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Pop-Ikone, Box-Fan und Bad Boy Wolf Wondratscheks neuer Roman "Selbstbild mit russischem Klavier"

"In der großen Trockenheit wissen wir, dass ein Funke genügt, um einen Brand zu erzeugen. Irgendwann weiß man: Rette dich in eine Arbeit. Soll ich morgens einkaufen gehen, abends das Eingekaufte essen, das ist alles so langweilig. Ich finde auch die Menschen zunehmend langweiliger, und mich selber auch langweilig, und dann kommt so ein Funke, von dem man hofft, dass er so einen Brand in einem auslöst: ein Bedürfnis, die alte Zauberkiste, die die deutsche Sprache ist, wieder aufzumachen und die Geister frei atmen zu lassen", erzählt Wolf Wondratschek im Exklusiv-Interview.

Von: Cornelia Zetzsche

Stand: 11.08.2018 | Archiv

Wolf Wondratschek | Bild: picture-alliance/dpa

Zu seinem 75. Geburtstag am 14. August hat Wolf Wondratschek, die Ikone der Pop-Lyrik, der Biograph von Boxern und Halbwelt-Größen, von Musikern und einem legendären Stradivari-Cello namens „Mara“, sich und seinen Lesern/Innen einen neuen, leisen, stimmungsvollen Künstler-Roman geschenkt, der einen scheinbar unscheinbaren Exilanten in den Blick rückt.

"Ich höre einen Mann reden, den ich gerade erst kennengelernt habe, dessen Artikulation in der ihm fremden Sprache fremd klingt, ähnlich einem tönenden, fragilen Kartenhaus, das er mit Sorgfalt zu schützen versucht, auch vor dem eigenen Atem. So hören sich Sätze an, die bergauf gehen.“
(aus: "Selbstbild mit russischem Klavier")

"Truman Capote hat ja mal arrogant aber wunderbar gesagt, ich kann doch nichts dafür, ich werfe Wörter in die Luft, und sie fallen in der richtigen Weise aufs Papier, nicht. Jetzt sage ich nochmal, vielleicht, das ist mir auch einige Male schon passiert, ich habe sie immer als Geschenk empfunden."

Wolf Wondratschek im Gespräch mit Cornelia Zetzsche

"Leben im Glück! Barfuß im Schlamm stehen. Von Bäumen ins Weiche fallen"

In "Selbstbild mit russischem Klavier" erzählt Suvorin, ein russischer Pianist, "eine vergessene Berühmtheit" von seiner Kindheit, von seiner Liebe zum Trinkenein und zu schönen Frauen; von Konzerten in Paris und Moskau und dem Tag, als ein Partei-Funktionär plötzlich in seiner Wohnung stand und ihm Solidarität mit den werktätigen Massen verordnete, deren Applaus er akzeptieren müsse. Und je mehr Suvorin erzählt, umso mehr sind beide Ichs verflochten, bis aus dem Musiker-Porträt ein Selbstbild des Autors wird.

"Wir hassen beide den Applaus. Ich leide und gehe deswegen kaum noch in Konzerte, weil ich es nicht ertrage. B-Dur Sonate Schubert, wie ist es möglich?! Ein Streichquartett von Schubert, wie ist es möglich - noch nicht verklungen!"

Wolf Wondratschek im Gespräch mit Cornelia Zetzsche

Ob Jimi Hendrix, Maria Callas, Sibelius oder die Krautrock-Band "Popol Vuh", Musik begleitete stets sein Leben, in Konzerten und in seinen Büchern. Und in den 70ern war in München musikalisch jede Menge los.

1970 gewann Wondratschek den Deutschen Hörspielpreis der Kriegsblinden für "Paul oder die Zerstörung eines Hörbeispiels"

"Die 70er Jahre waren ein tolles Jahrzehnt, das ich hier also wirklich am richtigen Ort verbracht habe und verkifft habe und verschlafen habe. Und ich verdanke ja den 70er Jahren auch literarisch einiges. Hier ist „Chucks Zimmer“, hier waren die Haferflocken-Girls, hier waren die Rock-Bands. Keine Stadt hatte so viele Rock Bands wie München, Popol Vuh, die eine der besten Bands waren, Amon Düül, hier spielte die Musik."

Wolf Wondratschek im Gespräch mit Cornelia Zetzsche

Das war der frühe Wolf Wondratschek, die Ikone der Pop-Lyrik, der Biograph der Boxer, Huren und Zuhälter in St. Pauli. Ein Bewohner von „Chucks Zimmer“. In  Schwabing, dichtete er unterm undichtem Dach. Er traf Rainer Werner Fassbinder, die schöne Veruschka, und zuvor schon Daniel Cohn-Bendit, war jung, wild, angekifft und gefährlich und schrieb Gedichte, nachts hingeworfen, auf Augenhöhe mit der Zeit, den Beatniks, der Moderne, kein moralischer, kein politischer, ein poetischer Rebell.

"Ezra Pound hat in den 20er Jahren gesagt: 'Käse und Frachtgut müssen wir in die Poesie hineintragen'. Das heißt, er hat damals diese preziöse Literatur gemeint, wir müssen sie wieder zurückführen in die Realien."

