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Ende der Welt - Die tägliche Glosse Wer oder was heißt hier eigentlich bekloppt?

Er finde es „völlig bekloppt, sich irgendwie an ein Bild festzukleben oder auf der Straße“, hat der Bundeskanzler gesagt. Ein Doppelwumms ist das in Sachen Klarheit und bildhafter Ansprache. Aber es ist so eine Sache mit der Narretei. Eine Glosse von Georg Bayerle.

Von: Georg Bayerle

Stand: 24.05.2023

Der Typus des Narren ist ja vermutlich so alt wie der Mensch an sich und wer könnte sich derart erheben, zu behaupten, von aller Narretei frei zu sein? Ganz abgesehen davon, dass es verdienstvoll zur Erheiterung der anderen beiträgt, wenn man sich narrenmäßige Ausrutscher erlaubt. Wie wichtig das Narrische für uns als Gesellschaft und die kulturelle Fortentwicklung ist, zeigt sich ja außerdem in der kalendarisch fest verankerten närrischen Zeit, deren Beginn und Ende viel zuverlässiger sind als beispielsweise der Frühling oder, sagen wir, der Schnee zu Weihnachten.

Während die Inuit, wie es ja immer so schön heißt, 40 Wörter für den Schnee in allen seinen Daseinsformen haben, verfügen wir vermutlich über 400 Wörter für alle Arten des Narrischen. „Bekloppt“ ist eines aus diesem überreichen Wortfeld. Es mag jüngeren und vor allem südlichen Ohren etwas fremd und altbacken klingen, deswegen hier gleich einige Übersetzungen: deppert, bescheuert, behämmert, gaga, beknackt oder auch meschugge, ein wunderbares Wort aus dem Jiddischen – alles wahlweise steigerbar mit „mega“.

Wenn wir endlich serienmäßige Voicerecorder in den Autos haben, die die morgendliche Flucherei im Berufsverkehr an eine KI funken, dann können wir die Ohren anlegen; erst recht, wenn der Stau mal wieder von irgendwelchen Klebern verursacht worden ist! Dem nicht gerade für seine Geistesblitze bekannten Bundeskanzler ist jetzt in seiner hanseatisch megacoolen Art aber mal ein richtiger Knaller gelungen. Er finde es „völlig bekloppt, sich irgendwie an ein Bild festzukleben oder auf der Straße“. Ein Doppelwumms ist das in Sachen Klarheit und bildhafter Ansprache.

Ohne einen Schuss Narrheit kein Genie

Das aus hiesiger Sicht als Fremdwort einzustufende „bekloppt“ kommt aus dem Niederdeutschen und meint soviel wie „beklopft“ – also wohl jemanden, die/der einen Hau hat oder etwas gegen den Schädel bekommen hat, so dass Fehlschaltungen im Hirn hervorgerufen wurden. Behämmert könnte man südlicher auch sagen. Etwa wie der, der nach zweimaligem Berufsverkehrsstau am Tag mit dem Auto ins Fitnessstudio fährt, dann den Aufzug in den dritten Stock nimmt und aufs Laufband geht? Oder bei der Bahn; die, notorisch verspätet, Verluste schreibt, aber dem Vorstandschef das Gehalt verdoppelt?

Es ist so eine Sache mit der Narretei und wir wollen jetzt nicht die „positive Unvernunft“ rühmen, die Kant hervorgehoben hat. Sein Münchner Philosophenkollege Schelling hat es in einen lateinischen Satz gegossen: „Nullum magnum ingenium sine quadam dementia“ – zu deutsch: ohne einen Schuss Narrheit kein Genie. Das ist die gute Nachricht an alle Bekloppten. Und wir Normalos wissen mal wieder nicht, wie es der Bundeskanzler nun wirklich gemeint hat!


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