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Rechter Terror - der Podcast Vier Jahrzehnte rechtsextreme Gewalt in Deutschland

Stand: 18.02.2021 | Archiv

Das Oktoberfest-Attentat, die Brandsätze in den 1990ern, der Anschlag von Halle, Neonazi-Seilschaften im Kalten Krieg, vertuschte ausländerfeindliche Übergriffe in der DDR und rechte Täter heute, die von Verschwörungstheorien angestachelt sind: Die Podcastreihe "Rechter Terror" geht der Spur der Hasses über vier Jahrzehnte nach. Sie lässt die Überlebenden zu Wort kommen und ordnet ein. Wieso werden rechte Hintergründe, rechte Netzwerke immer wieder übersehen oder weg diskutiert und sogar Opfer kriminalisiert?

Brandanschlag Rechter Terror | Bild: SZ/Montage: BR, Nadja Dall'Armi

Der Podcast „Rechter Terror“: Die Spur rechtsextremer Gewalt

Wir stellen die Überlebenden, die Betroffenen in den Mittelpunkt. Die fünf Folgen machen erlebbar: Wie ist die politische Stimmung im jeweiligen Jahrzehnt? Und was hat sie mit den rechtsextremen Taten und Strukturen der Zeit zu tun?

Alle Folgen im BR-Podcast-Center hören.

Im Podcast: Rechter Terror und Rechtsextremismus in Deutschland

Durch rechtsextreme Gewalt sterben mehr Menschen als durch jede andere Form von Extremismus. Die Bundesregierung zählt an die hundert Todesopfer seit der Wiedervereinigung, verschiedene Medien über 150 und die Amadeu-Antonio-Stiftung sogar über 200.

Am 19. Februar 2020 werden in Hanau neun Menschen erschossen. Alle haben einen Migrationshintergrund. Der mutmaßliche Täter Tobias R. war ein Rassist. Seine Taten stehen in einer langen Reihe rechtsextremer Morde in Deutschland.

Der Podcast "Rechter Terror" folgt der Spur des Hasses in fünf Folgen:

#1: Am 26.09.1980 werden beim Oktoberfestattentat 13 Menschen getötet.

#2: Am 23.11.1992 sterben drei Menschen, als in Mölln Molotow-Cocktails in ein Wohnhaus geworfen werden.

#3: In den 2000er Jahren werden zehn Menschen vom NSU getötet und weitere bei einem Bomben- und einem Brandanschlag verletzt.

#4: Am 09.10.2019 versucht ein Rassist, in eine Synagoge in Halle einzudringen und erschießt später zwei Passanten.

#5: Auch in der DDR kam es zu Morden an Menschen mit Migrationshintergrund. Die Aufarbeitung ist längst noch nicht abgeschlossen.


Wenn man sich mit rechtsextremistischen Taten beschäftigt, fällt auf: Häufig wurde der rechte Hintergrund der Taten in den Ermittlungen übersehen, ausgeblendet oder weg diskutiert. Immer wieder wird von rechtsextremen Einzeltätern gesprochen - und die Opfer im Zuge der Ermittlungen kriminalisiert. Die Ermittlung und Verurteilung von Angehörigen der Unterstützernetzwerke verläuft dagegen sehr häufig schleppend.

Rechter Terror in Deutschland #1: Das Oktoberfestattentat und die 1980er Jahre

Vor über 40 Jahren, am 26.9.1980, wurden beim Attentat auf das Oktoberfest 13 Menschen getötet - bis heute ist es der blutigste rechtsextreme Anschlag in der Bundesrepublik: Schnell steht Gundolf Köhler, der bei der Explosion stirbt, als Täter fest. Die Sicherheitsbehörden kommen zu dem Schluss, dass er alleine gehandelt hat, aber daran gibt es bis heute viele Zweifel. Erst im Jahr 2020 bewertet die Generalbundesanwaltschaft das Oktoberfest-Attentat als rechtsextremen Anschlag. Dabei werden die Verbindungen Köhlers zur rechten Szene schon kurz nach der Tat bekannt – inklusive seiner früheren Mitgliedschaft in der „Wehrsportgruppe Hoffmann“. Das Milieu, in dem sich Köhler bewegt hat, verrät viel über rechtsextreme Strukturen in den 1980ern.

Einblick in Folge 1: Die Sicht der Opfer, die Einordnung.

