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Salman Rushdie in München "Quichotte" - bitterböser Roman über Trumps Amerika

In seinem neuen Roman "Quichotte" holt Salman Rushdie einen 400jährigen Klassiker in die unwirkliche Wirklichkeit des Fernsehens. Don Quijote ist ein alter Pharma-Vertreter, fernsehsüchtig, einsam, ohne Familie, der sich zunächst einen Sohn imaginiert, Sancho Pansa, der später auf seinem Autositz Wirklichkeit wird und versucht, dieses Trump-Amerika zu begreifen. Mit einem alten Chevrolet, der Rosinante, macht sich das ungleiche Gespann auf die Reise. Witzig, bitterböse, in Rushdies überbordender Erzählkunst, dem Meister der Abschweifung.

Von: Eva Demmelhuber

Stand: 14.11.2019

Salman Rushdie im Gespräch mit Cornelia Zetzsche | Bild: Eva Demmelhuber

"Quichotte, ein alter Mann, verliebt sich, begibt sich auf die Quest und wird Vater"

"Einst lebte an verschiedenen Adressen quer durch die Vereinigten Staaten von Amerika ein Reisender indischen Ursprungs, fortgeschrittenen Alters und mit schwindenden geistigen Kräften, der angesichts seiner Liebe zum geistlosen Fernsehen viel zu viel Lebenszeit im gelben Licht von geschmacklosen Motelzimmern verbracht hatte, wo er es bis zum Exzess schaute und der als Folge eine absonderliche Form des Hirnschadens davon getragen hatte."

aus: Salman Rushdie 'Quichotte', aus dem Englischen von Sabine Herting, C. Bertelsmann

Cornelia Zetzsche und Salman Rushdie auf dem Bayern 2- Diwan vom 14.11.2019

So beginnt Salman Rushdies neuer fast 500-Seiten starker Roman. Quichotte nennt sich der Held, der eigentlich Ismael Ismael heißt, und mit seinen Aventiuren eine Fernsehschönheit für sich gewinnen will. An seiner Seite: der selbsterfundene Sohn Sancho. Und eigentlich ist auch Quichotte, das wissen wir von Miguel Cervantes‘ Original „Don Quijote“, schon eine erfundene Figur. Eine abenteuerliche Reise durchs wilde Trump-Amerika, ein Phantasy- und Science-Fiction-Roman, Satire, Parodie und Persiflage in einem, alle Realitäten und Wirklichkeitsebenen durcheinander wirbelnd.

2-teilige Lesung und Gespräch im "Offenen Buch"

Zwei Autoren unter sich: Salman Rushdie und Gert Heidenreich, der Ausschnitte aus Rushdies Roman liest

Die erste Lesung mit Gert Heidenreich erzählt vom Aufbruch ins Unterwegssein, die zweite von einer höchst seltsamen Station dieser Quest in New Jersey, die verdächtig an den Meister des Absurden, Eugène Ionesco, erinnert, so Cornelia Zetzsche. Und "Quichotte" von Salman Rushdie ist unter den 6 Finalisten für den Booker Prize 2019! 

Teil 1 am Sonntag, dem 17. November

Teil 2 am Sonntag, dem 24. November, jeweils um 12.30 Uhr auf Bayern 2

Redaktion, Moderation und Regie: Cornelia Zetzsche

Salman Rushdie wurde am 19. Juni 1947 als Sohn eines wohlhabenden muslimischen Geschäftsmannes in Bombay, dem heutigen Mumbai geboren. Seine Eltern waren im Jahr davor aus dem nationalistisch gesinnten Delhi dorthin gezogen. In dieser kosmopolitischen und toleranten Stadt Bombay wuchs Salman Rushdie auf. Mit 14 kam er auf eine englische Schule in Rugby, danach studierte er in Cambridge Geschichte und ließ sich dort auch nebenbei fürs Theater ausbilden. Bevor er mit der Schriftstellerei anfing, arbeitete er als Journalist, Werbetexter und am Theater. Mit seinem Roman "Mitternachtskinder", der 1981 erschien, gelang Salman Rushdie der große Durchbruch, ein Bestseller in Großbritannien und in den USA. Dafür wurde er mit dem Booker-Prize ausgezeichnet.

"Die satanischen Verse" und die Fatwa

Mit "Die satanischen Verse" erzielte Salman Rushdie einen weiteren große Welt-Erfolg. Die in den Albträumen eines Protagonisten wiedergespiegelte Lebensdarstellung des Propheten Mohammed war der Anlass für den iranischen Staatschef Khomeini, am 14. Februar 1989 über Rushdie die Fatwa zu verhängen, ein Todesurteil. Begründet wurde diese Fatwa damit, das Buch sei „gegen den Islam, den Propheten und den Koran“. Khomeini rief die Muslime in aller Welt zur Vollstreckung auf und setzte ein Kopfgeld von einer Million US-Dollar aus. Rushdie tauchte unter, lebte im Untergrund, in ständig wechselnden Wohnungen, ohne Fenster, oft wusste er überhaupt nicht mehr, wo er sich gerade befand. "Es war die Hölle", sagte er bei einem Fernseh-Interview 1989. Auch nach Khomeinis Tod wurde die Fatwa nicht zurückgenommen. Seit 2000 lebt Salman Rushdie in New York, seine Werke wurden in 40 Sprachen übersetzt.

Auszeichnungen (Auswahl)

1981 Booker Prize
1992 Österreichischer Staatspreis für Europäische Literatur
1996 Aristeion-Literaturpreis der EU für sein Lebenswerk
1999 Ordre des Arts et des Lettres
2007 Knight Bachelor des britischen Empire
2014 Hans-Christian-Andersen-Literaturpreis
2019 Welt-Literaturpreis


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