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Thomas Klupp Wie ich fälschte, log und Gutes tat

Thomas Klupp debütierte vor neun Jahren mit dem von der Kritik gelobten Roman "Paradiso". Doch dann wurde es still um den Autor. Der Grund: er gründete eine Familie. Nun hat er seinen langerwarteten zweiten Roman veröffentlicht.

Von: Dirk Kruse

Stand: 30.10.2018 | Archiv

Buchtipp Thomas Klupp "Wie ich fälschte, log und Gutes tat" | Bild: Berlin Verlag / Foto: BR-Studio Franken/Baumann

"In Weiden kamen die Leute aus allen Löchern gekrochen, nur um meinen Eltern die Hand zu schütteln. Schon klar, weshalb sie kamen. Weil mein Vater der neue Chef der Unfallchirurgie war. In einer Stadt wie Weiden zählt das noch was. Ihn hat das aber null interessiert. Mein Vater ist kein sozialer Typ. Der operiert, bis ihm die Finger zittern, dann guckt er Heute Journal und schimpft auf die Griechen oder Italiener, und danach geht’s ins Bett. Das hat er als Stationsarzt in München schon gemacht, und das macht er heute genauso. Das macht er bestimmt, bis er stirbt."

Auszug aus dem Roman

Weiden ist der Stoff, aus dem Thomas Klupp seine schwarzhumorige Literatur macht. Auch sein zweiter Roman „Wie ich fälschte, log und Gutes tat“ spielt in der oberpfälzischen Kleinstadt. Denn dort ist der 1977 in Erlangen geborene Autor aufgewachsen. Dort besuchte er wie sein Romanheld, der 16-jährige Benedikt Jäger, das Keppler-Gymnasium. Dort kennt er sich aus, auch wenn er schon lange in Hildesheim und Berlin lebt.

"Ich bin tatsächlich ein Schreiber, der von biographischen Momenten herkommt. Nur müssen die natürlich destilliert, verdichtet, überformt werden. Mein Vater ist nicht Chirurg und Chefarzt am Klinikum, er ist HNO-Arzt. Meine Mutter ist nicht Musiktherapeutin, sondern Psychiaterin. Die sind schon deutlich anders, als in diesem Buch geschildert. Aber tatsächlich ist natürlich das Milieu des akademischen Bürgertums, vielleicht auch ein bisschen das Aufsteigerbürgertum aus bäuerlichen Familien herstammend, das Milieu, in dem ich mich auskenne, und aus dem ich erzählerisches Kapital schlagen kann."

Thomas Klupp, Autor

Benedikt Jäger ist ein sympathischer Hallodri, faul in der Schule, aber gewitzt. Seine kleinen Alkohol- und Drogenexzesse weiß er geschickt zu tarnen und sich gleichzeitig bei Lehrern und Eltern Lieb Kind zu machen. Benedikt bemerkt schnell, dass in einer übersichtlichen Kleinstadtwelt der Schein wichtiger ist als das Sein, und verhält sich entsprechend. Sein Blick auf die Erwachsenenwelt ist von listiger Naivität und ziemlich demaskierend. Egal ob es darum geht, bei der Lions Club-Party seiner Mutter den Vorzeigesohn zu spielen oder als Tennischampion der Schule auf Werbeplakaten gegen den Konsum von Drogen zu werben und dabei gleichzeitig zu kiffen wie ein Schlot.

"Bei Benedikt Jäger war es so, dass ich jemanden wollte, der schief und ein bisschen halunkisch und auch schelmenhaft und manchmal auch ein bisschen zynisch auf die Welt schaut, auf der anderen Seite aber auch das Gute sieht. Der also eine Menschlichkeit und eine positive Naivität noch als Reststück bewahrt hat. Ich wollte einen ambivalenten Charakter haben, der von unten auf diese Welt schaut, und diese Welt, in die er jetzt hineinwächst, entlarvt und ein wenig aufdeckt mit ihren Schiefheiten. Das war die Idee zu dieser Figur."

Thomas Klupp, Autor

Schwer durchtrieben ist Benedikt auch bei der Verschleierung seiner schlechten Schulnoten. Seit es ESIS gibt, das Elektronische-Schüler-Informations-System, in dem die Eltern über jede Schulnote und jede Fehlzeit sofort elektronisch informiert werden, ist das Tricksen beim Schulschwänzen und Unterschrift-der-Eltern-fälschen nur noch etwas für IT-Cracks. Aber Benedikt entwickelt mit Cleverness und krimineller Energie ein System, um ESIS auszutricksen, bis die Schulleiterin eine neue Eltern-App ankündigt.

"Und jetzt laberte die Fürstenberg irgendetwas von einem ESIS-Update daher, irgendetwas Vages von wegen „Optimierung der Kommunikation durch smarte Technik“, und mir brannten halb die Sicherungen durch. Ich warf einen Blick über die Schulter zu Prechtl. Der saß wie aufgerichtet auf seinem Stuhl und blickte mit schreckensweiten Augen nach vorn. 'Fuck', formten seine Lippen, 'Fucking Hell', formten meine zurück."

Auszug aus dem Roman

Info & Bewertung

Wertung: 5 Frankenrechen von 5 | Bild: BR

Thomas Klupp: Wie ich fälschte, log und Gutes tat, München, Berlin 2018, Berlin Verlag, 256 Seiten, 20,00 Euro, ISBN 978-3-8270-1366-8

Wie Benedikt sich abrackert, damit sein Lügengebäude nicht einstürzt, und gleichzeitig die Wirren der Pubertät meistert, davon handelt dieser hochkomische und bitterböse Schelmenroman. Besonders gut ist Thomas Klupp die Rollenprosa seines jugendlichen Ich-Erzählers gelungen, die keine aktuelle Jugendsprache imitiert, sondern eigene erzählerische Mittel findet, um den Ton glaubwürdig zu treffen.

"Ich komme immer von einem Ton her. Ich muss immer eine subjektive Färbung im Erzählton haben. Ich habe lange danach gesucht. Denn Jugendsprache als 41-Jähriger nachzubilden, oder zu versuchen, sich anzubiedern an einen Slang, das muss schiefgehen, glaube ich. Ich habe deshalb versucht über die Syntax, über gewisse formelhafte Wendungen und über ein relativ schnelles Erzählen eine Jugendlichkeit zu fingieren oder zu suggerieren. Das war die Idee. Und es hat irgendwann Klick gemacht und dann war der Ton da."

Thomas Klupp, Autor

Unterhaltsam und hintersinnig ist dieser Roman. Zu den Ikonen der Coming-of-Age-Literatur wie J.D. Salingers „Der Fänger in Roggen“, Jim Carrolls „Basketball Diaries“ und Wolfgang Herrndorfs „Tschick“ hat sich ein weiteres Werk gesellt. Thomas Klupps „Wie ich fälschte, log und Gutes tat“ hat das Zeug dazu ein moderner Klassiker der Adoleszenz-Literatur zu werden.


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