder sogar negative Konsequenzen für ihre Arbeit – denn die Diskriminierung habe dadurch sogar zugenommen. Und auch die Darstellung im Film ist laut 80 Prozent der Filmschaffenden diskriminierend: Die Vielfalt der Gesellschaft – egal, ob ostdeutsch, queer, behindert, schwarz oder asiatisch – würde klischeehaft dargestellt.

Doch in einem Aspekt hat die Umfrage die Vielfalt in der Filmbranche bestätigt: Unter den Schauspielenden ist sie durchaus vorhanden. Doch was kommt davon im Fernsehen oder im Kino an? Nicht sehr viel. Skadi Loist, Junior-Professorin an der Filmuniversität Babelsberg und aktiv im Bündnis „Vielfalt im Film“, hat eine Vermutung, woran das liegen könnte: Die Leute mit vielfältigem Hintergrund sitzen in der Filmbranche nicht in den Entscheider-Positionen.

Mehr Infos:

Filmprojekt „Du sollst hören“

Autorin Katrin Bühlig im Gespräch mit Moderator Ace Mahbez

Ein Projekt, dass die Vielfalt im Fokus hat, befindet sich gerade in den Dreharbeiten: Im Film mit dem Titel „Du sollst hören“ geht es um eine gehörlose Familie mit einem Kind, welches nach dem Willen eines Arztes ein Cochlea Implantat bekommen soll. Die Eltern lehnen das ab und es kommt zu einem großen Wirrwarr. Inspiriert wurde das Drehbuch, geschrieben von Katrin Bühlig von einem realen Fall, der Schlagzeilen machte. Für die Autorin war es eine Herausforderung, die Sichtweise Hörender zu verlassen – schließlich handelt die Geschichte voll und ganz in der Welt der Gehörlosen. Mit viel Recherche und Feingefühl tastete sie sich nach und nach an die für sie fremde Kultur heran.

Die Eltern werden von Anne Zander und Benjamin Piwko gespielt. Für die Producerin Anemone Kruezner gab es einige Herausforderungen: Zum einen war es zu Beginn tatsächlich nicht einfach, an gehörlose Darsteller heranzukommen.  Die zweite Herausforderung waren die unterschiedlichen Sprachen der Menschen am Set – doch diese Hürde konnte mit Hilfe von Dolmetschern und Kommunikationsassistenten genommen werden.

Deaf Supervisor Tobias Lehman

Eine sehr große Hilfe ist Tobias Lehman: Er ist Deaf Supervisor am Set. Er achtet darauf, dass mit dem gehörlos geprägten kulturellen Hintergrund des Films richtig umgegangen wird. Er passt beispielsweise die aus hörender Sicht geschriebenen Dialoge auf die Gebärdensprache an. Oder ändert auch mal eine Szene ab, die für Gehörlose leicht diskriminierend ist. Hörende hätten das nicht bemerkt. Das macht „Du sollst hören“ jetzt schon zu einem besonderen Film – mit Vorbildcharakter. Der Film wurde für das ZDF produziert und voraussichtlich im Frühjahr 2022 ausgestrahlt.  

"Ein schönes Gefühl und Gänsehaut. Ich habe schon in anderen Film mitgespielt. Das war okay. Aber hier geht es mehr in die Tiefe. Es fühlt sich gut und richtig an. So etwas muss noch mehr gezeigt werden, dass verstanden wird, Gehörlose sind ganz normale Menschen."

Benjamin Piwko

"Ich weiß, dass man in Deutschland interessante Geschichten braucht. Das Angebot ist da, wir haben sehr viele Geschichten. Warum nicht das nutzen? Die Gebärdensprachgemeinschaft ist so vielfältig, jeder hat einen anderen Hintergrund und eine andere Geschichte. Wie er aufgewachsen ist, ob lautsprachlich oder voll gebärdensprachlich. Es sind diese vielen Unterschiede. Darauf möchte ich hinweisen und neugierig machen."

Anne Zander

Autorin Katrin Bühlig sieht die Filmemacher in der Verantwortung dafür, dass Gehörlose in der Filmwelt mehr vorkommen.

"Ich glaube, je mehr man Gehörlose im Film sieht, selbstverständlicher wird das. Andererseits ist es natürlich auch mit mehr Arbeit verbunden, auch am Ende mit mehr Geld und mit einem Umdenken glaube ich, wie man es macht."

Katrin Bühlig

Gebärdensprach-Dozent bezieht Stellung

Derzeit bewerben sich viele hörende Schauspielerinnen und Schauspieler auf Gehörlosen-Rollen. Dafür nehmen sie dann einige Stunden Unterricht bei Gebärdensprach-Dozenten. Andreas Costrau macht das nicht, ohne zuvor mit den Drehbuchautoren gesprochen zu haben – und eine Umbesetzung zu fordern. Er coacht nämlich mittlerweile keinen Hörenden mehr, der einen Gehörlosen spielen soll.

"Es wäre so, also würde ich einen Schwarzen spielen. Das geht nicht. Einfach mal anmalen - das passt nicht. Ganz am Anfang habe ich hörende Schauspieler schon noch unterrichtet. Das war aber höllisch anstrengend. Sie können nicht einfach so eine gehörlose Person spielen. Da ist es dann der komische Blick oder die falsche Haltung. Da kriegt man Augenschmerzen. […] Früher konnte man das noch machen. Jetzt geht es gar nicht mehr. Es ist ein Tabu."

Andreas Costrau, Gebärdensprach-Dozent

Es ist ganz offensichtlich: Vielfalt gehört ins Fernsehen, weil sie die Vielfalt der Gesellschaft wiederspiegelt. Es erweitert die Perspektive und verändert unsere Haltung, was uns bereichert. Zuschauer sollten Gehörlose nicht nur hörgerichtet wahrnehmen. Es geht um den Blick auf den ganzen Menschen - mit einer eigenen Kultur und Kunst und einem normalen Lebensalltag. Eine neuen Perspektive  - und für alle ein großer Gewinn.


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