BR Fernsehen - Sehen statt Hören


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Musikdolmetschen Spot on für Deaf Performance

Musikdolmetschen durch hörende Dolmetscher*innen und Kulturelle Aneignung - das waren im Herbst 2019 die Aufregerthemen, die zur Gründung von "Deaf Performance Now" geführt haben. Die Forderung: Taube Künstler*innen und Dolmetschende müssen an Kultur und künstlerischen Prozessen beteiligt sein. Was hat sich seitdem im kulturellen Bereich getan? Ist Kultur inklusiver geworden? Und wie sieht es bei unseren europäischen Nachbarn aus?

Stand: 20.05.2022

Elisabeth Kaufmann ist die Leiterin der Arbeitsgruppe "DeafPerformaceNow" im Deutschen Gehörlosenbund. Auch sie fordert schon seit längerem, dass Gehörlose ein Mitspracherecht haben sollten, wenn es um die Wahrnehmung von Musik geht. Sie wurde von den Verantwortlichen des Pop-Kultur-Festivals um ein Gespräch gebeten, zu dem sie gemeinsam mit Aktivist*innen von DeafPerformanceNow nach Berlin gereist ist.

"Bei diesem Gespräch ist dann endlich auch Tacheles geredet worden und die Veranstalter und Besucher haben Einiges verstanden. Wir konnten erklären: Wenn Hörende wollen, dass Gehörlose an Veranstaltungen teilnehmen und an Musikveranstaltungen teilhaben sollen, dann müssen sie auch auf unsere Vorstellungen eingehen – und die sehen teilweise ganz anders aus. Beispielsweise verstehen wir Interpretationen von Tauben, die auf der Bühne stehen und für uns performen viel besser als eine reine Übertragung durch einen hörenden Dolmetscher. Wir können uns da überhaupt nicht mit der Musik identifizieren, verstehen oft nicht mal den Text der Lieder und einiges mehr. Wir konnten klarstellen, dass dies Taube viel besser können."

Elisabeth Kaufmann, Leiterin der Arbeitsgruppe 'DeafPerformaceNow' im Deutschen Gehörlosenbund

Beim Pop-Kultur-Festival traten schließlich auch Nur Sera Beyson und Jonathan Savkin auf.

Die beiden hatten gerade angefangen eigene gebärdensprachliche Musikvideos zu produzieren, als die Ausschreibung des Deutschen Gehörlosenbunds und des Pop-Kultur-Festivals startete. Sie bewarben sich - und wurden ausgewählt.

Noch mehr Deaf-Performer konnten ihre Talente auf der Bühne des Kleinkunstfestivals zeigen.

"Also für mich ist klar, dass Deaf-Performer ein Oberbegriff ist, der sich in viele Kategorien unterteilt, wie: Musik-Performer, Theater-Performer, Moderator, Kabarettist, Literatur und noch vieles weitere mehr. In all diesen Bereichen können Gehörlose performen."

Elisabeth Kaufmann

Simone Lönne hat als einzige auf dieser Bühne Musik-Performance gezeigt:

Anke Klingemann, Thomas Zander und Simone Lönne

"Ich hab schon immer Musik geliebt. Das hat was Befreiendes für mich, ich tanze, nutze meinen Körper, spiele mit ihm und komme in Bewegung. Das war schon immer so! Gefühle wie Trauer, Wut und Zorn können und müssen ausgedrückt werden und da entsteht eine fast selbstverständliche Beziehung zur Musik – auch wenn meine Ohren da nicht immer mitmachen."

Simone Lönne

Thorsten Rose ist CODA und mit Lemonia verheiratet. Aus einer Alltagssituation ihn ihrer Beziehung kam er zum Musikdolmetschen:

"Ich erinnere mich noch, am Anfang unserer Beziehung hat Thorsten immer im Auto die Musik aufgedreht und gebärdet. Das hat er nur für mich gemacht. Ich hab dann gesagt: Nein, das müssen auch andere sehen können. Das sollst du nicht nur für mich machen. Es wäre doch schade, wenn andere nicht in den Genuss kämen."

