Bayern 2 - Zum Sonntag


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Zum Sonntag Glaubenskrise oder Vertrauenskrise?

Haben wir das Vertrauen verlernt? Müssen wir in Zeiten von Fake News und Künstlicher Intelligenz eine neue Form des Vertrauens finden? Ohne geht es jedenfalls nicht, weder mit Blick auf das Zusammenleben, die Digitalisierung oder den Glauben an Gott.

Von: Antje Schrupp

Stand: 25.11.2023

Manchmal findet man Aufschlussreiches zum Thema Religion an ganz überraschender Stelle. Zum Beispiel im neuen Buch des Publizisten und Internet-Erklärers Sascha Lobo. Es heißt „Die große Vertrauenskrise“, könnte aber genauso gut „Die große Glaubenskrise“ heißen, denn „Glauben“ und „Vertrauen“ sind im Griechischen, also der Sprache des Neuen Testaments, ein und dasselbe Wort: „pistis“.

Dass „pistis“ immer mit „Glauben“ übersetzt wird, führt leicht zu Missverständnissen. Denn im heutigen Alltagsdeutsch bedeutet „glauben“ so viel wie „für wahr halten“. Wenn Menschen also aufgefordert werden, an Gott „zu glauben“ denken sie, sie sollten etwas Unbewiesenes für wahr halten, nämlich die Existenz eines Wesens namens „Gott“.

Ohne Vertrauen kein Zusammenhalt

Dabei ist mit „pistis“ etwas anderes gemeint, und zwar ungefähr das, was Sascha Lobo über das Vertrauen schreibt: Dass man anderen Menschen erst einmal unterstellt, dass sie es gut mit uns und der Welt meinen. Aber auch in einem abstrakteren Sinn Zuversicht und die Erwartung, dass das Leben einen Sinn ergibt. Dass die Dinge sich zum Guten wenden können.

Immer mehr Menschen begegnen der Welt um sie herum aber mit grundsätzlichem Misstrauen, und das ist ein Problem. Denn ohne Vertrauen gibt es keinen gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Laut Sascha Lobo hat diese Vertrauenskrise auch strukturelle Ursachen. Sie hängen mit den Veränderungen durch das Internet zusammen. Früher basierte Vertrauen auf Instanzen, Institutionen, Hierarchien. Wer eine bestimmte Position innehatte, verfügte über Informationen, die der breiten Masse nicht zugänglich waren und auch gar nicht sein konnten. Es blieb den Menschen also nichts anderes übrig, als sich auf diese Autoritäten zu verlassen - jedenfalls solange nicht das Gegenteil bewiesen war. Das nennt Lobo „Das alte Vertrauen“.

Neues Vertrauen

Heutzutage kann im Prinzip alles transparent gemacht werden, man muss es ja nur ins Internet stellen. Das hat die Beweislast umgekehrt. Wenn heute Informationen nicht öffentlich verfügbar sind, fragt unweigerlich jemand: Warum nicht? Was soll hier verheimlicht werden?

Lobo argumentiert nun, dass „neues Vertrauen“ nur auf der Grundlage von Transparenz entstehen kann. Ansprechbarkeit, niedrige Zugangshürden, die Bereitschaft, Prozesse und Entscheidungsgrundlagen leicht verständlich zu erklären - das sind heute die entscheidenden Faktoren, die Vertrauen entstehen lassen. Egal ob es um politische Parteien, Behörden und Medien geht oder um die Kirche.

Aber was ist mit den Gefahren des Internet? Müssten wir es nicht noch viel stärker kontrollieren? Was ist mit der russischen Troll-Propaganda oder einer unkontrollierten „Künstlichen Intelligenz“?

"Maschinenvertrauen"

Viele dieser Befürchtungen sind nur allzu berechtigt, schreibt auch Sascha Lobo. Wir müssen das ernst nehmen. Aber ein Leben ohne diese Internetmaschinen ist gar nicht mehr möglich. Wir müssen mit der Technologie handeln und nicht gegen sie. „Maschinenvertrauen“, schreibt Lobo, entstehe „wie das gar nicht so unähnliche Gottvertrauen aus einer Mischung aus Selbstvertrauen, Wissen und Hoffen oder Glauben.“

Am Ende ist also alles wie gehabt: Die Welt ist zu komplex als dass wir Menschen sie restlos verstehen könnten. Sie enthält Unwägbarkeiten und Unvorhersehbares, dem wir als Einzelne ausgeliefert sind. Wir müssen damit zurechtkommen, dass wir existenziell auf Dinge angewiesen sind, die wir nicht unter Kontrolle haben.

Und genau das ist das Thema von Religion. Fromm sein bedeutet, auch in einer so schwierigen Lage nicht zum Menschenfeind oder zur Egoistin zu werden, sondern nach besten Kräften daran mitzuwirken, dass die Welt ein lebenswerter Ort für alle sein kann.


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