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Willie Nelson Funny how time slips away

Am 30. April 2013 wurde er achtzig Jahre alt und für viele ist Willie Nelson der größte lebende Countrysänger unter der Sonne. Seine langjährigen Weggefährten Waylon Jennings und Johnny Cash sind schon seit Jahren tot, aus seiner Generation ist von den Großen nur noch Kris Kristofferson aktiv.

Von: Klaus Walter

Stand: 22.08.2013 | Archiv

Willie Nelson | Bild: picture-alliance/dpa

In seinen 80 Jahren hat Willie Nelson über sechzig Studio-Alben produziert, dazu ist er in über 30 Filmen und Fernsehshows aufgetreten. Seine erste Platte erscheint 1956, seine letzte gerade vor ein paar Wochen, sie heißt "Let's Face the music and dance" und darauf zeigt sich Willie Nelson wie man ihn seit Jahren kennt: altersweise, souverän und immer gut für eine Überraschung.

Was man auch kennt von Willie Nelson: dass er sich auf Songs von anderen verlässt. Dabei hat er selbst viele Klassiker geschrieben, Songs wie "Night life", "Funny how time slips away" oder "Crazy", das in der Version von Patsy Cline zum meistgespielten Song aller Zeiten in den Jukeboxen der USA avancierte. Aber Nelson liebt es auch, anderer Leute Lieder zu singen. Zum Beispiel die von einem gewissen Israel Isidore Beilin.

Let's face the music and dance

Der Sohn russischer Juden wird in Amerika berühmt als Irving Berlin und schrieb neben "White Christmas" auch gleich zwei Songs des neuen Albums von Willie Nelson, darunter den Titelsong  "Let's face the music and dance".

Mit diesem Song beginnt das Album und wird gefolgt von der einzigen Eigenkomposition von Nelson. Man kann diesen Auftakt deuten wie eine mikroskopische Aufnahme des Künstlers Willie Nelson. Es geht los mit einer optimistischen Aufforderung: "Let's face the music and dance", stürzen wir uns in die Musik und tanzen, allerdings vorgetragen mit einer gewissen Melancholie, wenn auch mit einer Melancholie der heiteren Art.

Und dann wird es noch bisschen ernster: Ist der bessere Teil vorbei? Fragt Willie Nelson im zweiten Song, den hat er selbst geschrieben und die Antwort ist ziemlich klar, bei einem Mann von achtzig Jahren. Is the better part over? Im Lauf des Songs wird aus der Frage die Feststellung: The better part's over. Dabei hat er gar nicht so gut angefangen, der bessere Teil des Lebens von Willie Nelson.

Der bessere Teil des Lebens von Willie Nelson

Es ist keine gute Zeit, als Willie Nelson in Texas zur Welt kommt, am 30.April 1933. In Deutschland werden die Nazis an die Macht gewählt, in den USA regiert die Great Depression, die große Wirtschaftskrise. Willie wächst bei den Großeltern auf, sein Opa schenkt ihm seine erste Gitarre, da ist er sechs.

Mit sieben schreibt Willie seinen ersten Song, mit neun wird er Gitarrist einer lokalen Band mit einem sprechenden Namen: Bohemian Polka – Böhmischer Polka, vermutlich eine Gründung von Einwanderern aus Südosteuropa, für Leute, die zwischen Prag, Budapest und Wien leben wird Texas zu Beginn des 20.Jahrhunderts zum gelobten Land.

"Mamas, don't let your babies grow up to be cowboys
Don't let 'em pick guitars and drive them old trucks
Make 'em be doctors and lawyers and such
Mamas, don't let your babies grow up to be cowboys
They'll never stay home and they're always alone
Even with someone they love"

Willie Nelson, Mama Don't Let Your Babies Grow Up To Be Cowboys

Bei der Musik bleibt Willie für den Rest seines Lebens hängen, die Auswahl seiner Idole spricht für eben den weiten Horizont, der später seine eigene Musik prägen sollte: der junge Willie liebt Louis Armstrong und Hank Williams, Frank Sinatra und Django Reinhardt. Zunächst schlägt er sich als Radio-DJ durch, seine erste Single bringt er 1956 raus, sechs weitere Jahre vergehen bis zum ersten Album. Heute sind es über sechzig.

Engländer, Iren und Cherokee

Ein berühmter Song von Nelson heißt "My heroes have always been Cowboys", seine Helden waren immer Cowboys. Seine Vorfahren im richtigen Leben waren Engländer, Iren und: Cherokee, sprich Indianer, also die ersten Bewohner Amerikas, die von den Cowboys bedroht und getötet wurden. Ausgerechnet der Nachfahre von Cherokee also wird zu einem der populärsten Countrymusiker der USA,  er wird reich und berühmt mit der Musik der Cowboys.

