Bayern 2 - radioTexte


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Lucia Berlin und nemo Porträt einer amerikanischen Künstlerin

Sie war eine der großen literarischen (Wieder-)Entdeckungen der letzten Jahre: Lucia Berlin, die 2004 verstarb, gelang es, neben ihrem Alltag als alleinerziehende Mutter mit prekären Arbeitsverhältnissen meisterhafte Erzählungen zu schreiben. Ihre Geschichten scheinen Hemingways Motto zu bestätigen, dass man gelebt haben muss, um schreiben zu können. Xenia Tiling liest aus Lucia Berlins autobiografischen Erzählungen. Im Anschluss: eine neue nemo-Raterunde mit Gast-Detektivin Kerstin Specht

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 18.11.2019 | Archiv

Buchtipp: Lucia Berlin: Welcome Home | Bild: Kampa Verlag; Montage: BR

"Ich lebte an vielen Orten, in Alaska, Montana, in Kentucky und Idaho, in Arizona und New Mexico und die längste Zeit meiner Kindheit verbrachte ich in Chile. Da ich so oft umzog, sind Orte für mich ganz besonders wichtig."

Lucia Berlin

„Welcome Home“: Was bei so vielen als Spruch die Haustürfußmatte ziert, war für Lucia Berlin sicherlich keine Selbstverständlichkeit. Zuhause - wo sollte das sein bei ihrem unsteten Leben? Die 1936 in Alaska geborene Tochter eines Bergbau-Ingenieurs zog 18 Mal um, war mit 32 Jahren Mutter von vier Söhnen und hatte bereits drei Scheidungen hinter sich.

Der ironische Buchtitel "Welcome Home" ist eine Sammlung von zwanzig Erzählungen, die Lucia Berlin kurz vor ihrem Tod im Jahr 2004 festhielt und die einige ihrer frühesten Erinnerungen aufgreifen, beginnend in Alaska, ihrem Geburtsort und endend im Süden Mexikos im Jahr 1966. Ergänzt durch eine Auswahl von Fotos und Briefen, gibt der von ihrem Sohn Jeff herausgegebene Erzählungsband einen Einblick in den Lebensstoff, aus dem Lucia Berlin ihre Literatur geschaffen hat.

"Meine Schwester schlief auf Kissen in einer Schublade, die aus einer Truhe im Zimmer stammte. Meine Mutter nahm die Schublade mit in den Zug, mit meiner Schwester darin. Ich hatte Angst und war fassungslos, weil sie die Schublade gestohlen hatte. Sie sagte: 'Wirst Du endlich den Mund halten?‘ und schlug mir ins Gesicht, und von da an lief alles falsch."

(zitiert nach Lucia Berlin: Welcome Home)

Store Window Sign, "Gee! It's Great to be an American", Covington, Kentucky, USA, John Vachon for Farm Security Administration, September 1939

Nach ihrer ersten Zeit in Alaska verbrachte Lucia ihre Jugend in Chile, weil ihr Vater dort seinen neuen Job als Bergbau-Ingenieur antrat; sie erkrankte früh an Skoliose. Die Ruhelosigkeit ihrer Kindheit zog sich durch ihr ganzes Leben, nicht nur geografisch. Sie heiratete dreimal, bekam vier Söhne, die sie bald alleine aufzog, kämpfte mit der Alkoholsucht. Mit 24 Jahren publizierte sie ihre erste Geschichte, schlug sich als Putzfrau, Telefonistin, Aushilfslehrerin, Sekretärin und Krankenpflegerin durch. Trotz aller Plackerei - Lucia Berlin schrieb weiter. Jeff, ihr Sohn, erinnert sich im Vorwort von "Welcome Home", er habe noch das permanente Klackern der Olympia-Schreibmaschine im Ohr. Erst zehn Jahre nach ihrem Tod im Jahr 2004 begann die literarische Welt, das mitreißende Werk seiner Mutter zu würdigen.

Lucia Berlin und nemo

am 26. November um kurz nach 21 Uhr liest Xenia Tiling aus Lucia Berlins Erzählungen in den radioTexten am Dienstag auf Bayern2

Xenia Tiling, bekannt u.a. aus der Serie "Servus Baby". Eve (Teresa Rizos, links) und Tati (Xenia Tiling) vor Tatis Hochzeit.

Das Buch „Welcome Home, Erinnerungen und Briefe“, mit einem Vorwort von Jeff Berlin, aus dem amerikanischen Englisch von Antje Rávic Strubel, ist im Kampa Verlag, Zürich erschienen.

Im Anschluss: eine neue nemo-Rätselrunde mit Gast-Detektivin Kerstin Specht

Unsere Lesungen können Sie nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks und überall, wo es Podcasts gibt.


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