Bayern 2 - Zum Sonntag


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Zum Sonntag Ware Mensch - doch der wahre Skandal liegt woanders

In der Serie "Paradise" können Lebensjahre auf einen anderen Menschen übertragen werden. Eine Utopie - doch die Ausbeutung des menschlichen Körpers findet längst statt, kommentiert Antje Schrupp. Das einzige Gegenmittel: soziale Gerechtigkeit.

Von: Antje Schrupp

Stand: 18.08.2023 15:21 Uhr

Seit einigen Wochen wird bei Netflix der Film "Paradise" gezeigt. Die deutsche Produktion mit Iris Berben als skrupelloser Unternehmerin und Kostja Ullmann und Corinna Kirchhoff in den Hauptrollen spielt in einer gar nicht so fernen Zukunft, in der es mit DNA-Manipulationen möglich ist, Lebensjahre von Mensch zu Mensch zu übertragen. Ein kleiner medizinischer Eingriff, und die eine Person altert binnen weniger Tage um die vereinbarte Menge an Jahren – fünf, zehn, fünfzehn – die andere verjüngt sich entsprechend.

Gleich in der ersten Szene (die kann ich erzählen, ohne groß zu spoilern) erfahren wir den Preis dafür: Ein junger Mann in einem Flüchtlingslager wird überredet, 15 Jahre seines Lebens zu verkaufen. 700.000 Euro würde er dafür bekommen, genug Geld, damit seine ganze Familie in Sicherheit ein neues Leben beginnen kann.

Lebensjahre verkaufen? Das Gedankenexperiment ist schon spannend

Darf man das, Lebensjahre verkaufen? Natürlich nicht. Aber das Gedankenexperiment ist schon spannend: Mal angenommen, jemand würde sowas erfinden – die Nachfrage, da bin ich ziemlich sicher, wäre da. Jeden Tag fliehen Hunderte in Booten übers Mittelmeer. Allein dieses Jahr sind schon 2.000 bei dem Versuch gestorben. Menschen sind bereit, ihr Leben für Freiheit und Sicherheit zu riskieren, wahrscheinlich würden etliche auch 15 Lebensjahre hergeben, wenn sie damit ihren Kindern eine sichere Zukunft garantieren könnten.

Natürlich wäre die Entrüstung bei uns groß, wenn jemand tatsächlich so ein Verfahren auf den Markt bringen wollte. Wahrscheinlich gäbe es Gesetzesinitiativen, die Technologie zu verbieten, der Ethikrat würde sie verurteilen, die Kirchen mahnende Stellungnahmen schreiben.

Aber würde das helfen, ein Verbot? 

Alles, was möglich ist, werden Menschen auch machen

Friedrich Dürrenmatt hat in seinem Drama "Die Physiker" vor 60 Jahren gezeigt, dass ein Wissen, das einmal in der Welt ist, sich nicht mehr zurückdrängen lässt. Oder anders gesagt: Alles, was möglich ist, werden Menschen auch machen. Wenn nicht legal, dann eben illegal. Auch in dem Film gibt es skrupellose Ärzte, die die medizinische Prozedur bei entsprechender Bezahlung jenseits des Gesetzes vornehmen, in Hinterhöfen und unter dubiosen Umständen.

Was ein Glück, dass so etwas medizinisch gar nicht möglich ist, nicht nur jetzt nicht, sondern wohl auch in der Zukunft. Aber es gibt ja andere, vom Grundsatz her ähnlich gelagerte biopolitische Themen: Leihmutterschaft, wo die Fähigkeit, ein Kind zu gebären, als Dienstleistung gehandelt wird. Der Verkauf von Eizellen. Illegale Organspenden.

Die kommerzielle Ausbeutung des menschlichen Körpers findet längst statt

Die kommerzielle Ausbeutung des menschlichen Körpers und seiner Fähigkeiten findet längst statt. Sie ist aber nicht vor allem ein technologisches oder juristisches Problem, sondern ein soziales: Dass jemand ein Organ spendet oder für eine andere Person ein Baby austrägt oder meinetwegen auch Lebensjahre überträgt ist nicht per se ein Skandal. Es kann im Einzelfall gute Gründe geben.

Der eigentliche Skandal ist die riesige Kluft zwischen Arm und Reich, die Menschen dazu bringt, ihren Körper als Ressource auszuschlachten. Nicht aus irgendwelchen guten Gründen, sondern aus der Not heraus, weil es sich vermeintlich irgendwie "rechnet". 

Je ungerechter die Welt ist, desto leichter können Menschen ausgebeutet werden

Je ungerechter die Welt ist, desto leichter können Menschen ausgebeutet werden. Solange die einen mit Macht, Privilegien und unbegrenzten Ressourcen ausgestattet sind, während andere kaum Perspektiven und Möglichkeiten haben, ihr Leben zu gestalten, lässt sich kaum verhindern, dass auch der Körper zur Ware wird.

Der Einsatz für soziale Gerechtigkeit ist deshalb die wichtigste und erfolgversprechendste Maßnahme gegen einen unethischen Missbrauch von Biotechnologien. Gut, dass Filme wie "Paradise" uns daran erinnern.


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