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The Beach Boys Zum 50. Geburtstag von "America's Band"

Als sich die Beach Boys gründeten, hatte der Rock'n'Roll seine besten Zeiten hinter sich, doch die Band erweiterte das Genre einfach um den lässigen Surfer-Vibe. Brian Wilson und seine Komparsen schrieben darauf Musikgeschichte.

Von: Roderich Fabian

Stand: 28.10.2011 | Archiv

Beach Boys | Bild: picture-alliance/dpa

Das Leben treibt zuweilen seltsame Blüten, und keiner weiß genau, wie's ausgeht. Das trifft in jedem Fall zu auf drei kalifornische Brüder, einen Cousin und einen Freund, die im Oktober 1961 ihre erste Platte aufnehmen. Keiner von ihnen wird geahnt haben, dass es ihre Band auch 50 Jahre später noch geben würde. Die Familienband mit Freund nennt sich damals noch "The Pendletons" und ihr erster Song heißt "Surfin'". Er wird Platz 75 der amerikanischen Single-Charts erreichen. Aber auf dem Cover steht da schon nicht mehr "The Pendletons", sondern "The Beach Boys". Die Plattenfirma hatte den Namen geändert, ohne die Jungs zu fragen. Jedem sollte sofort klar sein: Diese Band gehört zum angesagten Sound des Jahres 1961, zur Surf Music.

Bei "Surfin'" swingt noch viel Doo-Wop mit, der afroamerikanische Soul-Vorläufer mit mehrstimmigem Gesang. Und die Kombination von vielen Stimmen soll auch für immer das Markenzeichen der Beach Boys bleiben. Der Rock and Roll hat seine besten Zeiten 1961 schon wieder hinter sich. Die Jungs aus der Kleinstadt Hawthorne an der kalifornischen Pazifik-Küste fangen an, Musik zu machen, als weichgespülte Post-Rocker wie Ricky Nelson, Pat Boone und Bobby Vee die Charts in den USA dominieren. Der harte Rock von Elvis, Little Richard oder Chuck Berry scheint da schon ausgedient zu haben. Aber die Beach Boys - sie wehren sich nicht lange gegen den neuen Namen - machen nach "Surfin'" nicht mit Doo-Wop weiter, sondern mit Rock and Roll. Obwohl ihre erste Single, erschienen bei einem Independent-Label kein echter Hit wird, findet das große Label "Capitol Records" Gefallen an den drei Brüdern Brian, Carl und Dennis Wilson, an ihrem Cousin Mike Love und Al Jardeen, die alle noch Teenager sind, als die Band startet.

Schnieke Jungs vom Strand: Die Beach Boys, irgendwann im Schwarz-Weiß-Zeitalter.

Aber auch Capitol will Surfmusik von der Band, also heißen drei der frühen Capitol-Singles "Surfer Girl", "Surfin'  Safari" und - last not least - "Surfin' USA". Das wird auch der erste echte Beach-Boys-Hit im Frühjahr 1963. "Surfin USA" macht die Beach Boys 1963 zu Popstars - doch nicht nur Chuck Berry fühlt sich erinnert an "Sweet Little Sixteen" aus dem Jahr 1958. Berry klagt wegen Urheberrechtsverletzung , und Murry Wilson, der Vater der Wilson-Brüder und Manager der Beach Boys beeilt sich danach, die Kompositions-Tantiemen an den zu dieser Zeit ohne hin klammen Berry abzutreten. Schließlich will er die gerade erst angelaufene Karriere seiner Buben nicht gefährden.

Die perfekten Popstars der 60ies

Die Beach Boys sind perfekte Popstars ihrer Zeit: Nette, adrette Sunnyboys, die gern längsgestreifte Wollpullis tragen und weiße Hosen - das bleibt jahrelang ihre Bühnenuniform. Und Brian Wilson, der älteste der Brüder, hat keine Mühe, Hit auf Hit zu schreiben. Die Texte entwirft er meistens mit Lead-Sänger Mike Love zusammen. Wenn`s mal nicht ums Surfen geht, dann um andere Annehmlichkeiten des Lebens: Um Sportwagen, Strandparties und Girls.

Einen Monat, nachdem die Single "Fun Fun Fun" im März 1964 erscheint, erleben die Beatles ihren Durchbruch in Amerika, als "She loves you" die Spitze der Charts erreicht. Die Beach Boys, die auf dem besten Weg sind, die erfolgreichste Band der USA zu werden, haben es seitdem mit der sogenannten "britischen Invasion" Amerikas durch englische Bands zu tun. Aber die Beach Boys haben genug Sonne im Herzen, um die Herausforderung anzunehmen. Sie wissen nur, dass Chuck-Berry-Riffs allein nicht mehr reichen werden. Aber das Songwriter-Duo Wilson und Love zeigt sich entwicklungsfähig: Die Single "I get around" ist der Prototyp des Beach-Boys-Sounds, emanzipiert von seinen Vorbildern, die Antwort auf die Beatles und die erste Nummer eins der Band überhaupt.

