Bayern 2 - radioTexte


22

Paolo Rumiz Europas Zukunft liegt in den Klöstern

„Gehen ist ein rebellischer Akt“: Jedes Stückchen Boden, was Paolo Rumiz betritt, scheint sich ihm entgegenzuwölben - prall von Historie, Legenden und tatsächlichen Abenteuern, die der Triestiner zu mitreißender Reiseliteratur verwebt. In „Der unendliche Faden“ begibt sich der reisende Reporter auf die Spuren des heiligen Benedikt, dem Schutzpatron Europas, und entdeckt eine europäische Perspektive in den Klöstern der Benediktiner. Lesung mit Stefan Wilkening und Peter Weiß

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 16.05.2020 | Archiv

Blick über die Lagune zur Kirche San Giorgio Maggiore, aufgenommen in Venedig am 11. Mai 2013. Foto Uwe Gerig | Bild: picture-alliance/dpa

Er ist ein Wanderer, auch noch mit 72 Jahren: Paolo Rumiz gilt als erfolgreichster Reiseschriftsteller Italiens. Von Triest aus bricht er immer wieder auf zu neuen Erkundungstouren, Recherchereisen, die oft sehr viel mit europäischer Kulturgeschichte und sehr wenig mit Autos oder Flugzeugen zu tun haben.

Rumiz berichtete für die Tageszeitung „La Repubblica“ über den Afghanistan- und den Jugoslawien-Krieg. Seit 1998 schreibt er Reisereportagen, aus denen nun auch Bücher entstanden sind. Vom Polarkreis bis nach Islamabad, von der Türkei bis zum Balkan, entlang des Apennins, auf der Donau oder dem Po: Er reiste per Ballon und Zug, mit Kanu und Segelboot, erkundete die antike Via Appia, lebte monatelang auf einem Leuchtturm oder einer entlegenen Mittelmeerinsel. Und nun also eine Pilgerreise zum Erbe des heiligen Benedikt von Nursia.

Benediktinerklöster: europäisches Networking?

Der Triestiner Schrifsteller und reisende Reporter Paolo Rumiz

"Als ich nach dem Abendessen durch die Korridore dieses Klosters ging, sah ich durch eine angelehnte Tür eine schwarzgekleidete Nonne, die einen Faden spann und ihn auf ein Knäuel Wolle wickelte. Dieses Bild war mich entscheidend. Denn ich habe in diesem Faden nicht nur ein Zeichen für den Ursprung des pastoralen Lebens, des Hirtenlebens in Italien bei den Benediktinern gesehen, sondern auch erkannt, was diese geschaffen haben: Ein Netz, in dem sie verschiedene Verbindungsfäden zwischen den einzelnen Klöstern gesponnen haben, im Grunde ein europäisches Netz, lange bevor es das Internet, Google und Facebook gab."

(Paolo Rumiz über ein Frauenkloster in Viboldone)

Als Paolo Rumiz im April 2017 mit seiner Partnerin die Stadt Norcia besuchte, den Geburtsort Benedikts, des Gründers des gleichnamigen Ordens, fand er die Statue des Heiligen inmitten einer Trümmerlandschaft. 2016 hatte ein Erdbeben die Stadt erschüttert. Für den Triestiner Intellektuellen war das Bild Benedikts inmitten der Ruinen quasi der Ausgangspunkt für seine Gedanken: Die Sockelinschrift "Heiliger Benedikt, Schutzpatron Europas" erinnerte ihn an die Bedeutung der Benediktinermönche, die nach dem Untergang des Römischen Reiches maßgeblich zur Rekultivierung Europas beigetragen hatten, als Garant für Kooperation, Innovation und Stabilität galten.

"Auf meinen Reisen habe ich verstanden: Nur die, die Europa nicht haben, lieben es."

(Paolo Rumiz, Der unendliche Faden)

In seinem neuesten Buch "Der unendliche Faden" folgt man Paolo Rumiz zu 15 benediktinischen Klöstern in ganz Europa - "Widerstandsnester" nennt er sie in ihren Regeln und Handlungen gegen eine sich ausbreitende globale Gleichgültigkeit, gegen die Xenophobie, gegen Konsum. Seine Hoffnung: Dass man sich in Europa rückbesinnt auf die Werte, die die benediktinischen Mönche bis heute tagtäglich leben, jenseits der Klostergrenzen scheinbar vergessene Werte wie Gastfreundschaft, Zuhören, Eifer, die Freude erledigter Arbeit, Gebet und Respekt vor der Natur.

"Unsere phönizische Muttergöttin namens Europa, die einst voller Angst das Mittelmeer überquerte, mag uns daran erinnern, dass wir immer die Endstation von Wanderbewegungen waren, und uns dazu auffordern, in einem Akt der Liebe und des zivilen Ungehorsams andere Knäuel aufzudröseln und andere Fäden zu spannen."

(Paolo Rumiz)

"Der unendliche Faden" - Reise zu den Benediktinern, den Erbauern Europas

von Paolo Rumiz

Stefan Wilkening folgt Paolo Rumiz auf seiner literarischen Reise nach Venedig

Lesung mit Stefan Wilkening und Peter Weiß
in den radioTexten an Christi Himmelfahrt um 14.30 Uhr auf Bayern2

Redaktion und Moderation: Antonio Pellegrino

Das Buch von Paolo Rumiz, übersetzt von Karin Fleischanderl, ist im Folio Verlag erschienen.

Unsere Lesungen können Sie nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks und überall, wo es Podcasts gibt.


22