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# Erstwähler Analyse vom Bildungsforscher

Professor Reinders ist Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Bildungsforschung an der Uni Würzburg. Er hat unser #Erstwähler-Projekt verfolgt. Und spricht über fehlende Parteikonturen, langweilige Wahlprogramme und klare Ansagen.

Stand: 23.09.2013 | Archiv

BR.de/nachrichten: Herr Professor Reinders, handelt es sich aus ihrer Sicht denn um typische Antworten von Erstwählern?

Professor Reinders: Die #Erstwähler hier sind ja doch eher Erstwähler mit einer größeren Bildungsnähe, insofern ist die "typische" Antwort nicht erwartbar. Spannend an den Aussagen ist aber, mit welch unterschiedlichen Themen sich die sieben Erstwähler/innen auseinandersetzen: Von Datenschutz über Außenpolitik bis hin zu Umweltschutz ist alles vertreten. Insofern finden sich wichtige Querschnittsthemen bei Jungwählern. 

BR.de/nachrichten: Welche Antworten haben Sie denn besonders überrascht?

Professor Reinders: Neben der Bandbreite an wahlrelevanten Themen hat mich überrascht, dass bis kurz vor die Wahlen teils keine Festlegung auf eine Partei erfolgt ist. Spontanes Wählen ist zwar durchaus allgemein typisch bei Erstwählern. Aber bei jemandem, der sich durch die Aktion des BR schon lange Zeit vorher mit der Frage befasst hat, überrascht dies doch und ist eher ein Ausdruck fehlender Parteikonturen als jugendlicher Unschlüssigkeit.

BR.de/nachrichten: Einige der Erstwähler hatten anfangs ja hohe Ziele geäußert, zum Beispiel, die Wahlprogramme der Parteien zu durchforsten. Passiert zu sein scheint dann nicht allzu viel. Typisch?  

Professor Reinders: Grundsätzlich nimmt man sich gerne viel vor, wenn man direkt danach gefragt wird. Das ist auch bei Erwachsenen und bei vielen anderen Themen so. Insofern überrascht die Umsetzung der Absichten nicht so sehr. Zudem sind Wahlprogramme der Parteien spannend für Parteienforscher und Journalisten, für den allgemein denkenden Menschen sind sie häufig eher unklar und - vermutlich gerade für Erstwähler entscheidend - ohne klare Kontur.

BR.de/nachrichten: Und wie könnten die Parteien dann die Erstwähler besser erreichen?

Professor Reinders: Junge Menschen mit hohem Idealismus mögen klare Ansagen ohne Hintertür. Wenn Partei A sagt, sie will die Ziegensteuer einführen, dann soll sie das auch klipp und klar so sagen.

Der Interview-Partner: Professor Heinz Reinders

Prof. Dr. Heinz Reinders ist seit 2007 Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Bildungsforschung an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sozialisation in Kindheit und Jugend sowie Migrations- und Evaluationsforschung mittels quantitativer und qualitativer Forschungsmethoden.

Forschungsauszug: Im laufenden Projekt "jeps - Jugend. Engagement. Politische Sozialisation" untersucht Professor Reinders die Auswirkungen gemeinnütziger Tätigkeit auf die Persönlichkeitsentwicklung Jugendlicher und deren Bereitschaft zu politischer Partizipation. Im Zuge des abnehmenden Interesses Jugendlicher an Politik wird in sozialem Engagement im Jugendalter eine Möglichkeit gesehen, dieses politische Interesse zu stärken und gleichzeitig förderlich für die Identitätsentwicklung im Jugendalter zu sein. (Quelle:Lehrstuhl-Homepage http://www.bildungsforschung.uni-wuerzburg.de/)

BR.de/nachrichten: Grundsätzlich, wer wählt wen? 

Professor Reinders: Nach wie vor ist die Parteienbindung stark vom Elternhaus abhängig. Außerdem gibt es bei Jugendlichen auch noch Tendenzen, in Abhängigkeit der sozialen Position bestimmte Parteien zu wählen. Und: Junge Wähler sind eher links als rechts von der Mitte zu finden.

BR.de/nachrichten: Könnte man also sagen, dass man umso konservativer wählt, desto älter man wird?

Professor Reinders: Es stimmt schon, dass Jungwähler eigentlich eher grün oder links wählen und sich diese Präferenz mit dem Alter verschieben kann. Das hat aber nichts mit der Partei an sich zu tun, sondern mit der Frage, wie deutlich die politischen Aussagen der Parteien sind. Slogans wie "Gemeinsam für Deutschland" oder "Für ein starkes Europa" sind für Jugendliche völlig unattraktiv. Die klare Ansage, bis 20xy alle Atommeiler abzuschalten, ist für Jugendliche greifbar. Ich wage sogar die These, dass Jungwähler selbst dann eher zur Partei mit klaren Ansagen neigen, wenn sie deren politischen Ziele nicht unbedingt teilen.

BR.de/nachrichten: Und warum waren die Erstwähler bei den vergangenen Wahlen kontinuierlich die Wahlmüdesten?

Professor Reinders: Es gehört zur beliebten Schelte auf die Jugend, politkverdrossen zu sein. Dabei gehören Jugendliche zu der Bevölkerungsgruppe, die neben den 35- bis 45-Jährigen am häufigsten gemeinnützig tätig ist. Bundesweit ist fast jeder zweite 14- oder 15-Jährige ehrenamtlich tätig. Dieser Beitrag der Jugendlichen zum Gemeinwohl ist also enorm hoch. Wenn Erstwähler ihr gesellschaftliches Engagement nicht in Wählen umsetzen, dann ist das eine kritische Frage, die sich Parteien dringend stellen müssen: Wieso sind wir als Partei weniger sexy als ein Seniorenheim?


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