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Es war nur Regen… Das Jahrhunderthochwasser im Juli 2021

Es war nur Regen. Ein drei Tage anhaltender starker Regen. Er führte zur schlimmsten Katastrophe seit mehr als hundert Jahren. 184 Menschen starben. Tausende verloren ihr zu Hause. Wie haben taube Menschen die Flut erlebt, waren sie gewarnt, bekamen sie Hilfe?

Stand: 17.03.2022

Ehepaar Hopfenzitz

Helga und Kuno Hopfenzitz leben im kleinen Ort Weilerswist. Hier fließt die Erft. Ein kleiner Fluss mit niedrigem Wasserstand. Doch vor einem Jahr trat er über die Ufer, überflutete Landschaft und Häuser. Nur wenige Meter vor ihrem Haus stoppte die Flut. Die Hopfenzitz blieben verschont. Doch die Bilder und die Gefühle bleiben. Vor allem der Moment, als sie evakuiert wurden.

Familie Hopfenzitz

Ein ungutes Gefühl hatte das Ehepaar bereits in die Nacht zum 15. Juli begleitet: Es hatte den ganzen Tag stark geregnet – was, wenn das Regenwasser in den Keller eindrang. Morgens um 5 Uhr warf Kuno Hopfenzitz einen beunruhigten Blick ins Internet. Hier standen bereits die Warnungen der Feuerwehr und auch der Nachbar hatte geschrieben, sie müssten ihr Haus verlassen. Völlig aufgelöst packten die Beiden einige Dinge, retteten wichtige Unterlagen vom Keller ins Obergeschoss und fuhr dann los. Eine Warn-App hat Kuno Hopfenzitz mit Katwarn zwar installiert, die hat seiner Aussage nach jedoch nicht gezielt gewarnt. Ein Sirenenalarm hat dem gehörlosen Ehepaar in dieser Situation nicht genutzt.

"Ich denke, die Feuerwehr sollte eine Liste mit Namen aller gehörlosen Menschen in ihrem Wirkungskreis aufstellen, um sie im Notfall aktiv evakuieren zu können."

Kuno Hopfenzitz

Familie Gaede

Helga Gaede lebt mit ihrer Familie unweit des Flusses Ahr. Als im Juli 2021 der Regen anhielt und das Wasser stieg, taten sie bereits vorsorgend das Richtige: Sie fingen an, Dinge aus dem Keller in die oberen Stockwerke zu schaffen. Auch aus dem Elternschlafzimmer im Erdgeschoss zogen sie aus und schliefen in einem der Kinderzimmer in der oberen Etage. Am nächsten Morgen funktionierte der Blitzwecker nicht – der Strom war bereits ausgefallen. Ihre Tochter Diana brachte die Mutter trotzdem in die Ferienbetreuung. Keiner konnte da ahnen, dass es eine längere Trennung werden sollte.

"Ich hatte kein Zeitgefühl mehr. Das Wasser stieg weiter. Die Nachbarn waren schon weg. Ich wollte dann auch los und natürlich noch Diana abholen. Ich konnte jedoch nicht fahren, da die B265 in alle Richtungen gesperrt war. Alles stand unter Wasser. Ich konnte weder nach Norden, Süden, Westen, Osten fahren. Ich war eingekesselt."

Helga Gaede

Mit der Polizei und der Feuerwehr wurde sie schließlich aus der Gegend evakuiert. Ihre Tochter Diana konnte sie erst zwei Tage später wieder in die Arme schließen, eine traumatisierende Erfahrung für alle. Das Haus ist – wie viele andere auch in der Gegend - immer noch nicht wiederhergestellt. Das alles braucht Zeit, denn für die Finanzierung müssen Anträge gestellt und viel Papierkram erledigt werden. Es fehlen Handwerker und Geld. Der Wiederaufbau geht nur schleppend voran und wird wohl noch Jahre dauern.

Helferverein – Hörende und Gehörlose Hand in Hand

Doch es gibt auch positive Aktionen. Dank einiger sehr engagierter Menschen geht für die Flutopfer auch jetzt schon etwas voran: Der Verein „Helfer mit Herz“, der sich noch im Juli 2021 zusammengefunden hatte, fährt seit acht Monaten jeden Samstag in die Hochwassergebiete und packt an, wo er am nötigsten gebraucht wird. Die Freiwilligen schippen, putzen, helfen bei allen Aufräumarbeiten. Einer von ihnen ist Magnus Miroslawski, einer der Mitbegründer des Vereins.

"Ich war aufgeregt, weil ich der einzige Schwerhörige unter Hörenden war. Aber was soll´s, ich wollte ja helfen. Als wir dann im Ahrtal ankamen und ich die Verwüstungen sah, war ich unglaublich geschockt. Ab diesem Moment packte mich der Wille hier im Ahrtal zu helfen. So ist es bis heute geblieben. Und es lässt mich nicht mehr los."

Magnus Miroslawski

Die Helfer mit Herz mit ihren Warnwesten

Magnus‘ Befürchtungen bezüglich seiner Schwerhörigkeit waren völlig unbegründet: Die Helferinnen und Helfer waren von Anfang an ein gut funktionierendes Team, das auch einige gehörlose Menschen einschließt.  Und für akustische Herausforderungen haben sie eine besondere Lösung gefunden: Damit jeder weiß, dass der eine oder die andere beispielsweise hupende Lastwagen nicht hören kann, tragen diese jetzt gelbe Warnwesten mit dem Symbol für Hörgeschädigte. Das erleichtert die Kommunikation und gibt Sicherheit. Unter den Helfenden ist mittlerweile auch Helga Gaede. Ihr Haus ist zwischenzeitlich soweit hergerichtet, der Trockenprozess läuft noch. Doch für sie ist klar: Sie kann die Hände jetzt nicht in den Schoß legen.

"Es ist mir ein Bedürfnis, jetzt auch anderen Betroffenen helfen zu können. Freunde erzählten mir, dass im Ahrtal Hilfe gebraucht wird. Und ehrlich gesagt, ist es auch für mich wichtig, anderen helfen zu können. Ich möchte gern etwas von der Hilfe, die ich bekommen habe, zurückgeben. Und der Zusammenhalt ist hier unsagbar groß, auch zwischen Hörenden und Gehörlosen. Ich kann mit einem ruhigen Gewissen wieder nach Hause fahren."

Helga Gaede

Katastrophennachsorge verbessern

Die Katastrophe ist also noch nicht vorbei. Sie bleibt viel länger als das Hochwasser. Und deshalb braucht es Nachbesserungen in der Katastrophennachsorge.

"Da muss unbedingt nachgeregelt werden, weil wenn die Katastrophe eines gezeigt hat, außer der ganzen Solidarität und Hilfsbereitschaft in Deutschland, dass es da erheblichen Nachholbedarf gibt und dass es klar strukturiert ist. Die Kommune oder der Kreis hätten es allein gar nicht schaffen können. Und das ist überaus wichtig, dass das nie vergessen wird."

Kai Imsande, Koordination Fluthilfe

Was bleibt, selbst wenn irgendwann wieder alles aufgeräumt und getrocknet ist, ist die Angst. Die Angst aller Opfer vor Regen - dass das Wasser wieder steigen könnte.


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