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Snow Micro Pen statt Schneeprofil-Graben Neues aus der Lawinenforschung in Davos

Davos im Schweizer Prättigau ist Sitz des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung, kurz SLF. Es ist eine der führenden Forschungsstellen, um dem Phänomen Lawine auf den Grund zu gehen.

Von: Georg Bayerle

Stand: 03.03.2023

Snow Micro Pen statt Schneeprofil-Graben  | Bild: BR; Georg Bayerle

Hoch über Davos am Weißfluhjoch befindet sich auf 2500 Metern eines der am längsten dokumentierten Versuchsfelder zum Schnee.

Der Anriss ist übermannshoch

Jeden Morgen fährt eine Wissenschaftlerin des SLF mit der ersten Bahn hinauf, um die seit 80 Jahren bestehende Messreihe fortzusetzen. Verändert haben sich nur die Instrumente, die von Doktorandin Pia Ruttner-Jansen heute eingesetzt werden. In einem Gestell auf einem Schlitten ist ein drei Meter langer Stab montiert, der Snow Micro Pen. Von einem Elektromotor angetrieben bohrt sich die Sonde mit einer feinfühligen Spitze in die Schneedecke. Auf einem kleinen Bildschirm liest die Forscherin die Messlinie mit verschiedenen Spitzen und Ausschlägen ab: „Auf der Grafik sieht man den Ramm-Widerstand, das heißt, wieviel Kraft muss aufgewendet werden, um durch die Schneedecke zu kommen.“ Auf diese Weise kann die Forscherin die verschiedenen Schichten von der Schneedecke ableiten.

Der Snow Micro Pen ersetzt das aufwändige Graben eines Schneeprofils. Alle Daten gibt Pia Ruttner-Jansen auf der Plattform des SLF ein. Am Berg gegenüber befindet sich das Versuchsgebiet für ihre Doktorarbeit. Der steile Hang wurde im Sommer mit Sensoren ausgestattet. Zusätzlich werden Drohnen und die Fotogrammetrie eingesetzt, die eine Auflösung von drei bis fünf Zentimeter haben. Ihr Plan wäre allerdings, einen Laserscanner im Hang selbst zu installieren, der dann auch autonom messen kann.

Landschaftsformen im Schneefeld

Mit neuen Messtechniken und Datensammlungen versuchen ForscherInnen den Rätseln der Lawinen auf die Spur zu kommen. In ihrem Büro unten in Davos arbeitet Christina Perez Guillén vor dem Computer und ist damit beschäftigt, eine Künstliche Intelligenz mit Daten zu füttern und darauf zu trainieren, Lawinen vorhersagen zu können: „Wir benutzen die Daten aus dem Wetterstationen-Netzwerk sowie von der Schneedeckenstabilität. Alle drei Stunden lassen wir das Modell von Neuem rechnen, so bekommen wir den aktuellen Lagebericht und die Vorhersage“, erklärt sie. Noch werden die Berechnungen der Künstlichen Intelligenz nur als zweite Informationsquelle zu den Schneeprofilen vor Ort verwendet. Tendenziell setzt die KI die Lawinengefahr geringer an als die Experten draußen. Die Daten-Analysen machen aber deutlich, wie vielfältig und komplex die Umwandlungsprozesse im Schnee allein durch die Faktoren Temperatur und Wind ablaufen.

Eine neue Messung startet

Amelie Fees ist wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Lawinenbildung. Ihr Spezialgebiet sind die Gleitschneelawinen, die dann entstehen, wenn – meistens im Frühjahr - die gesamte Schneedecke durch die Erwärmung auf dem nackten Boden abrutscht. Die KI-Programme helfen ihr auf dem heutigen Stand nicht viel weiter, denn für Gleitschneelawinen gibt es bis dato keinen entsprechend großen Datensatz. Um diesen Lawinentyp besser erklären zu können, muss Amelie Fees wissen, was genau am Übergang zwischen dem Boden und dem Schnee passiert. Dazu hat sie einen Berghang in Sichtweite ihres Bürofensters mit Messgeräten gespickt. Wegen seiner südseitigen Exposition sind hier Gleitschneelawinen garantiert. Sensoren im Boden messen viertelstündlich den Wassergehalt und die Temperatur.

Pia Ruttner Jansen nach der Messung

Trotz aller Messgeräte und Daten - die Genauigkeit, die es bräuchte, um konsequent die Feuchtigkeit und Dichte des Schnees zu überwachen, gibt es bisher nicht. Die Wissenschaft ist nach wie vor darauf angewiesen, draußen am Berg ein Schneeprofil zu machen, um zu erkennen, was in der Schneedecke genau geschieht. Aber auch hier bleibt Unsicherheit, sagt Amelie Fees: „Lawinen sind immer gekoppelt an Wahrscheinlichkeiten. Wir können eine Lawine nicht so vorhersagen, dass wir sagen können, der Hang geht jetzt ab. Ich glaube, am Ende kann man es nie hundert Prozent kontrollieren – und genau das macht es dann für viele Leute einfach auch beängstigend.“

Schneeprobenlager in Davos

100 Menschen sterben im langjährigen Durchschnitt trotz der Warnungen jedes Jahr in den Alpen durch Lawinen. Trotz immer genauerer Methoden und Einsichten ins Innere des Naturphänomens sind längst nicht alle Rätsel gelöst. Wer im Winter Touren unternimmt, muss trotz der immer besseren Lawinenvorhersage selbst beurteilen können, wie groß die Gefahr vor Ort tatsächlich ist.

Auch Dr. Thomas Feistl, der Leiter des Lawinenwarndienstes Bayern, der mit seinem Team in den Wintermonaten im Bayern-2-Rucksackradio jeden Samstagmorgen die aktuelle Lawinenlage erläutert, hat im SLF seine Doktorarbeit geschrieben.

Eine ausführliche Sendung zur Lawinenforschung gibt es als Podcast in der Reihe „Radiowissen“:


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