Bayern 2 - radioTexte


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"Afropäisch" Johny Pitts reist durch das schwarze Europa

Er ist weder Ghettokid, noch Retro-Hipster: Johny Pitts, gebürtig aus dem nordenglischen Sheffield, zeigt mit seinen Berichten das „afropäische“ Leben in all seinen Facetten, jenseits der Klischeebilder. Eine "Reise durch das schwarze Europa", gelesen von Bijan Zamani

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 13.09.2020 | Archiv

Fernsehmoderator, Schriftsteller und Fotograf aus Firth Park, Sheffield: Johny Pitts erhält für sein Buch "Afropäisch" den diesjährigen Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung. | Bild: Jamie Stoker/Penguin/Suhrkamp Verlag

Seine Großmutter pflückte noch Baumwolle im amerikanischen Süden, seine Eltern trafen sich in den 60er Jahren in einem Soul Club im Norden Englands: er ein afro-amerikanischer Musiker aus Brooklyn/New York, die Mutter eine weiße Engländerin, deren Familie in der Stahlindustrie arbeitete. Johny Pitts selbst wuchs im Arbeitermilieu Sheffields auf, einre Stadt im Norden Englands, die in den 90er Jahren nach Pitts eigenem Empfinden eine sehr multikulturelle Community hatte, doch in der berühmten Filmkomödie „Ganz oder gar nicht“ (The Full Monty) von 1997 beispielsweise war diese Seite Sheffields komplett unsichtbar. Für Johny Pitts, heute als Fotograf, Moderator, Musiker und Autor tätig, war diese frühe Feststellung einer von vielen Faktoren, die ihn dazu brachten, sich mit der afro-europäischen Geschichte und der Gegenwart zu befassen. Es scheint für Pitts klar: Das offizielle, weiße Europa will wenig mit dem real existierenden zu tun haben. Schwarz sein und Europäer sein - das sei bis heute in vielen Köpfen noch ein Gegensatz.

"Afropäisch" - Identität ohne Bindestrich

"Als ich den Ausdruck afropäisch zum ersten Mal hörte, regte er mich dazu an, mich selbst als komplett und ohne Bindestrich zu begreifen. Hier war ein Raum, in dem das Schwarzsein an der Gestaltung einer allgemeinen europäischen Identität beteiligt war. Der Begriff eröffnete die (...) Möglichkeit, dass schwarz zu sein in Europa nicht mehr unbedingt bedeutete, ein Immigrant zu sein."

(Johny Pitts, in: Afropäisch)

Bijan Zamani, 1975 in Berlin geboren und langjähriges Ensemble-Mitglied des Residenztheaters, liest aus "Afropäisch". Foto: Kasimir Bordasch

"Talking Heads"-Frontman David Byrne und Marie Daulne, die belgisch-kongolesische Frontfrau der Band Zap Mama prägten den Begriff "afropäisch" in den frühen 90er Jahren, und er blieb auch vorerst eher Teil der Musik- und Mode-Community. Für Pitts bedeutete "afropäisch" eine utopische Alternative zu der pessimistischen Stimmung, die mit dem Bild von Schwarzen in Europa verbunden ist. Die Utopie hat sich bis heute zwar erhalten. Doch der Optimismus wurde durch Pitts spätere Erfahrungen gedämpft.

Europa - ein Kontinent mit Favelas, Schamanen und Rastafarians

"Ein Kontinent mit kapverdischen Favelas, algerischen Flohmärkten, surinamischem Schamanismus, deutschem Reggae und maurischen Burgen. Ja, all das gehört auch zu Europa."

(Johny Pitts, in: Afropäisch)

Über den Schriftsteller James Baldwin schreibt Pitts, er sei vielleicht die überzeugendste literarische Stimme der Bürgerrechtsbewegung gewesen.

Neben vielen weiteren - auch preisgekrönten - Projekten zur afro-europäischen Kultur gründete Johny Pitts die Plattform "afropean.com", ein online-user-generated journal, das heute zum"Africa Network" der britischen Zeitung "The Guardian" gehört. Im Oktober 2018 brach er dann auf zu einer fünfmonatigen Recherchereise nach gelebter afropäischer Kultur und nach heutigen Formen postkolonialen Identität. In Paris und Saint-Paul-de Vence folgte er den Spuren James Baldwins, traf in Berlin ghanaische Rastafarians, in Moskau besuchte er die einstige Patrice-Lumumba-Universität. Immer dabei: die Kamera. Johny Pitts fotografierte schwarze Communities von Stockholm bis Marseille.

Aus seinem "Afropean"-Projekt ist nun ein Buch geworden, ein Mix aus einfühlsamer Reportage und literarischem Essay, aus Street-Photography und Selbstbewusstseinssuche. "Afropäisch" ist ein sensibles, ein wichtiges Buch über unser globalisiertes, ängstliches Europa.

"Es ist ein Bericht über die unabhängige Reise eines Schwarzen aus der Arbeiterklasse. Das Bild, das ich am Ende hatte, war eine Art beflecktes Utopia. Ein Ort des Kampfes und der Hoffnung, der großen Dramen und der stillen Nuancen."

(Johny Pitts, in: Afropäisch)

AFROPÄISCH

Eine Reise durch das schwarze Europa

Buchcover "Afropäisch" | Bild: Suhrkamp Verlag

von Johny Pitts

am 15. September in den radioTexten am Dienstag, kurz nach 21.00 Uhr auf Bayern2

Lesung mit Bijan Zamani

Moderation: Antonio Pellegrino

Das Buch von Johny Pitts, aus dem Englischen von Helmut Dierlamm und mit vielen Fotos ausgestattet, ist bei Suhrkamp erschienen.

Unsere Lesungen können Sie immer und überall nachhören: auf dieser Seite im Stream, als Download im Podcast-Center des Bayerischen Rundfunks und überall, wo es Podcasts gibt.


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