Brian Wilson, eigentlich der Star der Band, zeigt jedoch erste Abnutzungserscheinungen, lässt sich bei Tourneen nun häufiger von anderen Musikern vertreten. Zunächst von Country-Popper Glen Campbell, der aber schon bald einer prosperierenden Solo-Karriere den Vorzug gibt, ab 1965 dann von Brian Johnston, einem schon erfahrenen Studiosänger aus LA, der seitdem zum Nukleus der Beach Boys gehört. Mitte der Sixties verändert sich die Popkultur in andere Richtungen. Man probiert mehr aus, experimentiert mit fremden Instrumenten und kulturellen Einflüssen. 1965 erscheint "Rubber Soul", das erste Beatles-Album, das mehr sein will als eine Sammlung von Hits und Füllmaterial. Brian Wilson ist von "Rubber Soul" schwer beeindruckt.

Erstmals scheint auch für die Beach Boys das Album-Format interessant zu werden. Wilson zieht sich zurück, will den ewigen Konkurrenten etwas entgegensetzen und schreibt mehr oder weniger im Alleingang das Album "Pet Sounds". Das markiert einen Richtungswechsel der Band. Die anderen tun sich erstmal schwer damit, den zu akzeptieren. Man lebt ja gut von den simplen Surf-Hits. Aber Wilson setzt sich durch, experimentiert im Studio mit ausgefallenen Instrumenten wie dem Theremin. Und auch die Themen der Songs werden komplexer, zweifelnder. Statt dem "Endless Summer" vergangener Zeiten wird die Liebe und die Existenz ganz allgemein in Frage gestellt. "Pet Sounds" wird heute immer wieder in den Listen ganz oben platziert, in denen es um die besten Pop-Alben aller Zeiten geht.

Im Jahr der Veröffentlichung tun sich die alten Beach-Boys-Fans noch schwer damit. Die Verkäufe in den USA bleiben hinter den Erwartungen zurück, nur in Europa zündet "Pet Sounds" sofort. Es wird Jahre dauern, bevor Songs wie "Caroline, No" auch in der Heimat der Band als die Klassiker anerkannt werden, die sie sind. Zur kommerziellen Rettung wurde eine Single aus "Pet Sounds" ausgekoppelt, die immerhin noch Mitsing-Potential besaß: "Sloop John B" war die Coverversion eines alten Seemannsliedes aus dem frühen 20sten Jahrhundert, das die Beach Boys in perfekten Pop der Mittleren Sechziger transformieren konnten.

Wer gedacht hatte, Brian Wilson sei nach den Pet-Sounds-Eskapaden auf den Pfad der schlichten Schönheit zurückgekehrt, sah sich jedoch getäuscht. Die Beatles hatten 1967 mit dem "Sergeant Pepper"-Album geantwortet, spätestens jetzt musste die Oberliga des Pop mehr abliefern als nur gefällige Hitsingles. Obendrein bestimmte nun auch LSD, die psychedelische Droge, die erst seit Ende 1966 in den USA illegal war, das Denken vieler Musiker. Brian Wilson war einer von denen, die sich nun aufgerufen sahen, die Welt ganz anders, in besonders schillernden Farben zu sehen. Und er fand in dem Produzenten und Arrangeur Van Dyke Parks einen idealen Partner für neue, sonische Experimente. Gemeinsam wollte man noch eins draufsetzen auf "Pet Sounds", eine Symphonie der Klänge und Stimmen, die "Smile" heißen sollte.

Doch die Aufnahmen dazu gerieten zu einem Chaos: Die unwilligen Rest-Beach-Boys streikten oft bei den schwierigen Gesangsaufnahmen, Brian Wilson musste immer wieder lange Pausen machen, um von seinen Trips auf den Boden der Tatsachen zurückzufinden. Und auch die Plattenfirma war eher unwillig, sich auf das teure und langwierige "Smile"-Projekt einzulassen. Um die so entstehende Verzögerung nicht zu lang werden zu lassen, wurde eine Zwischenlösung gefunden. Man veröffentlichte halbfertige Songs und eigentlich unausgegorene Experimente, aufgepeppt durch ein paar ausgearbeitete Stücke unter dem Titel "Smiley Smile". Das Album wurde ein gewaltiger Flop, obwohl sich darauf auch der letzte Nummer-eins-Hit der Beach Boys für die kommenden 20 Jahre befand, das monumentale "Good Vibrations", das bis heute meistgespielte Stück der Band.

