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Kritik am Merkantilismus

Vergiftet am Arbeitsplatz um 1770 Kritik am Merkantilismus

Stand: 02.03.2020

Francois Quesnay, Mediziner und Nationalökonom. Begründer des Physiokratismus | Bild: picture-alliance/dpa

Als Vordenker und Sprachrohr eines neuen Denkens tut sich der Arzt und Ökonom François Quesnay (1694-1774) hervor. Quesnay, seit 1749 Leibarzt Ludwigs XV., beschäftigt sich intensiv mit landwirtschaftlichen und wirtschaftspolitischen Fragen. Möglicherweise angeregt durch seine Kenntnisse des menschlichen Blutkreislaufs, entwickelt er 1758 mit dem Tableau économique ein analoges Modell für den wirtschaftlichen Waren- und Geldkreislauf. In dieser schematischen Darstellung versucht Quesnay erstmals, alle volkswirtschaftlichen Vorgänge in einem einheitlichen Kreislaufmodell zu erfassen.

Ein zentraler Gedanke der Kreislauftheorie ist die Erkenntnis, dass Produktion, Verteilung und Verbrauch zusammenhängen, einander bedingen und nicht isoliert betrachtet werden dürfen. Ebenso grundlegend ist die Abkehr vom Goldvorrat als Maß des nationalen Wohlstands. Denn in schärfstem Gegensatz zu den Merkantilisten lehrt Quesnay, dass sämtlicher Wohlstand von der Natur und der Landwirtschaft ausgeht. Da alle Teilnehmer des geschlossenen Wirtschaftskreislaufs vom primären Ertrag der Landwirtschaft leben, muss der von den Merkantilisten vernachlässigte Agrarsektor besonders gefördert werden.

Das theoretische Fundament seines Kreislaufmodells legt Quesnay mit einer Aufteilung der Gesellschaft in drei Klassen, die sich nicht durch Geburt, sondern erstmals durch ihre wirtschaftliche Funktion definieren:

  • Die produktive Klasse (classe productive) umfasst die Bauern, landwirtschaftlichen Pächter und Arbeiter mit ihren Familien. Sie erwirtschaftet als einzige Klasse mit ihrer Arbeit einen volkswirtschaftlichen Überschuss, den alle anderen Klassen verteilen und verzehren.
  • Die sterile Klasse (classe stérile) setzt sich aus bürgerlichen Handwerkern, Händlern, Kaufleuten und Bankiers zusammen. Obwohl Handwerker und Händler ebenfalls arbeiten, bringen sie keinen Wohlstandszuwachs hervor, denn sie formen nur die von der produktiven Klasse erzeugte stoffliche Wertsubstanz in verschiedene Gebrauchswerte um. Die Klasse der Gewerbetreibenden gilt deswegen als ökonomisch "steril".
  • Die distributive Klasse (classe des propriétaires oder classe distributive) umfasst die adligen und kirchlichen Grundeigentümer nebst ihrem Hofstaat. Ihre Aufgabe besteht darin, den frei verfügbaren gesellschaftlichen Reichtum so unter die beiden arbeitenden Klassen zu verteilen, dass der Wirtschaftsprozess ohne Störungen ablaufen und sich periodisch in immer gleicher Wiese wiederholen kann.

Physiokratie - Herrschaft der Naturgesetze

Die zirkulär verbundenen Elemente des Wirtschaftskreislaufs stellen einen Regelkreis dar, der sich am besten selbst im Gleichgewicht einer von Gott eingesetzten Naturordnung (orde naturel) erhält. Da die gesellschaftliche Ordnung der natürlichen Ordnung entsprechen muss, um die ewigen Naturgesetze abzubilden, kann die Aufgabe des Staates nur darin bestehen, die tatsächliche politische Ordnung (ordre positif) an die natürliche Ordnung (ordre naturel) anzupassen. Dazu muss sie alle Gesetze abschaffen, die der natürlichen Ordnung widersprechen. Aus dem unbedingten Primat der natürlichen Ordnung leitet sich der Begriff Physiokratie (Naturherrschaft von griech. physis = Natur und kratein = herrschen) als Bezeichnung für die neue wirtschaftliche Schule der Physiokraten ab.

Quesnay selbst bündelt diese zentrale Forderung in dem berühmten Ausspruch Laissez faire et laisser passer (Lassen Sie machen und lassen sie passieren) als programmatischen Ruf nach unbeschränkter Gewerbe- und Handelsfreiheit.

Zentrale Forderungen der Physiokraten

  • Abschaffung merkantilistischer Monopole und Privilegien
  • Aufhebung überhöhter, handelshemmender Zölle und Steuern
  • Beschränkung staatlicher Eingriffe in den Wirtschaftskreislauf auf ein Mindestmaß
  • Reduktion protektionistischer und dirigistischer Maßnahmen
  • Staatliche Garantie freier wirtschaftlicher Betätigung und des Eigentums an den Produktionsmitteln
  • Auflösung der Zünfte und Gilden, freier Berufszugang nach Eignung
  • Erleichterung des Binnenhandels
  • Förderung der landwirtschaftlichen Produktion und Erhöhung der Agrargüterpreise
  • Abschaffung der unbezahlten Zwangsarbeit der Bauern (Frondienste),
  • Reduktion des Steuersystems auf zwei Steuern
  • Freihandel mit allen Staaten, Beseitigung staatlicher Handelshemmnisse

Adam Smith und die "unsichtbare Hand"

Adam Smith (1723-1790), der schottische Moralphilosoph, Aufklärer und Begründer der klassischen Nationalökonomie, geht ebenfalls auf Konfrontationskurs zum Merkantilismus. Nicht Abschottung, sondern ein freier Warenverkehr ohne staatliche Einmischung und Zollschranken gewährleistet das bestmögliche Gedeihen der Wirtschaft.

Die Wirkungen des freien Wettbewerbs beschreibt Smith als "unsichtbare Hand", die Angebot und Nachfrage so steuert, dass beide Seiten Profit daraus ziehen. Die Regierungen sollen nur für einen funktionierenden Handel sorgen und öffentliche Güter wie die Landesverteidigung sicherstellen. Dann, so Smith, wird die "unsichtbare Hand" ihre "magische Arbeit" schon erledigen.

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