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Das Leben des Brian Eno und seine Freunde

Ein Berufsdilettant, wie er bezeichnet wird, oder ein genialer Nichtmusiker: Brian Eno hat mit seinem musikalischen Schaffen viel Einfluss genommen im Pop. In diesem Jahr ist er 65 geworden.

Author: Klaus Walter

Published at: 18-7-2013 | Archiv

Brian Eno | Bild: picture-alliance/dpa

Brian Peter George St. John le Baptiste de la Salle Eno kommt am 15. Mai 1948 in Woodbridge/Suffolk zur Welt. Sein Vater war Briefträger, sein Großvater war Briefträger und sein Urgroßvater war Briefträger. Er selbst ist von Beruf Dilettant.

Als Berufsdilettanten jedenfalls wird Brian Eno vom Schweizer Kritiker Jean Martin Büttner bezeichnet, und das ist durchaus als Kompliment zu verstehen. Das gilt auch für das Attribut pervers. Sein Biograph Rick Poynor charakterisiert Brian Eno als "eines der perversesten und außerordentlichsten Talente der Rockmusik" und "eine der einflussreichsten Figuren und einer der gefragtesten Kollaborateure der Rockmusik".

Pervers, außerordentlich, einflussreich, gefragt

Eno selbst nennt sich gern einen Nichtmusiker. Dafür hat er es weit gebracht, angeblich hat er sogar ein eigenes Musik-Genre erfunden, die Ambient Music gilt vielen als das Baby des Brian Eno, obwohl dazu auch andere ihren Beitrag geleistet haben. Eno-Alben wie „Music for Airports“ oder „Music for Films“ gelten als Meilensteine der Ambient Music.

Sein Solodebüt feiert Brian Eno 1973, das Album heißt “Here come the warm jets”. Auf dem Cover sieht man ein gerahmtes Schwarzweißfoto. Es steht auf einem Tisch und zeigt eine androgynen Gestalt, eine Mischung aus Marlene Dietrich und James Dean, die Augen sind von schwarzen Schatten umrahmt.. Rund um das Foto sind verwelkte Blumen zu sehen, pastellgelbe Rosen, Orchideen vielleicht und eine Federboa.

Androyn mit Blumen

Ganz oben rechts im Bild ein Spiegel, und in diesem Spiegel sieht man in Farbe die androgyne Figur von dem Schwarz-Weiß-Foto, leicht verdeckt von den grünen Blättern einer Pflanze, könnte ein Gummibaum sein, auch wenn die Vorstellung, dass Brian Eno sich mit gummibäumen umgibt irgendwie abwegig ist. Lieber umgibt sich der junge Brian Eno mit Federboas.

Mit Federboa und feminin geschminkt prägt dieses irgendwie außerirdische, androgyne Wesen den Look einer neuen Band, die die Welt retten soll. „Roxy Music sind dazu bestimmt, die Welt zu retten: Mit den artikulierten und atmosphärischen Songs von Bryan Ferry, mit den durchgedrehten Tapes von Captain Eno, mit dem Honky Tonk Saxofon von Andy Macky und den glitzernden Lamé-Uniformen.“

So hat sich 1971 ein englischer Kritiker gefreut über eine Band, wie sie die Welt noch nicht gesehen hatte. Und gleich ihre erste Single hat dann tatsächlich die Welt des Pop gerettet – vor der Langeweile. Mit „Virginia Plain“ betreten Roxy Music im Herbst des Jahres 1972 die Pop-Bühne und plötzlich sehen alle anderen drum herum ziemlich alt aus.

Roxy Music im Jahr 1972

Mit „Virginia Plain“ hat der Glam Rock seine erste Hymne und mit Roxy Music hat er ein attraktives Gesicht, und  vielleicht markiert „Virginia Plain“ den Beginn der Postmoderne im Pop. Schließlich bedienen sich Roxy Music nicht nur in der Zukunft, zum Beispiel mit dem ungewöhnliche Einsatz des Synthesizers, sie plündern auch die Vergangenheit: wenn es sowas gibt wie retrofuturistischen Rock´n´Roll, dann ist das der Sound der frühen Roxy Music.

