Bayern 2 - radioTexte


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Zoni Weisz erzählt Memoiren eines Unternehmers und Überlebenden

Fast seine ganze Familie fiel dem Rassenwahn der Nationalsozialisten zum Opfer. Der heute 81-jährige Sinto erinnert sich in seinem Buch "Der vergessene Holocaust" an den NS-Terror, aber auch an die Kindertage im Wohnwagen mit viel Musik und an seine spätere Karriere als Florist für das holländische Königshaus. Lesung und Gespräch

Von: Kirsten Böttcher

Stand: 17.01.2019 | Archiv

Antonio Pellegrino und Zoni Weisz | Bild: BR, Philipp Kimmelzwinger

"Europäer nennen uns Gitanes, Zigeuner oder Manouches. Wir selbst sagen lieber Sinti. Wir sind ein Volk, das immer auf Reisen ist, nicht um irgendwo anzukommen, sondern um unterwegs zu sein. Rastlosigkeit ist das Kennzeichen unserer Kultur. Ebenso wie unsere Regeln, von denen einige so geheim sind, dass ich sie nicht einmal aufschreiben darf. Diese Gesetze schützen uns auf der großen Reise."

(Zoni Weisz)

Sein Buch "Der vergessene Holocaust - Mein Leben als Sinto, Unternehmer und Überlebender" sind nicht nur Erinnerungen an Krieg und Verfolgung. Zoni Weisz berichtet auch von der besonderen Geschichte seines Volkes, seit Jahrtausenden ein fahrendes Volk mit großer Musiktradition, das deshalb in Persien beispielsweise als Bote der Poesie und des Glücks willkommen geheißen wurde. Warum die Sinti immer weiter nach Westen zogen, bleibt bis heute Spekulation, auch weil die Sinti keine schriftlichen Aufzeichnungen hinterlassen haben. Als Zoni Weisz 1937 in Den Haag zur Welt kam, ließ ihn sein Vater registrieren, gab ihm die niederländische Nationalität und eine Identität als "Johann Weisz" - für die Sinti eigentlich eine ungewöhnliche Tat. Viele Sinti existieren offiziell nicht.

"Auf Reisen im Tempo eines trottenden Pferdes"

Seine Kindheitstage sind für den mittlerweile 81-Jährigen ein unvergessenes Glück: stets unterwegs im Wohnwagen, Spielen im Freien, gemeinsames Musizieren am Lagerfeuer am Abend. 1943 entschied der Vater, das Nomadenleben aufzugeben, Zoni zog mitsamt seinen Schwestern und den Eltern in ein "normales" Haus. Seine Mutter, die keine Sintezza war, legte Wert darauf, dass Zoni zur Schule ging. Doch bereits im Mai 1944 wurde die Familie bei einer landesweiten Razzia gegen niederländische Sinti und Roma verhaftet, ins "Durchgangslager" Westerbork verbracht und von dort nach Auschwitz deportiert. Zoni, damals sieben Jahre alt, hatte Glück im Unglück: Am 16. Mai war er bei seiner Tante gewesen, die beiden wurden erst später verhaftet und er konnte dank der Mithilfe eines niederländischen Polizisten dem Todeszug nach Auschwitz entkommen. Momente lang konnte der Junge jedoch noch einzelne Familienmitglieder in den Viehwaggons ausmachen, seine Mutter, den Mantel der Schwester, sekundenkurze Momentaufnahmen, die sich bis heute in die Netzhaut eingebrannt haben, wie Zoni Weisz im Gespräch Antonio Pellegrino erzählt.

Blumen für die Königsfamilie

Eine Tante war ihm noch geblieben, die ihn in die Schule schickte, die lange sparen musste, um ihm eine Gitarre zu schenken. Später sollte aus dem Waisenkind ein international anerkannter Florist werden, der sage und schreibe vier Generationen der niederländischen Königsfamilie mit Blumenkreationen versorgte. Und Zoni Weisz schmückte sich quasi selbst mit einem Eintrag ins Guiness-Buch der Rekorde für das größte Blumenarrangement der Welt.

Doch trotz glanzvoller Karriere und glücklichem Familienleben: Die Verfolgung und Ermordung der Sinti während des Zweiten Weltkriegs sei ein Teil seines Lebens geblieben, sagt Weisz. Nach Schätzungen fielen im nationalsozialistisch besetzten Europa 500.000 Sinti und Roma dem Holocaust zum Opfer - ein "vergessener Holocaust", für dessen Anerkennung Zoni Weisz seit Jahren kämpft, als Zeitzeuge in Schulen geht und viele Gespräche in der Öffentlichkeit sucht. Am 27. Januar 2011 hielt er als erster Vertreter der Sinti und Roma anlässlich der Gedenkstunde zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus eine Rede vor dem Deutschen Bundestag. Für sein unermüdliches Engagement für die Sinti und Roma und für seinen Einsatz für die niederländische Blumenindustrie wurde er von Königin Beatrix zum Offizier des Ordens von Oranien-Nassau ernannt.

"Ich hoffe, dass meine Geschichte jedem, der einen schwierigen Start ins Leben hatte, eine Hilfe sein kann. Man kann vieles überwinden, wenn man es nur will und die richtigen Menschen findet, die einem dabei helfen."

(Zoni Weisz, im Vorwort seines Buchs)

„Der vergessene Holocaust. Mein Leben als Sinto, Unternehmer und Überlebender“

von und mit Zoni Weisz

am 22. Januar um kurz nach 21 Uhr in den radioTexten am Dienstag

Lesung: Rainer Buck

Studiogast: Zoni Weisz

Das Buch ist bei dtv erschienen.
Die Sendung gibt es für 7 Tage als kostenlosen Podcast in der BR-Mediathek.


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