Bayern 2 - Nachtmix


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Geoff Barrow Mister TripHop wird 40

Geoff Barrow wuchs in Portishead auf. Er gründete mit Beth Gibbons eine Band und nannte sie - Portishead. Seitdem sind Parkplatzschilder dort rar: ein beliebstes Touristen-Souvenir. Heute wird Geoff Barrow 40 Jahre alt.

Stand: 09.12.2011 | Archiv

Die Bandmitglieder von Portishead: Beth Gibbons, Adrean Utley und Beoff Barrow | Bild: picture-alliance/dpa

1994 begann die Karriere von Geoff Barrow und seinem Projekt Portishead mit Sängerin Beth Gibbons. "Numb" hieß die erste Single und machte nicht nur den Namen des kleinen englischen Küstenkaffs Portishead, in dem er aufwuchs, sondern auch den der nächstgrößeren Stadt Bristol weltberühmt. Mit dem sogenannten "Sound Of Bristol" war Anfang/Mitte der 90er der neue TripHop/Downbeat-Sound befreundeter Gruppen wie Massive Attack, Portishead und Tricky gemeint. Portishead-Sängerin Beth Gibbons hat dem Zündfunk damals erzählt, auf welch ungewöhnlichem Wege sie den späteren Studiokopf Geoff Barrow kennengelernt hat – über einen Selbständigkeitskurs vom Arbeitsamt. Danach verloren sich die beiden wieder aus den Augen und Beth spielte solo. Geoff suchte Jobs in Studios. Portishead klappte erst beim zweiten Anlauf, beim zweiten Treffen zwischen Gibbons und Barrow. Die Sängerin analysierte die Beziehungen innerhalb der Band im Zündfunk Interview im Jahr 1994 mit den Worten: "Ich glaube, ich mochte Geoff damals mehr als er mich". Ihre emotionale Sicht der Dinge schlägt sich auch in den Texten nieder - in "Glory Box" heißt es zum Beispiel ganz existenzialistisch: "Ich bin so müde vom ewigen Jagen, gib mir einen Grund, dich zu lieben, gib mir einen Grund, eine Frau zu sein."

Geoff Barrows Qualitäten als Arrangeur sprachen sich dank des Portishead-Debüts von 1994 schnell herum – was folgte war klar: Remixanfragen. Der wohl langlebigste Remix aus seinen Händen ist der für Paul Weller von 1995 – Wildwood / Sheared Wood im Portishead Mix, den Weller inzwischen auch gern auf Best-Of-CDs draufpackt.

"Der Typ aus Portishead"

Geoff Barrow | Bild: www.porthishead.co.uk

Geoff Barrow auf der Portishead-Tour 2011

Den Bandnamen "Portishead" verdanken wir anderen TripHop-Größen: Barrow war Studio-Hiwi bei Massive Attack in Bristol gewesen und wurde von ihnen als "Typ aus Portishead" bezeichnet. Portishead legten mit dem Debüt einen Traumstart hin: Weltweit verkauften sie 2,5 Millionen Exemplare und heimsten den begehrten Mercury Award ein - als britische Platte des Jahres. Doch es dauerte drei Jahre, bis die zweite Platte fertig war. Geoff Barrow  war selbst nach Fertigstellung des Zweitlings noch unsicher, ob er sie gut finden sollte: "Wenn sich 50 Leute die CD ins Regal stellen, wäre es schon Erfolg", hielt er 1997 im Interview die Bälle flach. Und er ergänzte bei der Pressekonferenz: "Die größte Kunst im Popgeschäft besteht darin, einen Hype zu überleben."                     

In Der Tradition der Torch-Songs

"Trauergesänge mit schleppenden HipHop-Rhythmen" schrieb der Spiegel anlässlich der zweiten Portishead-Platte: "Diese Mixtur macht auch das zweite Album der britischen Band zu einem Klangereignis". Die Musik der Band steht in der Tradition der sogenannten Torch-Songs, also Liedern, die wie ein Taschenlampe durch das Dunkle flackern. Auch mit dem zweiten Album konnten Portishead sowohl Fans als auch Kritiker begeistern – vor allem für die Stimme von Beth Gibbons wurden viele Vergleiche gefunden. Die Schönsten: "Die Diva des Wimmerlauts", sie sei die "Billie Holiday des TripHop" oder "die weibliche Frank Sinatra der Stille".

Portishead fotografieren ihr "P" selbst gerne - das Foto ist von der 2011-er-Tour

Mit dem zweiten Album von Portishead setze die Band den Anfangs-Buchstaben ihres Namens als eine Art Logo durch. Dass Fans beim Anblick von Verkehrszeichen in Verzückung geraten, kannte man ja schon vom Kraftwerks "Autobahn"-Cover. Nun benutzten also Portishead das blau-weiße "P", das man von Parkplätzen kennt, als neuen Schriftzug. Und die Heimatgemeinde von Geoff Barrow, sein 22.000-Einwohner-Herkunftsort Portishead, konnte gar nicht genug Ortsschilder aufhängen, so schnell wurden sie von Fans der Band wieder geklaut.

