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Hjertelig velkommen, Norge! Jon Fosse und sein neuer Roman "Der andere Name"

Jon Fosse gehört zu den wichtigsten Literaten und Dramatikern Europas. Seit Jahren steht er ganz vorne bei der Vergabe des Literatur-Nobelpreises, ist Träger des wichtigsten skandinavischen Literaturpreises, des "Nordischen Rates" und vieler anderer renommierter Auszeichnungen. Er wird gefeiert als der norwegische Beckett, der neue Henrik Ibsen. Ein Meister der Pause, des Verdichtens, des Ineinanderverwebens, der Stille und der Metaebenen. Sein neuer Roman "Der andere Name", liest sich wie ein langes Gedicht, eine introperspektivische Betrachtung des Lebens, das sich im Außen spiegelt.

Von: Eva Demmelhuber

Stand: 19.09.2019

Schriftsteller Jon Fosse | Bild: picture-alliance/dpa

Jon Fosse - Auf der Suche nach der Seele eines Satzes

Auf Spurensuche in Oslo: Jon Fosse im Kulturzentrum "Nynorskens hus"

Jon Fosse hat zwar mehrere Wohnsitze, aber ein Kosmopolit, der sich überall zu Hause fühlt, ist er nicht. Er sei tief verwurzelt mit der norwegischen Landschaft im Südwesten, erzählt der preisgekrönte Schriftsteller Cornelia Zetzsche bei ihrem Treffen. Aufgewachsen in dem kleinen Ort Strandebarm am Hardangerfjord, der sich 170 Kilometer ins Landesinnere der norwegischen Westküste schiebt, besuchte er das ansässige Gymnasium. Später studierte er an der Universität in Bergen Literaturwissenschaften. Über 50 Werke, die in 40 Sprachen übersetzt wurden, Theaterstücke, Gedichte, Kinderbücher und Romane leben von der Magie des unverwechselbaren Fosse-Sounds.

Cornelia Zetzsche trifft Jon Fosse im Schriftsteller-Hotel Bondeheimen

Zur Sprache und zur Literatur kam der als wortkarg und aufrührerisch beschriebene Schüler über die Musik. Er spielte Gitarre, erzählte er, aber er sei nicht talentiert gewesen, so dass er mit 16 aufhörte und mit dem Schreiben begann. Und beim Schreiben wollte er genau in die gleiche Stimmung kommen wie in der Musik. Und das Fließende und die Wiederholungen und der Rhythmus schwingen mit in seiner Sprache.

Cornelia Zetzsche stellt den neuen Roman "Der andere Name" von Jon Fosse vor:

"Und ich sehe mich dastehen und das Bild mit den, beiden Strichen anschauen,
einer ist lila, einer braun, sie kreuzen sich in der Mitte, und ich denke,
das ist kein Bild, aber zugleich ist das Bild genau, wie es sein soll, es ist fertig,
es ist nichts mehr daran zu tun, denke ich und ich muss es wegschaffen,
ich will es nicht mehr auf der Staffelei stehen haben,
ich will es nicht mehr sehen, denke ich ..."

aus: 'Der andere Name'

Der da denkt und mit sich spricht, ist Asle, ein Maler und Witwer, wortkarg, fast verstummt. Ein Bild, ein Stuhl, ein Tisch, die Samtjacke, seine Umhängetasche, wenige Dinge genügen, um die Gedanken um immer gleiche Themen kreisen zu lassen: die Malerei, den Tod seiner Frau, Verlust, Einsamkeit und Todessehnsucht. Warum nicht einfach im Meer verschwinden, denkt Asle, der Maler, der etwas hinter der Malerei sucht. Jon Fosse fand ihn, als er dachte, er könne nicht mehr schreiben, auf dem Schloss von Paul Claudel in Südfrankreich.

Jon Fosse im Osloer Schriftsteller-Hotel "Bondeheimen"

Jon Fosse: "Je mehr ich schrieb, umso sicherer wurde ich, dass ich nicht über einen Schriftsteller schreiben wollte, über einen Intellektuellen oder irgend so etwas, er sollte in gewisser Weise ein praktischer Mann sein. Ich war immer fasziniert vom Leben eines Malers. Und das Wissen vom Malen, das ich für den Roman brauchte, lernte ich von meinen Maler-Freunden."

Die Stimmung ist hoch aufgeladen, intensiv, der Plot minimalistisch: Asles Geschichte, der frühe Tod seiner Frau, der Freund und Nachbar, der ihn mit Essen versorgt, der andere Asle, eine andere Version seines Lebens, eine Art Doppelgänger, der trinkt und sich selbst zerstört – all das erscheint in Reminiszenzen und Begegnungen, aber das eigentliche Wesen des Romans ist Reflexion, Meditation, ein existentielles gedankliches Kreisen und sich Spiegeln. Beide Asles begegnen sich, und doch sind Ich und Er eins, verschwimmen beide Figuren in Fosses aufs feinste gewebter Textur. Asle ist ein Allerweltsname, die Asles früherer Texte haben nichts mit ihm zu tun. Fosses Figuren scheinen Wiedergänger.