Wolf Wondratschek im Gespräch mit Cornelia Zetzsche

„Früher“, 1969, „begann der Tag mit einer Schußwunde“. Später veröffentlichte Wondratschek, erst im Privatdruck, dann bei "Zweitausendeins" 100 000 Exemplare eines einzigen Gedichtbandes! Die Wahnsinnsverse aus „Chucks Zimmer“ 1974, „Das leise Lachen am Ohr eines anderen“ , „Letzte Gedichte“ trafen die Jugend der 70er mitten ins Herz wie Rockmusik. Später vertonte Wolfgang Rihm seine Sonette, die Lowry-Lieder.

In den 80ern verliebte Wondratschek  sich in dieselbe Jane wie Bernd Eichinger und schrieb „Carmen“, diese Hymne an eine animalische, treulose, stolze Frau. Stark sind seine Frauenfiguren immer wieder, lebensrettend. Ein Macho? Mitnichten!

"Ich hab‘ das immer wieder gelesen, ein Macho, ja. Lesen Sie mein Carmen-Gedicht, das ist ein großer Klagegesang der Carmen über die Unzulänglichkeit und Schwäche der Männer."

Wolf Wondratschek im Gespräch mit Cornelia Zetzsche

Zeit, mit dem Vorurteil aufzuräumen,  E und U seien ein Entweder Oder. Wolf Wondratschek lebt Greatful Dead und Schubert, die Beatniks und Mahler. Als Kind schon stand er als Statist auf der Opernbühne, neun Jahre lang spielte er Cello und machte Hausmusik. Am Klavier: Patrick Süskind. Am Cello: Wolf Wondratschek.

"Ich erinnere mich, um nur ein Beispiel zu sagen, dass ich den Comeback-Versuch meines Freundes, des Boxers Eckhard Dagge in Kiel, nicht verpassen wollte, es war Samstagabend in der Ostseehalle, und ich hatte aber Karten für Friedrich Gulda, der hier in der Staatsoper die Mozart-Sonaten, eine Matinee, gab. Da war das Milieu von St.Pauli, wo ich viele Freunde habe und hatte, und ich hab die Nacht durchgemacht in irgendeinem Etablissement, und ein Freund hat mich nach Hamburg gefahren, und ich war rechtzeitig um 11 Uhr am Sonntagmorgen hier in München, im Theater. Diese Dinge waren für mich niemals ein Gegensatz."

Wolf Wondratschek im Gespräch mit Cornelia Zetzsche

Seit Jahren wohnt er in Wien, dem Ort seines Lebensgefühls, probt ab und zu die Rebellen-Pose, kommt gelegentlich nach München zur Kelly aus den Kelly-Briefen und zum Sohn, dem er „Das Geschenk“, ein Vater-Sohn-Buch widmete. Er hört Schubert, verehrt Heinrich Schiff, den Cellisten und Dirigenten, und schreibt sensible Musiker-Porträts wie „Die große Beleidigung“. Er pflegt seine Dichter-Sein, hört auf Musik und Sprache und macht seine Wiener Umgebung immer wieder zum Stoff seiner Prosa. Wie im neuen Roman „Selbstbild mit russischem Klavier“, worin ein alter russischer Pianist, eine „vergessene Berühmtheit“ dem Erzähler, einem Schrift-steller, im Wiener Kaffeehaus  und beim Italiener sein Leben erzählt und beide Ichs ineinander übergehen.

"Es wird mich freuen, sagt er. Und es soll regnen, das habe ich immer geliebt. Es soll lange regnen. Es soll in die Dunkelheit hineinregnen, in die Sterne. An Gott glaube ich nicht. Ich bin gläubig nach anderer, alter Art."
(aus: "Selbstbild mit russischem Klavier", Ullstein Verlag)

Und wie geht der Jubilar mit seinem Alter um?

"Fünfundsiebzig? Es ist halt so geworden, ich kann es nicht ändern. Vielleicht schreibe ich doch noch ein Buch, was noch mehr meine Existenz rechtfertigt durch seine Qualität. Man träumt ja immer noch, wie der Tänzer vom vollkommenen Sprung, vom vollkommenen Konzert, vom Vollkommenen. Gibt es das, ein noch besseres Buch, ist noch mehr drin, oder kommt das Beste vielleicht, wie so manche Leute meinen, zum Schluss, naja. Ich weiß nicht, aber so lange ich noch lebe, habe ich die Hoffnung, vielleicht noch ein Buch zu schreiben."

Wolf Wondratschek im Gespräch mit Cornelia Zetzsche

Lesung und Gespräch mit Wolf Wondratschek

1983 mit John le Carré

Am Sonntag, dem 12. August, zwei Tage vor dem 75. Geburtstag des Schriftstellers, liest Wolf Wondratschek Auszüge aus seinem neuen Roman "Selbstbild mit russischem Klavier" und erzählt von seinem Leben, seinen Erfahrungen, vom Schreiben und den "alten, bewegten" Zeiten.
Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche
radioTexte - Das offene Buch, jeden Sonntag um 12.30 Uhr auf Bayern 2


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