Lemonia Rose

DeafPerformanceNow fordert aber: Gebärdensprache als Bühnenkunst soll von Tauben kommen.

"Meine Idee dazu ist, dass es um die Qualität der Gebärdensprache geht. Performen kann jeder, der Gebärdensprache beherrscht. Nicht jeder kann performen – da stimme ich dir zu! Aber es können auch nicht nur Gehörlose performen. Das können auch Hörende! Ich glaube, hier kommt es darauf an, dass wir zusammenzuarbeiten; dass sich mehr Hörende für den Austausch öffnen. Ich finde diese Grabenkämpfe und Aufteilung in hörende und gehörlose Performer auch nicht schön. Wir sollten zusammenarbeiten und gemeinsam ein Ziel verfolgen, das wäre mein Wunsch!"

Thorsten Rose

Blick ins Ausland

Die Schwedin Juli af Klintberg ist taube Dolmetscherin und Performerin und wurde schon mehrfach vom Eurovision Song Contest beauftragt. Sie sieht die Streitfrage, ob Hörende gebärdensprachlich performen dürfen weniger kategorisch:

"Jeder, der eine Performance macht, sich präsentieren muss, ist für mich ein Künstler. Selbst bei der Übersetzung von Texten, kann ich meine individuellen Formulierungen mit einfließen lassen und muss gleichzeitig die Intention des Autors respektieren. Ich muss mir also überlegen, wie ich Inhalt, Melodie und Rhythmus der Verfasser visuell ausdrücken – also performen möchte. Du hast jetzt gefragt, ob der Performer taub, Coda oder hörend sein sollte. Das ist mir zu sehr auf das Hören- oder Nicht-hören-können fixiert; mir geht es vielmehr um die gebärdensprachliche Komponente: Da interessiert mich viel mehr, wie die Kunst umgesetzt und visuell transportiert wird. Ist das taube Publikum genauso fasziniert wie das hörende? Haben beide den gleichen Genuss bei der Wahrnehmung? Darauf kommt’s an."

Juli af Klintberg, taube Performerin aus Schweden

Künstler mit eigenen Texten und eigener Musik

Signmark ist ein Star - nicht nur in seiner Heimat Finnland, auch in Deutschland sind seine Konzerte ein Highlight. Zu Beginn seiner Musik-Karriere kopierte er noch Lieder Hörender. Doch schließlich wollte er sich von der hörenden Welt emanzipieren, schrieb eigene Texte und suchte sich eigene Musiker, mit denen er die Auftritte bestreitet. Die Anfänge seiner Leidenschaft zur Musik liegen allerdings noch viel weiter zurück:

"Meine Eltern und auch alle anderen in meiner Familie sind taub. Aber meine Großeltern – also die ältere Generation – war hörend und niemand konnte Gebärdensprache. Bei Familienfesten wie 'Jul' gab es immer zwei Gruppen: Die Hörenden saßen ums Klavier und sangen und wir Gehörlosen saßen zusammen und gebärdeten. Das ging viele Jahre so – ich fand es immer schon schade, aber es war halt so: Die Hörenden singen und wir unterhalten uns in Gebärdensprache. Irgendwann bin ich dann zu den Hörenden gegangen und hab gefragt, was sie machen. 'Wir singen.' Ich hab versucht, von den Lippen abzulesen, was gesungen wurde und das in Gebärdensprache übersetzt. Meine Großeltern setzten mich auf den Schoß, ich spürte die Melodie des Klaviers und so hab ich dann 'gedolmetscht'. Ich holte meine Eltern und das war das erste Mal, dass wir wirklich 'zusammen' gefeiert haben. Das war der Anfang meiner Musik-Geschichte."

Marko Vuoriheimo, Signmark


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