Jon Fosse mit seinem neuen Roman "Det andre Namnet", Band I und II der Heptologie

Jon Fosse: "In meinen ersten Romanen hatten die Figuren keine Namen, sie erzählten in der ersten Person, namenlos. In diesem Roman dachte ich, ich brauche einen Namen. Ich verwendete Asle. Der Asle der Trilogie und der Asle der Heptalogie sind natürlich ganz verschieden. Ich tilge die Wirkung der Namen, in dem ich sie wieder und wieder verwende."

Asle wohnt in einem Ort nördlich von Bergen, mittelalterlich Björgvin genannt, um auch hier Distanz zu halten zur Realität. Ohnehin sind Orte nicht wichtig, ist Jon Fosses Roman eher ein Kammerspiel der Stille, des Schweigens, getragen von Melancholie und Traum, getrieben von der durch Wiederholungen rhythmisierten Sprache, wie das Hin und Her der Wellen des Fjords, an dem er aufwuchs, flutende, sogartige Verse, nur von wenigen Kommas gehalten, alles im flow. Fosses Roman liest man nicht wegen des Plots, sondern seiner Figuren und Sprache wegen.

Jon Fosse: "Ich erfand ein Wort für meine Prosa, Langsamprosa, ich wollte langsame Prosa schreiben, aber wie und wann, das wusste ich nicht, es war schwierig anzufangen."

Jon Fosse, klein, rundlich, mit lebhaftem Mienenspiel, sekündlich wechselnd zwischen Scheu und Schalk, Freundlichkeit und Selbstvergewisserung; die wenigen grauen Haare zu einem Zöpfchen gebunden, wie bei Asle. Sein siebenteiliger 1500- Roman sei ein Universum, sagt Fosse, nicht reduzierbar auf ein paar Statements, und er selbst: kein politischer, kein religiöser Schriftsteller, aber natürlich haben Kunst und Religion eine politische Wirkung. Ziemlich akut in einem Land wie Norwegen, das über Nacht durch Öl-Funde reich wurde.

Jon Fosse: "Eine Gesellschaft ohne Kunst wäre eine andere Gesellschaft, auch in politischer Hinsicht. Die Kunst und sogar die Kirche sind ein riesiges Bollwerk gegen einen brutalen Kapitalismus, der mehr und mehr ins Leben der Menschen eindringt, um Schlechtes zu produzieren. Die Kunst, die Kirche sind Kräfte gegen diese ökonomischen Kräfte. In Norwegen sind die Kirchen meist klein und weiß, wenn man all diese Kirchen aus der Landschaft beseitigen würde und nur die Häuser blieben, wäre es sehr leer."

Asles Rettung aus Einsamkeit und Trauer, ist eine Gotteserfahrung, ein Licht. Im Minimalismus der Bilder, in den zwei sich kreuzenden Strichen, in einem Paar auf dem Spielplatz sieht er ein „leuchtendes Dunkel“; ein Begriff, den Jon Fosse beim Schreiben fand und später bei seinem Lehrmeister, dem Mystiker Meister Eckhard, wieder las.

Jon Fosse: "Es sind im Grunde meine Erfahrungen. Das Schreiben lehrte mich, dass es etwas gibt, das größer ist als ich selbst, eine Gegenwart, die mein Schreiben bewegt oder es mir möglich machte, zu schreiben, diese unsichtbare Kraft. Und ich begann, mich als Glaubender zu fühlen."

"Sonst gibt es nichts, sonst ist da die Dunkelheit des Nichts,
die ihn dann und wann, in plötzlichem Aufblitzen, wie ein Leuchten durchfährt,
und ja, ja dann wird er von einer Art Glück erfüllt und er denkt,
irgendwo gibt es wohl ein leeres Nichts, ein leeres Licht, ja wie ein Glaube,
denkt Asle ..."

aus: 'Der andere Name'

"Der andere Name"

Schauspieler André Jung

Zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse gibt es wie jedes Jahr die Afterwork-Lesungen im Literaturhaus München, längst Kult, Lesung und Musik zwischen Arbeit und Nachhausekommen. Und auf Bayern 2, in "radioTexte - Das offene Buch", fünf norwegische Schriftsteller mit ihren Romanen.
Am Sonntag, dem 22. September, liest Schauspieler André Jung Ausschnitte aus Jon Fosses Roman "Der andere Name" in der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel. Redaktion und Moderation: Cornelia Zetzsche

radioTexte - Das offene Buch, jeden Sonntag um 12.30 Uhr auf Bayern 2
Auch als kostenloser Podcast in der BR Mediathek

Afterwork-Lesungen vor Ort im Literaturhaus München

Martin Feifel liest Kjell Askildsen

Am 1. Oktober um 18 Uhr im Glas-Foyer

Martin Feifel liest Ausschnitte aus der Erzählung "Ich bin nicht so, ich bin nicht so" des Meistererzählers Kjell Askildsen.

Live- Musik mit der norwegischen Sängerin und Pianistin Adele Eikenes Bassermann

Eintritt frei


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