„Es ist sehr deutlich, dass die Wehrsportgruppen dieser Zeit - und die Wehrsportgruppe Hoffmann war die größte davon - eine Art Dienstleistung für das radikal nationalistische rechtsextreme Lager bieten sollten, die die Jugendverbände offensichtlich aus eigener Kraft nicht mehr hinbekamen. Was früher an Schießtrainings, Wehrsporttrainings und so weiter in Bund Heimattreuer Jugend oder der Wiking-Jugend oder vergleichbaren Verbänden gelaufen war, das wurde offensichtlich hier jetzt angeboten.“ (Gideon Botsch, Politikwissenschaftler. Er leitet die Forschungsstelle Antisemitismus und Rechtsextremismus an der Universität Potsdam.)

„Beim Oktoberfestattentat fällt ja als erstes Mal ins Auge, dass da unglaublich vielen Spuren - sehr, sehr heißen Spuren - nicht nachgegangen wurde. Oder nur sehr kurze Zeit nachgegangen wurde.“ (Christiane Mudra, Autorin und Regisseurin aus München. Sie macht seit vielen Jahren investigative Theaterstücke. Für das Stück “Wir waren nie weg” hat sie zum Beispiel lange Zeit zum Oktoberfestattentat und zum NSU recherchiert.)

#2 Die 1990er Jahre und der Anschlag von Mölln: Hier anhören.

Rechter Terror in Deutschland #2: Die 1990er Jahre und der Anschlag von Mölln

Im November 1992 werfen Neo-Nazis Molotowcocktails auf zwei Häuser in Mölln in Schleswig-Holstein, die mehrheitlich von Menschen türkischer Herkunft bewohnt werden. Zwei Mädchen und ihre Großmutter sterben. Wenige Monate vorher greifen hunderte rechte Randalierer unter „Deutschland den Deutschen“-Rufen eine „Aufnahmestelle für Asylbewerber“ und ein Wohnheim für ehemalige vietnamesische Vertragsarbeiter in Rostock-Lichtenhagen an. Das sind nur zwei von vielen rechtsextremen Anschlägen und Übergriffen in den 1990ern. Offen rechtsextreme Neo-Nazis treiben in diesem Jahrzehnt im ganzen Land, bis in kleine Dörfer hinein, ihr Unwesen.

Einblick in Folge 2: Die Sicht der Opfer, die Einordnung.

“Das war mein Glück im Unglück, dass die Küche nicht gebrannt hat. Meine Oma ist an der Treppe zwischen dem Zimmer und der Küche gestorben. Also, sie hat wohl möglich auch meine Schwester und meine Cousine retten wollen. Allerdings hat sie es nicht geschafft.” (Ibrahim Arslan, Überlebender)

„Man hat diese extrem rechte Szene auf der Straße wirklich viel zu lange gewähren lassen. Das beweisen ja auch die Tatsachen, wie z.B., dass tatsächlich nach den Ausschreitungen von Rostock-Lichtenhagen nur drei Haftstrafen gefällt wurden. Man hat da gar keinen großen Verfolgungsdruck auf diese rechtsextremen Täter ausgeübt.“ (Andrea Röpke, Fachjournalistin)

# 3 Die 2000er Jahre und der NSU Hier anhören.

Rechter Terror in Deutschland #3: Die 2000er Jahre und der NSU

Die Mitglieder des NSU haben in den 2000er Jahren zehn Menschen ermordet. Neun der Opfer haben einen Migrationshintergrund. Die Polizei ist dem rechtsextremen Trio auch deshalb nicht auf die Schliche gekommen, weil sie die Tatmotive jahrelang im Familien- und Geschäftsumfeld der Opfer gesucht hat. Dazu hat es unzählige, aus heutiger Sicht unfassbare, Ermittlungspannen gegeben. Angehörige der Mordopfer erzählen, wie ihren Partnern und Geliebten kriminelle Machenschaften angedichtet worden sind und was das mit ihnen gemacht hat.

Einblick in Folge 3: Die Sicht der Überlebenden, die Einordnung.

“Ich wollte eigentlich eine Antwort. Wieso, wieso mein Mann? Wie habt ihr ihn gefunden? Was hat ihn ausgemacht, dass er jetzt euer Opfer wird?” (Yvonne Boulgarides, Witwe des Mordopfers Theodoros Boulgarides)

“Warum drückt man mich mit dem Rücken derart an die Wand, obwohl man ja gewusst hat, die hat gar nichts damit zu tun.” (Yvonne Boulgarides, Witwe des Mordopfers Theodoros Boulgarides)

„Man sagt das zwar, und man sagt das auch über Jahre, aber selber hat man eigentlich nie damit gerechnet: Dass es wirklich da diese Nazi-Ideologie gibt, die zehn Menschen umbringt.“ (Katharina König-Preuss, heute Landtagsabgeordnete in Thüringen. Sie war jahrelang war sie Obfrau der Linken im NSU-Untersuchungsausschuss. In den 1990er Jahren engagiert sich die Tochter des Stadtjugendpfarrers in der evangelischen Jungen Gemeinde in Jena gegen die starke Neonaziszene der Stadt.)