Exemplarisch für den Ansatz von Roxy Music ist auch der sprechende Titel des ersten Songs auf ihrem Debüt-Album: Re-make/Re-model. Können Roxy Music wirklich die Welt retten? Nein, das Unternehmen Rettung der Welt ist schon bald wieder vorbei. Die Band Roxy Music existiert zwar theoretisch bis zum heutigen Tag, aber sie hat doch mehr den Status eine Briefkastenfirma. Denn seit dem 21. Juni 1973 ist Roxy Music nicht mehr wirklich Roxy Music. Im Sommer 1973 geht Captain Eno von Bord der - nach heftigen Auseinandersetzungen mit dem anderen großen EGO in der Band, dem Sänger und Songschreiber Bryan Ferry.

Bye bye, Roxy Music

Noch im selben Jahr erscheint sein erstes Solo-Album „Here come the warm jets“. Und schon bald zeigt sich, was die Paraderolle des Berufsdilettanten Brian Eno ist: die des Kollaborateurs. Viele große Namen pflastern den Weg des Brian in den letzten 40 Jahren: Eno war Kollaborateur von John Cale & Nico, Robert Wyatt & Robert Fripp, David Bowie & David Byrne, Von Devo & U2, von Grace Jones und Coldplay, von Pavarotti & Elvis.

Elvis Costello (links) und Brian Eno.

Nein, nicht Elvis Presley, es war bloß Elvis Costello. Ein typisches Eno & seine Freunde-Projekt steigt am 1. Juni 1974. Kevin Ayers darf eine Gästeliste schreiben, eine Gästeliste ganz nach seinem Geschmack. In den Siebzigern ist Ayers, der im letzten Herbst gestorben ist, eine Schlüsselfigur des britischen Artrock, zunächst als Mitgründer von Soft Machine, später als Solist. An diesem 1. Juni 1974 soll Kevin Ayers ein Konzert im Londoner Rainbow geben, und dafür lädt er ein paar Leute ein, die er bewundert.

June 1, 1974

Nico zum Beispiel, die deutsche Sängerin auf dem ersten Album von Velvet Underground, Nico sagt ihrem alten Bandkumpel John Cale Bescheid, und der wiederum bringt Brian Eno mit. Und Eno, der Berufsdilettant zeigt, dass er auch als Sänger ein ziemlich genialer Dilettant ist, sein nervös-gehetzter Gesangsstil nimmt 1974 schon einiges von dem vorweg, was später bei New Wave- und Postpunk-Bands zu hören sein wird, etwa bei Devo oder den Talking Heads.

Das Konzert wird auf Platte gepresst unter dem Titel: June 1, 1974: Kevin Ayers, John Cale, Eno, Nico and the Soporifics with Special Guests Mike Oldfield and Robert Wyatt. 1975 steht diese Platte in vielen Wohngemeinschaften nicht nur in studentischen Milieus. 1975 in der Bundesrepublik Deutschland, das sind harte Zeiten, viele junge Leute sind gegen den Staat, sie reden vom Schweinesystem, sie wollen ihre Sexualität befreien und dabei sind Drogen jeder Art willkommen. Davon erzählt Tilman Rossmy in dem Song „1975“ mit seiner Band „Die Regierung“. Darin heißt es:

"1975, du schläfst mit Männern, du schläfst mit Frauen, du schläfst mit mit jedem, der mit dir schlafen will...und dann gibts da diese geile neue Band: Supertramp. Du siehst du aus wie der junge Brian Eno an einem guten Tag."

Die Regierung

Das schillernde Aussehen von Brian Eno verliert in den späteren Siebzigern an Glamour und damit an Bedeutung. Die Haare werden weniger, das Androgyne verflüchtigt sich, Eno findet neue Freunde im eher unglamourösen Weserbergland. Im Sommer 1976 besucht er in diesem Weserbergland zwei deutsche Musiker. Hans Joachim Roedelius und Dieter Moebius, seit 1969 zusammen aktiv unter dem Namen Cluster.

Musik mit drei Deutschen

Dann stößt noch Michael Rother dazu, von der Düsseldorfer Band Neu. Zu dritt hatten die Deutschen schon unter dem Namen Harmonia Platten gemacht. Gemeinsam mit dem englischen Berufsdilettanten nehmen sie 1976 ein paar Tracks auf, die bis heute einen leicht gespenstischen Charme versprühen.

