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Godley & Creme Eine ungewöhnliche Erfolgsgeschichte

Hier eine der merkwürdigsten Geschichten, welche die britische Popmusik zu bieten hat: Zwei Jungs, die zu wenig sonst taugen, landen auf der Art School in Manchester: Lol Creme und Kevin Godley. Sie schreiben später Popgeschichte.

Von: Karl Bruckmaier

Stand: 12.10.2012 | Archiv

Hier eine der merkwürdigsten Geschichten, welche die britische Popmusik zu bieten hat: Zwei Jungs, die zu wenig sonst taugen, landen auf der Art School in Manchester. Außerdem sind sie in den gleichen jüdischen Jugendorganisationen. Sie heißen Lol Creme und Kevin Godley. Der erste spielt ein wenig Gitarre, der zweite Schlagzeug.

Zuerst passiert gar nichts, dann passiert Rock'n'roll, dann passieren die Beatles. Die britische Popmusik ist trotzdem noch auf Jahre hinaus in den Händen von recht halbseidenen Gestalten mit besten Beziehungen zur Unterwelt: Musiker werden wie Leibeigene gehalten, schlecht bezahlt, wie Marionetten eingesetzt.

Musiker gleich Marionette

So geht es auch Godley und Creme, die bei dem Impresario Giorgio Gomelski unter Vertrag stehen, später bei den deutlich schlechter beleumundeten Amerikanern Kasenetz und Katz. In unterschiedlichen Wegwerf-Bands produzieren sie Hit-Versuche für Gomelsky, der sie 1969 mit zwei anderen Manchester-Jungs ins Studio bat, Graham Gouldman und Eric Stewart, die schon Songs für Hermans Hermits oder Wayne Fontana eingespielt hatten.

In flotter Folge wechselten Bandnamen, Labels und Geldgeber: Mit „Neandertal Man“ und unter dem Namen Hotlegs kamen die vier erstmals in die Hitparaden und Kasenetz und Katz, denen auch das amerikanische Buddha-Label gehörte, zu Geld. Ende 1970 wurde das Studio-Quartett in 10cc umbenannt: 9 Milliliter ist die durchschnittliche Ejakulat-Menge eines Mannes, 10 ist eben etwas mehr. Und mehr ist ja bekanntlich immer besser.

10cc aus pikantem Grund

Godley & Creme, Birds of Prey

10cc wurden mit Songs, die eigentlich Spätfünfziger-Jahre-Doo-Wop- oder Bubblegum-Parodien waren, in Großbritannien, später in ganz Europa, enorm erfolgreich: Der erste Hit war „Donna“, spätere hießen „Rubber Bulletts“, „I’m Not in Love“ oder „Wall Street Shuffle“.

Kevin Godley und Lol Creme blieben bis 1976 bei 10cc, die auch nach deren Weggang, etwa mit „Dreadlock Holiday“, noch einige Hits hatten. Giles Smith schreibt in seinem schönen Brit-Pop-Buch „Lost in Music“ über 10cc: „Die ersten beiden Alben waren ein großer Spaß, verstörend zuweilen, auch ein wenig zu superschlau, aber warum auch nicht – die nächsten zwei waren durchmischt, und als Kevin Godley und Lol Creme die Band verließen, ging jeglicher Humor verloren.“

Aber warum verließen Godley und Creme eine so erfolgreiche Band?

Die Antwort heißt Dingsbumms oder Gimmick. Dingsbumms heißt auf Englisch Gizmo und Gizmo hieß ein kleines Aufsteckgerät für den Gitarrenhals, mit dem man eine Vielzahl von Klangeffekten erzeugen konnte – theoretisch. Seit 1973 bastelten Godley und Creme zusammen mit einem Uni-Professor aus Manchester an diesem Gimmick und erstmals zu hören war es auf „Gismo My Way“, einer Single-B-Seite von 10cc…

Um 1975 waren Godley und Creme so überzeugt von ihrem Gizmo, dass sie bei 10cc kündigten, der inzwischen Major-Plattenfirma Mercury eine Demo-Single ankündigten und daraufhin im Studio verschwanden – um zwei Jahre später mit einem Dreifach-Album namens „Consequences“ wieder zu erscheinen. Ich habe „Consequences“ vor 10 Jahren als CD-Edition erstanden: Es ist das unanhörbarste Pop-Album aller Zeiten und man kann sich die Gesichter bei Mercury vorstellen, als ihnen Godley und Creme dieses aufgeblasene Weltuntergangswerk präsentiert haben.

