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100 Jahre danach Der Mordfall von Hinterkaifeck

Vor 100 Jahren sind auf einem Einödhof bei Schrobenhausen sechs Menschen ermordet worden, darunter zwei Kinder. Der Fall ist bis heute ungeklärt.

Von: Petra Martin

Stand: 28.03.2022 | Archiv

Einödhof Hinterkaifeck am 5. April 1922 | Bild: Peter Leuschner

Es war ein grausamer Mord, der auf dem Einödhof „Hinterkaifeck“ nordöstlich von Schrobenhausen geschah: In der Nacht von 31. März auf den 1. April 1922 wurden alle sechs Bewohner des Hofes umgebracht: das Bauernehepaar Andreas und Cezilia Gruber, deren verwitwete Tochter Viktoria Gabriel, die siebenjährige Cezilia und der zweijährige Josef sowie die Magd Maria Baumgartner. Vier Tage blieb die grausame Tat unentdeckt.

Dem Lehrer fiel zwar auf, dass Cezilia im Unterricht fehlt und am Sonntag waren die Grubers nicht in der Kirche. Die Dorfbewohner wunderten sich allerdings nicht besonders, schließlich könnten die Hinterkaifecker auf einem Familienbesuch sein. Das Vieh wurde in der Zeit fachmännisch versorgt, so dass es ruhig blieb und auch hier zuerst kein Verdacht aufkam. Ein Mechaniker reparierte sogar noch eine Maschine. Er hatte sich selbst Zugang zum Maschinenraum verschafft, weil er den Auftrag erledigen musste und den Bauern im Wald vermutete.

Sechs Menschen brutal ermordet

Die sechs Bewohner von "Hinterkaifeck" sind unter diesem Grabstein im Friedhof von Waidhofen bei Schrobenhausen begraben.

Die Grubers galten als Einsiedler, doch nach einigen Tagen fiel es den Nachbarn und Dorfbewohnern auf, dass es von der Familie seit Tagen kein Lebenszeichen mehr gab. Der „Ortsführer“, eine Art Bürgermeister, Lorenz Schlittenbauer, fand mit zwei anderen Bauern vier Leichen in der Scheune, gestapelt und mit einer Türe abgedeckt. Die Magd war in ihrer Kammer getötet und unter einer Bettdecke gefunden worden. Besonders schockiert waren die drei Männer, dass auch der kleine Josef im Stubenwagen brutal ermordet wurde. Mit einer Spitzhacke waren sie alle erschlagen worden.

Seit damals brodeln die Gerüchte: Die Grubers galten als geizig und eigenbrötlerisch. Vater und Tochter Viktoria wurden wegen Inzest verurteilt. War der Bauer Gruber der Vater seines Enkels Josef?

Auch Lorenz Schlittenbauer geriet unter Verdacht, er hatte eine Affäre mit Viktoria. Außerdem gab es Spekulationen, dass der Mann von Viktoria, Karl Gabriel, in Wahrheit nicht im Ersten Weltkrieg gefallen war, sondern 1922 nach Hinterkaifeck zurückgekehrt war, um sich an der Familie zu rächen.

Morde nach 100 noch Jahren ungeklärt

Auch nach 100 Jahren ist der Fall noch ungeklärt. Im Zweiten Weltkrieg verbrannten zahlreiche Akten in Augsburg, Zeitzeugen leben auch nicht mehr. Die Ermittlungen wurden 1955 offiziell eingestellt. Sogar der Hof existiert seit 1923 nicht mehr, er wurde abgerissen. An der Stelle wächst außer wildem Thymian nichts. Auch über die Mordnacht will kein Gras wachsen.

Das bietet Raum für zahlreiche Spekulationen und Geschichten. Einer, der sich sehr intensiv mit Hinterkaifeck beschäftigt hat, ist der Journalist und Autor Peter Leuschner. Als 30-Jähriger stieß er 1977 auf die Ermittlungsakten der Polizei und Justiz. Seit dem beschäftigt ihn der Fall – und er sich mit dem Fall. Drei Bücher hat er darüber geschrieben.

In seinem Buch „Der Mordfall Hinterkaifeck“ geht er zum einen auf das Rätsel um das Tatmotiv ein. War es Raubmord? War es ein religiös motivierter Sühnemord? Zum anderen fragt er, warum Polizei und Justiz jahrelang von einem Raubmord ausgingen, obwohl der Täter Schmuck und Geld zurückließ? Warum sollte ein Raubmörder weitere drei Tage auf dem Hof bleiben und das Vieh versorgen?