Willie Nelson mit Neil Young (rechts).

Zeit seines Lebens hat Willie Nelson ein zwiespältiges und widersprüchliches Verhältnis zu dieser Geschichte, es ist ein bißchen so, als würde der Kampf Cowboy gegen Indianer in seinem Inneren stattfinden, eine Art Nelson-Schizophrenie, die sich auch in seinen Liedern spiegelt. Eben singt er noch "Meine Helden waren immer Cowboys", dann verkündet er gemeinsam mit seinem Kollegen Waylon Jennings: Mamas, lasst Eure Babies nicht aufwachsen um Cowboys zu werden.

"Mamas don't let your Babies grow up to be Cowboys", der Auftakt und Schlüsselsong des gemeinsamen Albums von Waylon Jennings und Willie Nelson von 1977. Ein Schlüsselsong auch des sogenannten Outlaw Country. Outlaw Country, das war in den Schziger und Siebziger-Jahren die Bewegung von amerikanischen und vor allem texanischen Countrymusikern gegen die mächtige Country-Industrie in Nashville/Tennessee.

Musik von den Outlaws

Auch ein Outlaw: Johnny Cash.

Die Outlaws um Waylon Jennings und Willie Nelson wollen den urwüchsigen, traditionellen Honky Tonk-Sound aus den Tagen von Jimmie Rodgers und Hank Williams vor dem Aussterben bewahren – eine Art konservative Rebellion gegen das Country-Establishment, das Country mehr und mehr in Richtung seichte Schlagermusik trimmt. Und, wie der Name schon nahelegt, sind die Outlaws die Gegenspieler der autoritären Law & Order-Fraktion.

Freiheit und Gefahr

Diese Konflikte sind nicht frei von Widersprüchen, sogar ein programmatischer Song wie "Mamas don't let your Babies grow up to be Cowboys" steckt voller Widersprüche: einerseits romantisiert der Text das Bild des freien, ungebundenen Abenteurers, der jenseits des Gesetzes lebt und doch einem Ehrenkodex folgt – to live outside the law you must be honest – so hieß das bei Bob Dylan.

Andererseits spricht der Song schon im Titel die Warnung aus: Mamas, lasst Eure Babies nicht aufwachsen um Cowboys zu werden, das ist viel zu gefährlich. Die mythenumrankte Figur des Cowboys thematisiert Willie Nelson immer wieder, auch in einem Duett mit einem geistesverwandten Rock'n'Roll-Cowboy: Gemeinsam mit Neil Young fragt er 1985: Are there any more real Cowboys? Frei übersetzt: Was ist los mit unserem Land, gibt's hier keine richtigen Cowboys mehr?

"Are there any more real cowboys
Left out in these hills
Will the fire hit the iron one more time
And will one more dusty pick-up
Come rolling down the road
With a load of feed before the sun gets high
Well, I hope that working cowboy never dies"

Willie Nelson & Neil Young, Are There Any More Real Cowboys

Duette sind ohnehin eine Spezialität des Willie Nelson. Da ist er ein Kandidat für den Weltrekord, und das betrifft nicht nur die Anzahl der Duettpartner. Rekordverdächtig ist auch die stilistische Vielfalt, oder, anders gesagt: Willie Nelson kennt wenig Berührungsängste, wenn es um seine Partnerinnen und Partner geht. Es gibt zum Beispiel eine Website, die listet die 25 besten Duette von Willie Nelson auf. Da heißt es: "If you're a recording artist and you haven't laid down a track with the legendary Willie Nelson....what the fuck is wrong with you?" Du bist ein Musiker und hast noch kein Duett mit Willie Nelson aufgenommen, was zur Hölle stimmt nicht mit dir? Also werfen  wir einen Blick auf die lange Liste der Duettpartner.

Steven Tyler, Ringo Starr, Kid Rock, Sinead O'Connor

Logisch, dass Nelson mit Country-Kollegen zusammen singt, mit Merle Haggard und Waylon Jennings, mit George Jones und mit Johnny Cash. Relativ normal, dass er mit Kolleginnen und Kollegen duettiert aus dem weiten Feld amerikanischer Traditionsmusiken, mit Bonnie Raitt und Leon Russell, Bob Dylan oder Ray Charles. Schon etwas ungewöhnlichere Gespanne bildet er mit Ringo Starr und Keith Richards, mit Steven Tyler von Aerosmith, mit Carlos Santana oder auch mit den kompletten U2.