Mit Hans Joachim Roedelius und Dieter Moebius. Mit den beiden Letzteren spielt Eno ein Jahr später auch einen seiner schönsten Songs ein. Er heißt „By this river“ und ist versteckt als dritter Song auf der B-Seite von Enos Album „Before and after science“. Dort hat ihn der italienische Regisseur Nanni Moretti entdeckt und zum musikalischen Leitmotiv seines Film-Dramas „Das Zimmer meines Sohnes“ gemacht. Auf „Before and after science“ findet sich auch der Song „Kurt´s Rejoinder“. Der Kurt aus dem Songtitel ist der deutsche Dadaist Kurt Schwitters, dessen Stimme sogar zu hören ist.

David Byrne

Gewissermaßen eine Fortsetzung dieses Dada-Songs nimmt Eno 1979 mit den Talking Heads auf. Inzwischen hat er sich mit deren Sänger David Byrne angefreundet und für das Talking Heads-Album „Fear of Music“ adaptieren sie ein Gedicht von Hugo Ball, ebenfalls ein deutscher Dadaist. Bei Ball heißt es "Gadji beri bimba", bei den Talking Heads wird daraus „I Zimbra“.

Musik mit David Byrne

Bei „Kurt´s Rejoinder“ und seinen Aufnahmen mit den Talking Heads nimmt Eno Aufnahme und Sample-Techniken vorweg, die erst sehr viel später State Of The Art sein werden.

"Ich benutze das Studio wie ein riesiges Mikroskop, unter das man winzige Gegenstände legt, um sie größer erscheinen zu lassen. Ich nahm irgendeinen Klang, der mich interessierte, und versuchte, ihn mit Hilfe des Studios zu analysieren. Das Studio ist mein Instrument."

 Brian Eno

So zitiert der Schweizer Kritiker Jean Martin Büttner den Berufsdilettanten Brian Eno. Davon haben David Byrne und die Talking Heads profitiert, die Eno auf den Platten „Fear of music“ und vor allem „Remain in light“ zur Abkehr vom traditionellen Songformat ermutigte, so Büttner, zur „Hinwendung zu breit angelegten, flächigen Kompositionen über repetitive, sehr komplexe rhythmische Strukturen“, meint Diedrich Diederichsen.

Und nochmal Büttner: „Zwischen „Fear of music“ und „Remain in light“ nahmen Byrne und Eno 1981 „My life in the bush of ghosts“ auf und die Entwicklung voraus, die der Rock der Achtziger Jahre einschlagen sollte.

An die Stelle von Songs trat das hypnotische Spiel von Perkussionen, Bässen, Gitarren und Elektronika, an die Stelle von Sängern traten Sprechgesänge in Form von `found objects´, wie auf der Plattenhülle vermerkt wird und die Eno am Radio aufgenommen hatte; akustische Readymades nach Duchamp: Stimmen von Discjockeys und Evangelisten, libanesischen und ägyptischen Sängern, anrufenden Radiohörern, beschwichtigenden Politikern.“ So spiegelt „My life in the bush of ghosts“ den Sound von Enos Umgebung:

"Ich lebte damals in New York und hörte viel Radio. Bei vielen Stationen kann man anrufen und über den Sender das verrückteste Zeug erzählen und so mit anderen kommunizieren. Das ist so, als würden Geister zwischen den Wolkenkratzern durch die Luft schweben. Ein paar von diesen Stimmen habe ich eingefangen, zusammen mit Klangfetzen aus der ganzen Welt, und dann einfach in unsere Musik gemischt."

Brian Eno

In New York produziert Eno noch ein anderes wegweisendes Album, die Compilation „No New York“, quasi das Gründungsdokument der No Wave. In Berlin wiederum produziert Eno mit einem anderen David ein Helden-Epos, den Evergreen „Heroes“, ein Melodram aus dem geteilten Berlin.

James Blake ist die Zukunft

Zurück in die Gegenwart: Sein neuestes Projekt führt Brian Eno in die englische Provinz. In dem Städtchen Hove in East Sussex beschallt Brian Eno das dortige Montefiore Hospital mit seiner Ambient Musik, möge es der Genesung der Patienten dienen.

Und in dem als Wunderkind gefeierten englischen Musiker James Blake hat er auch einen prominenten neuen Kollaborateur gefunden, dazu einen, der fast sein Enkel sein könnte. „An einem bestimmten Punkt musste ich den Austausch mit anderen Musikern suchen, um den Weg für das Album zu finden“, sagt James Blake. „Brian Eno erschien mir die richtige Person dafür. Er hat in seiner Karriere immer viel experimentiert.“ Und damit wird er auch mit 65 hoffentlich nicht aufhören.


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