Bayern 2 - Zum Sonntag


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Zum Sonntag Zivilcourage ist das Gebot der Stunde

Mut – das war über Jahrhunderte eine Tugend, eine Haltung, die ausschließlich bei militärischen Kampfhandlungen, in der Situation des Krieges Thema war. Doch Mut braucht es auch im Alltag. Zivilcourage ist das Gebot der Stunde, sagt Udo Hahn, Direktor der Evangelischen Akademie Tutzing.

Von: Udo Hahn

Stand: 09.02.2024

Mut – das war über Jahrhunderte eine Tugend, eine Haltung, die ausschließlich bei militärischen Kampfhandlungen, in der Situation des Krieges Thema war. Dass es Mut auch im Alltag braucht, hat in Deutschland Reichskanzler Otto von Bismarck erstmals zum Thema gemacht. 1864 stellte er die Zivilcourage – wörtlich übersetzt: den Bürgermut – dem militärischen Mut gegenüber. Damals beklagte er, dass ihn ein Verwandter im Preußischen Landtag nicht unterstützt habe. Was auf dem Schlachtfeld normal sei, kritisierte Bismarck, fehle ganz offensichtlich im Alltag: die Zivilcourage.

Zivilcourage als Mut der Bürgerinnen und Bürger, Verantwortung zu übernehmen

Das ist in diesen Tagen und Wochen der Tenor auf allen Demonstrationen gegen Rechtsextremismus und ein Erstarken der AfD. Zivilcourage als Mut der Bürgerinnen und Bürger, Verantwortung zu übernehmen. So wird im Französischen die "courage civil" bereits seit Beginn des 19. Jahrhunderts als "Bürgertugend" beschrieben. Gemeint ist der Mut des Einzelnen zum eigenständigen Urteil. In der englischen Sprache wird Zivilcourage übrigens mit "moral courage" übersetzt. Das lenkt den Blick auf das, worum es ganz entscheidend geht: um Moral, um Werte und Regeln, die das Miteinander bestimmen.

Seit die AfD in den Parlamenten sitzt, hat sich die Debattenkultur verändert

Sprach- und politikwissenschaftliche Analysen weisen schon lange auf Veränderungen auch in Deutschland hin. Dass es im Streit mal heftig werden kann, wenn Positionen schier unversöhnlich aufeinander prallen – das ist nichts Ungewöhnliches. Aber seit die AfD in den Parlamenten vertreten ist, hat sich aus Sicht vieler Beobachter die Debattenkultur in hierzulande massiv verändert. Rechtsextremes Gedankengut, gezielte Provokationen und Lügen treten in einem Maße zu Tage, das nicht mehr als üblich bezeichnet werden kann.

Grenzüberschreitungen der AfD passieren absichtlich

Hinzu kommt: Die Grenzüberschreitungen sind kein Zufall. Sie geschehen nicht unbedacht, sondern absichtlich. Und subtil. Das ist die vielleicht schlimmste Form, die sich einer Sprache der Verharmlosung bedient. Bestes Beispiel: von Remigration zu sprechen, wo es doch um Deportation geht, um die willkürliche Ausweisung von Menschen mit Migrationshintergrund, selbst wenn diese einen deutschen Pass haben.

"Remigrations"-Pläne haben vielen die Augen geöffnet

Deportationsphantasien sind aktuell der Auslöser, der viele Menschen auf die Straßen treibt. Im rechtsextremen Gedankengut sind sie seit langem fest verwurzelt. Aber der Geheimplan hochrangiger AfD-Politiker, Neonazis und Unternehmer bei einem Treffen im November in einem Hotel bei Potsdam, hat vielen die Augen geöffnet. Die Werte, die rechtsextremes Denken bestimmen, haben mit den Werten unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nichts zu tun. Sie widersprechen Artikel 1 des Grundgesetzes: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Heißt im Klartext: Jedes Leben ist unantastbar. Niemand steht über dem Gesetz und darf sich herausnehmen, über den Wert menschlichen Lebens zu entscheiden.

Aus unmenschlichen Plänen können unmenschliche Taten folgen

Neben der Menschenwürde widerspricht rechtsextremes Gedankengut allen Werten, die dem Grundgesetz heilig sind und allen heilige sein müssten: Freiheit, Gleichheit, Gerechtigkeit und Sicherheit. Die Zivilgesellschaft in Deutschland zeigt Zivilcourage, wenn sie sichtbar für Demokratie und Werte eintritt. Ob diese Brandmauer hält? Dazu braucht es das couragierte Verhalten eines jeden Einzelnen auch im Alltag. Dort, wo es mit einem Widerspruch schnell ungemütlich werden kann: beim Kaffee-Plausch, unter Kolleginnen und Kollegen, im Verein, auf einer Party, im Hörsaal. Wie gut, dass es viele Initiativen gibt, die Trainings anbieten, in denen man lernen kann, sich zu wehren. Denn Wegschauen ist die schlechteste Option. Sonst werden aus unmenschlichen Plänen unmenschliche Taten.


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