Auf dem Papier eher abwegig sind die jetzt folgenden Duette, manche sind nicht nur auf dem Papier abwegig. Ausgerechnet eine ganz besonders abwegige Paarung beschert Willie Nelson in den frühen Achtzigern einen seiner größten Hits. "To all the girls I've loved before" - gemeinsam mit dem spanischen Schnulzensänger Julio Iglesias erinnert sich Willie an verflossene Lieben. Künstlerisch kein Höhepunkt seines Schaffens… Ähnliches gilt für Duette mit der irischen Kollegin siniead O'Connor oder mit dem Rap&Rock-Rauhbein Kid Rock.

Das Album "Stardust"

Aber manchmal geht es eben weniger um den künstlerischen Triumph als um volle Kassen. Sein mit Abstand meistverkauftes ist das von der Kritik nicht eben gefeierte Cover-Album "Stardust" von 1978.

Damit verdient Willie Nelson so viel Geld, dass er irgendwie gar nicht daran denkt, die fälligen Steuern zu entrichten, sowas soll ja vorkommen. Das Resultat: 1990 rückt ihm die amerikanische Steuerbehörde IRS auf den Pelz und verlangt 32 Millionen Dollar. Willie Nelson muss daraufhin einen Großteil seiner Besitztümer versteigern und kommt mit einer Zahlung von sechs Millionen Euro davon.

Und das Schuldenproblem

Diese Schulden sind vielleicht eine Erklärung für Willie Nelsons anhaltende Aktivitäten, auch im hohen Alter: Er ist nicht mehr jung und der braucht das Geld. Also tut er sich auch mit Leuten zusammen, die auf den ersten Blick so gar nichts mit Country Music zu tun haben.

Etwa mit einem der erfolgreichsten Gangster & Porno-Rapper der Geschichte: Mit Snoop Dogg nimmt der Mann mit der sanften Stimme gleich mehrere Songs auf, darunter auch "Roll me up and smoke me (when I die)".

Legalize it – ja, auch er!

Auf diesen Song können sich Willie Nelson und Snoop Dogg leicht einigen, beide sind ja bekennende Kiffer und ausgewiesene Befürworter der Legalisierung von Mariuhana. Die Liebe zum Kraut ist auch zu besichtigen auf dem Cover von Willie Nelsons Album "Countryman" von 2005. Da sieht man eine grüne Mariuahana-Pflanze auf gelb-rotem Hintergrund.

Die Musik von "Countryman" bietet mal wieder eine Überraschung und belegt die Vielseitigkeit des Willie Nelson. 2005 ist Willie Nelson 72 Jahre alt und nimmt sein erstes Reggae-Album auf, oder sagen wir, Country-Reggae. Es heißt "Countryman" und dürfte die Puristen von Country und Reggae eher abschrecken, aber es hat seine Momente. Zum Beispiel, wenn Willie Nelson mit dem Reggae-Veteranen Toots Hibbert einen Song von Johnny Cash aufnimmt, genau, kein Nelson-Album ohne Duett.

Das Album "Phases and stages"

Duette hin, Reggae her, seine schönsten Platten nimmt Nelson in den Siebziger Jahren im Alleingang auf und bei beiden handelt es sich um Konzept-Alben.

Unter der Regie des Star-Produzenten Jerry Wexler entsteht 1974 in den Muscle Shoals Studios "Phases and stages". Phasen und Stadien, "Phases and stages" ist nicht mehr und nicht weniger als ein Konzept-Album, das die Phasen und Stadien einer Liebesgeschichte erzählt, oder besser, vom Ende einer Liebe.

So weit, so normal. Das Besondere an "Phases and stages": die Phasen und Stadien dieser Geschichte werden zweimal erzählt, einmal aus der Sicht des Mannes und einmal aus der Perspektive der Frau. Willie Nelson 1974, ein früher Frauenversteher. Unter Kritikern und vielen Fans gilt "Phases and stages" als Meisterwerk, an den Kassen macht sich das (noch) nicht bemerkbar. Ein Jahr später gelingt Nelson auch der kommerzielle Durchbruch als Solo-Künstler mit dem Album "Red Headed Stranger".

Der "Red Headed Stranger"

Nelson erzählt die Geschichte eines Priesters, der im Affekt seine Frau und ihren Geliebten umbringt und anschließend auf der Flucht durch das Land reist. Damit klettert Willie Nelson an die Spitze der Country-Charts. Zudem gilt "Red Headed Stranger" als eines der Gründungsdokumente der Outlaw-Bewegung. 2006 wird es von CMT – dem amerikanischen Country Music Fernsehen – auf der Liste der 40 größten Country-Alben auf Platz Eins gesetzt.


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