Die Beach Boys gerieten danach in schwierigere Gewässer: Der Surfpop hatte sich längst überlebt, die Konkurrenz hatte sie abgehängt, die Beatles, Stones regierten die Charts, aber auch amerikanische Bands wie die Grateful Dead, Jefferson Airplane oder Big Brother and the Holding Company definierten den Sound Kaliforniens ganz anders als es die Beach Boys Jahre zuvor getan hatten.

Wilsons psychische Probleme

Was folgte, waren Versuche, sich neu zu erfinden. Brian Wilson war zu jener zeit nur noch gefühlt Mitglied der Band, musste psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen, während seine Brüder das Business der Beach Boys weiterführten. Carl Wilson übernahm das Ruder. Aber mit dem Beginn der 70er Jahre hätte man die Beach Boys als erledigten Fall betrachten können. Die einzelnen Mitglieder sahen sich nur noch sporadisch. Murry Wilson, der Vater der drei Wilson-Brüder, wurde als Manager gefeuert, nachdem er die meisten Verlagsrechte an den alten Hits verhökert hatte, ohne die Musiker zu fragen. Aber alle außer Brian Wilson wollten dringend weitermachen, Solo-Karrieren schienen nicht sehr verheißungsvoll.

Brian Wilson heute: Das Mastermind der Beach Boys tourt wieder mit alten Songs.

"Surf's Up" hieß das Beach-Boys-Album von 1971 - auf dem Cover sieht man das Bild eines völlig erschöpften Kreuzritters, der sich gerade noch auf dem Pferd halten kann - sehr symbolisch, wenn man an den Zustand der Band zu jener Zeit analysiert. Man entschließt sich zu radikalen Schritten. 1972 siedelt die ganze Band - außer Brian Wilson, der in Kalifornien bleibt, für einen Sommer in die Niederlande um. Außerdem heuert die Band mit den Südafrikanern Ricky Fataar und Blondie Chaplin eine versierte Rhythmusgruppe an. Die Beach Boys sollen - so die Idee von Carl Wilson - einen dichteren Sound erhalten. Ergebnis ist das Album "Holland", das 1973 erscheint. Die Plattenfirma zeigt sich nach Abgabe der Bänder mal wieder unzufrieden, hört keine Single und bittet um Nachbesserungen. So landet schließlich ein weiterer Song aus den Smile-Sessions auf "Holland", ein Song aus der Feder von Brian Wilson und Van Dyke Parks, den die Beach Boys jedoch komplett neu einspielen. "Sail on Sailor" entsteht ohne Mitwirkung von Brian Wilson, ist aber trotzdem ein Highlight im Oeuvre der Beach Boys in den 70ern.

Mit der zweiten Hälfte der 70er Jahre akzeptieren die Beach Boys, dass man sie eher für ihre alten Hits liebt als für neue Produktionen. Auf ihren Tourneen spielen sie ab jetzt vor allem ein Potpourri aus Evergreens der Sixties. 1983 ertrinkt Dennis Wilson, der Drogen und Alkohol nie abgeneigt war, bei einem Tauchversuch im Pazifik. 1988 setzt es dann ein überraschendes Comeback. Mike Love schreibt mit den Hippie-Ikonen Scott "San Francisco" McKenzie und John "Mamas and Papas" Phillips den Song "Kokomo", der Aufnahme in den Soundtrack des Hollywood-Films "Cocktail" findet.

1998 stirbt Carl Wilson, der inoffizielle Chef der Beach Boys in den 70er und 80er Jahren an Lungenkrebs. Von da an übernimmt Mike Love das Kommando. Der streitet sich mit Brian Wilson mehrfach vor Gericht um millionenschwere Tantiemen. Und genau das hat auch verhindert, dass man zum 50sten Bandjubiläum 2011 noch einmal zusammen aufgetreten ist. Offiziell gibt es die Beach Boys noch: Mike Love und das langjährige Mitglied Brian Johnston sind Teil des Oldie-Zirkus, der Jahr für Jahr durch die USA tourt. Sänger Al Jardine hat eine mittelprächtige Solo-Karriere hinter sich. Und Brain Wilson war in den letzten Jahren als Solo-Act ebenfalls wieder mit jeder Menge Beach-Boys-Hits unterwegs. Zur Überraschung aller hat sich der Mann von den vielen gesundheitlichen Belastungen der letzten Jahrzehnte immer wieder erholt.


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