Das dritte Album der Band ließ ausnahmsweise nicht lange auf sich warten:
Es nannte sich "Roseland, New York City, live" - der Mitschnitt ihres Konzerts vom 24.7.1998 im Roseland Ballroom, New York. Es war der Abend, an dem sie ihr zweites Album vorstellten – vermischt mit Stücken vom Debüt. Portishead spielten nicht wie gewohnt zu viert, sondern mit Hornensemble und 30köpfigem Streichorchester. Das Ganze wurde auch visuell festgehalten – für den Konzertfilm "PNYC". Gerne sind zwischengeschobene Live-Albem Ausdruck einer künstlerischen Ratlosigkeit. Und so kam es, wie es kommen musste: Es folgte das große Loch - nicht nur 15 Monate lang, wie nach dem Debüt, sondern 10 Jahre sollten vergehen, bis Portishead wieder ein Studioalbum fertig hatten. Mehrere Versuche nach 1998 hatten sie komplett aufgegeben, weil die Lieder zu nah an den frühen Stücken lagen, so Portishead-Gitarrist Adrian Utley zum langwierigen Comeback 2008.

Portishead nähern sich Barrows Nebenprojekt Beak>

Dass das Comeback unerwartet ausfallen würde, hatte sich im Netz schon angekündigt: Krautrockig, aber durchaus auch modern elektronisch sollte ihr neues Werk "Third" sein – und war es auch: Die Single und der "Hit" der Platte, "Machine Gun", waren nicht der Sound eines Maschinengewehrs, sondern kamen von einem alten Synthie. Portishead hatten den Klang bei den Silver Apples entdeckt – einer einflussreichen New Yorker Elektro-Formation, die schon Ende 60er mit Synthies experimentiert hatte. Adrian Utley erzählte im Zündfunk Interview von 2008, dass Portishead deshalb so lange gebraucht hätten, weil sie sich immerzu an den eigenen Klassikern messen. "Haben wir schon ein 'Roads' aufgenommen, ist ein 'Wandrin Star' dabei, oder auch ein 'Glory Box'?"

"Third" von Portishead war bis auf das kurze Stück "Deep Water" die Abwendung vom altbekannten TripHop – die Wendung hin zu neuen Ufern. Die Mitglieder hatten sich zuvor schon ein wenig freigeschwommen. Beth Gibbons hatte schon eine schöne Mystery-Folk-Solo-Platte herausgebracht. Und dann ging auch Geoff Barrow solo: Beak> nennt sich sein Nebenprojekt. Und man muss sagen: Zum Teil klingen die neuen Portishead doch am ehesten nach der Nebenband des Chefs: Krautig und dubbig. Hier fungiert er als Sänger und Drummer. Barrow hat mit Ende 30 einen neuen musikalischen Weg eingeschlagen: Weniger jazziger Downbeat-Sound, sondern eher fordernder Krautrock. Sein neues Bandprojekt Beak>, das übersetzt "Schnabel" heißt, trägt einen solchen in Form einer spitzen Klammer, die wie ein Schnabel aussieht.

Große Freiheit Kleinlabel: Invada Records als drittes Baby

Geoff Barrow auf der Portishead-Tour 2011

Das experimentelle Debüt von Beak> erschien 2009, also im Jahr nach der dritten Portishead-CD. Seitdem ist nun wieder viel Zeit ins Land gegangen, in der sich Barrow seinem dritten Baby – seinem Label Invada Records - widmete, auf dem inzwischen über 40 Platten herausgekommen sind – soundmäßig pendeln sie von HipHop über Dub bis zu experimenteller Elektronik, so wie Barrows Beak>- Projekt auch selbst klingt. Und immer sauber am Mainstream vorbei, versteht sich. Die große Freiheit eines kleinen Labels. Ein Fan des Labels ist etwa der britische Durchstarter Caribou, der sich in seinem Gästemix auf Bayern2 Anfang 2011 ein Stück von Invada Records wünschte: Das knapp halbstündige „The Blackleg Minor“ von David Wrenchs Arbeiterliederplatte "Spades, Hoes & Plows". Die vielleicht viel- versprechendste Entdeckung des Labels dürfte die deutsch-englische Musikerin und Journalistin Anika sein – Geoff hatte ihre Stimme bei MySpace gehört und danach ihr Album in Bristol im Studio produziert. Anika überführte darauf Bob Dylans "Masters Of War" in Dub und spielte "End Of The World", den 60er-Country-Pop-Klassiker von Skeeter Davis beängstigend schön ein.

Veränderung als Rettung

Im September 2011 hat Geoff Barrow angedeutet, dass die heiße Phase der Studioproduktion für eine neue, vierte Portishead Platte im Januar 2012 beginnen würde – aber wer die Band kennt, weiß, dass man besser nicht drauf warten sollte. Wir sind gespannt auf alles, was noch aus Barrows Fingern kommen wird. Portishead wird immer eine Band schwieriger Charaktere bleiben, die ihren Reiz aber genau aus dieser Spannung bezieht. Ihr letztes Lebenszeichen war bislang die Benefiz-Single für Amnesty International "Chase The Tear", das an den Sound der "Third" anknüpft: Monoton, kalt und meilenweit vom Debüt entfernt. Portishead haben unter der Regie von Geoff Barrow eine Wandlung vollzogen, wie sie Bands nur selten erleben. Und das alles, um sich nicht zu wiederholen und um die Gruppe damit letzten Endes zu erhalten und zu retten.


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