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Beyond Snow Wintertourismus ohne Schnee

Trotz einer ersten Ladung Schnee auf den Bergen ist die Tendenz klar: Die Zahl der Schneetage geht zurück, es wird wärmer und die Schneefallgrenze steigt. Wie der Wintertourismus darauf reagieren kann, haben vor kurzem Experten aus dem ganzen Alpenraum in Bad Hindelang diskutiert.

Von: Georg Bayerle

Stand: 16.11.2023

Grünten: alte Lifte | Bild: BR/Georg Bayerle

Der Dortmunder Politikwissenschaftler Christoph Schuck hat schon vor ein paar Jahren ein Buch über die Lost Places von aufgegebenen Skigebieten in der Schweiz herausgegeben. Inzwischen hat er alle 545 Skiorte genau untersucht. Demnach haben über 40 Prozent der Skigebiete bisher ihren Betrieb eingestellt. Der Trend werde sich fortsetzen, so der Professor. Mit dem Skibetrieb aufgehört haben ausschließlich kleine Seilbahnen, Orte mit bis zu sieben Liften oder oft auch nur mit einem Lift. So zeigt sich immer stärker der so genannte „Matthäuseffekt“: Große Skigebiete werden immer größer und auch immer teurer, während die kleinen Skiregionen keine gute Zukunftsprognose haben.

Beschneiungsanlage am Söllereck

Gerade die Skigebiete in der Mitte - und das sind auch viele bayerische Skigebiete - stehen an einer Art Kipp-Punkt: immer noch mehr investieren oder neue Wege einschlagen. Besonders wichtig ist es deshalb, dass vom Gemeindenetzwerk „Allianz in den Alpen“ Vertreter aus dem ganzen Alpenraum zusammengebracht werden. Einer von ihnen ist Wilfried Tissot, Bürgermeister der Gemeinde St.-Pierre d’Entremont in der Chartreuse, einem Gebirgszug nördlich von Grenoble.

Das Skigebiet am Ort mit 14 Liften bis auf 2.000 Meter Höhe schrieb wegen des Schneemangels nur noch rote Zahlen. Mehrmals hatte die Kommunalaufsicht die Gemeinde angemahnt, auf Grund des jährlichen Defizits von über einer halben Million Euro etwas zu tun. Also wurden die Bürger beteiligt. Für die Gemeinde war wichtig, so der Bürgermeister, dass alle akzeptieren, dass das Defizit zu groß ist. Indem alle Interessierten mit ins Boot geholt wurden, ließ sich die emotionale Diskussion über die Zukunft des Skigebiets versachlichen und wurde zu einer ganz konkreten Problemstellung. Die Lösung: Rund 40 Skigebietsanhänger arbeiten jetzt ehrenamtlich beim Betrieb mit. Die Zahl der Pisten wurde halbiert, die Kunstschneeanlage nicht weiter ausgebaut, denn in dem Gebiet fehlt das Wasser und wegen der niedrigen Höhenlage bis maximal 2.000 Meter bietet der Kunstschnee angesichts des Klimawandels auch keine längerfristige Perspektive.

Das Beispiel aus der Chartreuse zeigt für den Coach Michael Adler mustergültig, wie die notwendige Transformation gelingen kann. So betont der Berater, dass gerade nicht die alten Muster weiter gefördert werden sollten, sondern das gesamte Problem neu gedacht werden müsse. Im Zuge der Neuausrichtung des Skigebiets hat auch die Gemeinde in der Chartreuse neue Möglichkeiten im eigenen touristischen Angebot entdeckt.

In Bayern hat es das Achental im Chiemgau geschafft, sich touristisch von Skiliften unabhängig zu machen.

In Bayern hat es das Achental im Chiemgau geschafft, sich touristisch von Skiliften unabhängig zu machen und dadurch die eigenen Stärken besser herauszustellen. Die Alternativen, wenn der Schnee fehlt, reichen von thematischen Wanderungen über Moor- und Bergwald-Erlebniswege bis zu Kindermalkursen und Knödelkochkursen. Wenn Schnee liegt, werden die Loipen gespurt und der Lift läuft, ähnlich wie in der Chartreuse. Diese Beispiele zeigen, wie der Wintertourismus 2.0 auch mit dem Klimawandel funktionieren kann.


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