„Dagegen spricht ja nicht zuletzt die Tatsache, dass sich der NSU mit Briefsendungen an die eigene Szene gerichtet hat und dass doch eine ganze Reihe von Personen um den NSU, auch die, die als V-Personen für die Inlandsgeheimdienste gearbeitet haben, doch was vom NSU mitbekommen haben und auch berichtet haben.“ (Robert Andreasch, Fachjournalist, über die angebliche Selbstabschottung des NSU)

„Auch heutige Rechtsterroristen beziehen sich auf den NSU, Rechtsextremisten wie NSU 2.0, aber auch die so genannte Gruppe Revolution Chemnitz, die in Chats geschrieben haben soll, gegen das, was sie vorhaben, ist der NSU nur ein Kindergarten gewesen - also, das ist eine Referenzgröße.“ (Rechtsextremismus-Experte Matthias Quent, Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena, dessen Gründung auch eine Konsequenz aus der NSU-Affäre ist.)

#4 Die 2010er Jahre und der Anschlag von Halle: Hier anhören.

Rechter Terror in Deutschland #4: Die 2010er Jahre und der Anschlag von Halle

Am 09. Oktober 2019 versucht der Rechtsextreme Stephan B. in eine Synagoge in Halle einzudringen, um dort Menschen jüdischen Glaubens umzubringen. Später erschießt er eine Passantin und einen Gast in einem Imbiss. Die Tat folgt einem Muster: Rechtsextreme, die sich im Internet mit Gleichgesinnten austauschen und radikalisieren begehen auf der ganzen Welt Anschläge, oft streamen sie ihre Taten in Sozialen Netzwerken.

Einblick in Folge 4: Die Sicht der Überlebenden, die Einordnung.

“Sowohl Granaten, Molowtow-Cocktails, direkt geschossen auf die Tür. Also, hat alles mögliche gemacht, um in die Synagoge zu kommen und das können wir sehen.” (Max Privorozki, Vorsitzende der jüdischen Gemeinde von Halle an der Saale.)

“Was aber vielfach zu sehen ist, dass Menschen sich online ausgetauscht haben. Sie online eine Community gefunden haben, in der auch dazu aufgerufen wird, Menschen zu töten und in der Menschen ständig entmenschlicht werden.” (Karolin Schwarz, Autorin und Expertin für Rechtsextremismus. Im Halle-Prozess ist sie auch Sachverständige gewesen.)

#5 Die DDR und die Hetzjagd von Erfurt: Hier anhören.

Rechter Terror in Deutschland #5: Die DDR und die Hetzjagd von Erfurt

Im Sommer 1975 hetzen Erfurter Bürger Vertragsarbeiter aus Algerien durch die Stadt. Kein Einzelfall, immer wieder kommt es in der DDR zu rechtsradikaler Gewalt, die es laut Staatsdoktrin gar nicht geben dürfte. Der sozialistische Staat definiert sich als antifaschistisch.
Die Aufarbeitung rechtsradikaler Vorfälle in der DDR ist auch deshalb schwierig, weil sie in der Arbeit der damaligen Ermittler oft als Rowdytum abgetan oder vertuscht worden ist. Die Debatte um rechte Gewalt in der DDR ist gerade voll im Gange.

Einblick in Folge 5: Die Sicht der Überlebenden, die Einordnung.

"In der Nachkriegszeit-Zeit bei der Gründung der DDR wurde ja erklärt, dass man nunmehr antifaschistisch sei. Und das beruhte auf einer Ideologie, die sagt, der Faschismus und damit auch der Antisemitismus und Rassismus beruhen auf dem Kapitalismus. Wenn man den Kapitalismus abschafft, dann erübrigt sich das andere praktisch von alleine." (Anetta Kahane, Vorsitzende Amadeu-Antonio-Stiftung)

"Der Antifaschismus umfasste immer nur … die Helden des antifaschistischen Widerstandskampfes, die man vornehmlich als Opfer des deutschen Faschismus sah." (Franka Maubach, Historikerin)

"Der Begriff selber wurde wie der Teufel das Weihwasser vermieden, weil es durfte ja keinen Faschismus in der DDR geben. das wurde dann verniedlicht anhand solcher Begrifflichkeit wie Rowdys, Körperverletzung, … um das politische Wesen des Phänomens zu verdecken." (Bernd Wagner, ehemaliger DDR- Kriminalpolizist)

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