Unschön und aufgeblasen

Prog-Rock waren Yes und Emerson, Lake & Palmer. Godley & Creme waren Prog-Pop. Ihr Gizmo aber funktionierte nie so recht; man musste ihn unter völliger Ruhe am Gitarrenhals montieren; er war empfindlich bei Feuchtigkeit und Hitze und welchen Sinn machte es, drei Tage lang an einem Gitarren-Sound zu basteln, der nach Altsaxophon klang, wenn man auch einen Saxophonisten schnell ins Studio holen konnte?

Schließlich machten die Synthesizer der zweiten und dritten Generation jeden Gizmo überflüssig. Godley & Creme mussten froh sein, nach diesem Desaster überhaupt noch Platten machen zu dürfen und besannen sich auf ihre 50er-Jahre-Wurzeln, gepaart mit reichlich Frank-Zappa-Bewunderung und brachten 1978 „L for Learner“ heraus.

Frank-Zappa-Bewunderung

Godley & Creme, History Mix 1

Natürlich haben viele Godley & Creme-Songs – wie so viele eher humoristisch angelegte Lieder oder Filme – in den vergangenen dreißig Jahren gelitten, kann man manche Sounds oder Wortwitze nicht mehr hören, doch bleibt ihr Mut bewundernswert, so etwas wie von der Teenager-Zeit emanzipierte Popmusik zu wagen, ein Unternehmen, das neben ihnen höchstens noch die Sparks so konsequent verfolgten.

Die Pop-Welt von Godley & Creme war immer auch dunkel, kränklich, morbid. S-Bahn-Passagieren erschienen Geister, Afrika-Forscher kämpfen mit dem Tod auf alle erdenklichen Weisen, Teenager werden zerquetscht bei Unfällen oder liegen todkrank im Bett: die Welt war im Fluss, unzuverlässig, ein gefährlicher Schein – verpackt in groteske Geschichten konnte das bei 10cc wie auch bei Godley & Creme als Witz durchgehen.

Trotz des Gizmo-Desasters war die Experimentierfreude des Duos Kevin Godley und Lol Creme keineswegs am Ende: Sie verlagerte sich nur vom Tonstudio ins Filmstudio. Mit dem anbrechenden Video-Zeitalter setzten sie hundertprozentig auf das neue Medium und wurden mit ihren Arbeiten für Police, Herbie Hancock, Duran Duran und schließlich Frankie Goes to Hollywood zu Legenden.

Das Who is who des 80ies-Pop

Damals lernten sie auch den Produzenten Trevor Horn kennen, der in den 80er Jahren jedermann seinen synthetischen Nerd-Sound verpasste und mit dem zusammen sie schließlich eine Art Remix-Album der eigenen Musik abmischten: „The History Mix Volume 1“. Die Stücke waren gnadenlose 17 oder 18 Minuten lang und mischten Trevor Horns Geballer mit Song-Fetzen aus „Business is Business“, „Neanderthal Man“, „This Sporting Life“, „The Dean and I“ und „Umbopo“.

1988 trennten sich die beiden nach einer kurzen 10cc-Reunion. Lol Creme spielte danach eine Weile bei Art of Noise und drehte als Regisseur einen belanglosen Spielfilm. Sein Sohn Lalo hatte in den 90ern eine kurze Karriere bei der Band Arkarna. Kevin Godley musiziert heute zusammen mit dem 10cc-Kollegen Graham Gouldman. Beide machen auch noch ab und zu Musikvideos.


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