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Wolfgang Hinze liest Christoph Martin Wieland: Geschichte des Agathon

„Wenn sich jemals ein Mensch in Umständen befunden hatte, die man als unglücklich bezeichnen kann, so war es dieser Jüngling“ – Christoph Martin Wieland hat ein großes Genre begründet: den Entwicklungsroman. Lesung mit Wolfgang Hinze

Stand: 16.05.2023 | Archiv

"Vor wenigen Tagen noch ein Günstling des Glücks und der Gegenstand des Neides seiner Mitbürger, befand er sich, durch einen plötzlichen Wechsel, seines Vermögens, seiner Freunde, seines Vaterlandes beraubt, allen Zufällen des widrigen Glücks und selbst der Ungewissheit ausgesetzt, wie er das nackte Leben, das ihm allein übriggelassen war, erhalten möchte."

Christoph Martin Wieland

Nichts ist mehr so, wie es war. Agathon, Tausendsassa und stürmischer Geist, hat alles verloren. Die existentielle Erfahrung wird zum Auftakt einer großen, immer wieder dramatischen Lebensreise, einer Flucht. Und gleichzeitig einer Lebenswende.

Mit der „Geschichte des Agathon“, zuerst veröffentlich 1767/68 hat Christoph Martin Wieland ein bedeutendes Genre in der modernen deutschsprachigen Literatur begründet: den Entwicklungsroman. Viele andere große Bücher folgten, „Anton Reiser“ von Karl Philipp Moritz zum Beispiel, Goethes „Wilhelm Meister“, später dann die Realisten des 19. Jahrhunderts.

Wie in vielen Romanen und Erzählungen Wielands ist die Geschichte in der griechischen Antike angesiedelt. Agathon lebte zwischen dem 5. und 4. Jahrhundert vor Christus in Athen. Wie viele andere Figuren aus Wielands Prosa war er Philosoph, ein Weiser, der das menschliche Daseins denkend erkundet. Die Welt des Altertums diente Christoph Martin Wieland als Bezugsraum für die eigene Zeit, die beginnende Moderne. Insofern ist die Geschichte des Agathon ein Text, der immer auch in die Gegenwart führt. Und eben: keine alte Geschichte.

Für den Publizisten und Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma – Autor einer großen Wieland-Biographie ist der Schriftsteller der beiden Erfinder der modernen deutschsprachigen Literatur (neben Gotthold Ephraim Lessing). Im Gespräch berichtet Reemstma über die faszinierende Welt von Christoph Martin Wielands Prosa. Dazu Passagen aus dem Roman „Geschichte des Agathon“, in der Lesung mit Wolfgang Hinze. Regie: Axel Wostry, Redaktion: Niels Beintker


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