"Es gibt bis heute kein wirkliches Motiv. Die Akten wurden lange unter dem Betreff Raubmord geführt. Aber man weiß, dass es kein Raubmord war, weil nichts geraubt wurde."

Autor Peter Leuschner

Einer, der die Raubmord-Variante ebenfalls anzweifelt, ist der Münchner Filmemacher Kurt Hieber. Er wuchs nur 15 Kilometer entfernt von dem Einödhof Hinterkaifeck auf. Er hat bereits zwei Filme über den rätselhaften Fall gedreht: "Hinterkaifeck - Auf den Spuren eines Mörders" (1991) und erneut 2009: "Hinterkaifeck - Die wahre Geschichte hinter Tannöd". In seinen Dokudramen zeigt er, wie unwahrscheinlich die Raubmord-Variante ist. Es gab keine Einbruchspuren, Geld und Wertgegenstände fehlten nicht.

"Spannend ist, warum die Polizei den Mörder nicht gefunden hat. Der Kommissar war nur zehn Stunden vor Ort, um den sechsfachen Mord aufzuklären. Danach ist er wieder nach München gefahren. Ich denke, in München waren ein paar, die gesagt haben: In Hinterpfuideife haben sich ein paar Bauern die Köpfe eingeschlagen. Da werden wir eh keinen finden. Und das ist eigentlich der Skandal, dass sich da keiner interessiert hat."

Regisseur Kurt Hieber

Untersuchung mit modernen Ermittlungsmethoden

Für eine Studienarbeit untersuchten 2007 15 Fürstenfeldbrucker Polizeischüler der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege den Fall erneut. Sie sahen dafür die Unterlagen neu durch. Sie zeigen auf, wie schlampig damals ermittelt wurde. Nicht einmal Fingerabdrücke wurden genommen, obwohl das 1922 durchaus üblich war. Der Bericht der studentischen Untersuchung ist zwar öffentlich einsehbar, einen Mörder benennt er nicht.

"Nach kurzer Zeit der Einarbeitung in den Fall stand unabhängig von den einzelnen Mitgliedern der Gruppe schnell fest, wer der wahre Täter gewesen sein muss. Zu vieles spricht für ihn, fast nichts gegen ihn. Angefangen von Ermittlungspannen, beharrlicher Ausschluss als Hauptverdächtiger, nicht nachvollziehbare Handlungen des ermittelnden Staatsanwaltes und auch vorhandene Ortskenntnisse, um nur einige zu nennen. […] Ein Name wird immer im Zusammenhang mit diesem mehrfachen Mord von Hinterkaifeck in unseren Köpfen auftauchen."

Fazit der Studenten der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung und Rechtspflege in Bayern, Juni 2007

Die Polizeihauptmeisterin Michaela Forderberg-Zankl leitete das Projekt damals. Auch sie lässt der Fall Hinterkaifeck nicht mehr los. Von der Raubmordtheorie hält sie ebenfalls nichts, die Ermittler hätten daran viel zu lange festgehalten.

"Die Opfer waren alle abgedeckt. Das spricht dafür, dass der Täter die Opfer kannte und so eine Art Wiedergutmachung wollte."

Polizeihauptmeisterin Michaela Forderberg-Zankl

Krimi, Film und Theater

Der mysteriöse Mordfall Hinterkaifeck wurde nicht nur in zahlreichen Zeitungsberichten immer wieder aufgegriffen. Er ist Thema in zahlreichen Büchern, es gibt Theaterstücke und Filme. Eines der bekanntesten Bücher ist wohl "Tannöd", der Krimi von Andrea Maria Schenkel. Die Regensburgerin veröffentlichte den Kriminalroman 2006 in einem kleinen Hamburger Verlag. Das Buch ist ein Bestseller und wurde millionenfach verkauft. Etwa ein Jahr später bezichtigte der Sachbuchautor Peter Leuschner Schenkel des Plagiats und klagte. Das Landgericht München sprach die Autorin frei. Der sprachliche Abstand beider Werke - Sachbuch und Roman - sei ausreichend. Das Oberlandesgericht bestätigte das Urteil in zweiter Instanz.


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