Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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15. Februar 1830 Beginn des Pariser Akademiestreits

Es eine der berühmtesten Debatten in der Geschichte der Biologie: Der Streit zwischen den beiden französischen Naturforschern Georges Cuvier und Étienne Geoffroy Saint-Hilaire vor der Pariser Académie des sciences. Die öffentlichen Dispute sorgten sogar für eine Überbesetzung der Sitzplätze. Autorin: Hellmuth Nordwig

Stand: 15.02.2023 | Archiv

15 Februar

Mittwoch, 15. Februar 2023

Autor(in): Hellmuth Nordwig

Sprecher(in): Christian Baumann

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Frank Halbach

Wo hat der erste Mensch das Licht der Welt erblickt? Wahrscheinlich irgendwo in Afrika. Aber über die Einzelheiten: Da streiten die Gelehrten. Kein Wunder: Mal finden sie einen versteinerten Knochen hier, sagen wir im Tschad, mal einen halben Schädel ganz woanders, zum Beispiel im Süden des Kontinents. Und schon können sie die widersprüchlichsten Theorien zimmern über den Ursprung unserer Art - es war ja damals keiner dabei, der es ganz sicher wüsste. Nicht selten zoffen die Experten sich dann auch mal so richtig.

Masterbaupläne der Natur?

Über Theorien verschiedener Meinung zu sein, das ist Alltag in der Forschung. Und meistens geht es nicht nur um Fakten, sondern auch um das Weltbild der Beteiligten. Ein Paradebeispiel ist ein Streit aus dem Jahr 1830. Auch da ging es um Knochen und um die Frage, ob Tiere - bei aller Verschiedenheit - grundsätzlich alle ähnlich gebaut sind, oder ob es doch ganz unterschiedliche Gruppen gibt. Je länger Fachleute sich zum Beispiel die Zungenbeine von Vögeln und Fischen anschauen, desto trefflicher können sie darüber streiten.

Uns Heutigen mag es ja einerlei sein, ob es im Tierreich sozusagen einen Master-Bauplan gibt oder eben nicht. Aber für Georges Cuvier und Etienne Geoffroy war es das keineswegs. Beide waren um die 60 und Professoren für Zoologie an verschiedenen Pariser Institutionen. Geoffroy hatte Cuvier in jüngeren Jahren diese Stelle verschafft - doch es war dann Cuvier, der zuerst zum Mitglied der Akademie berufen wurde, der leichter Beziehungen knüpfte und so an Geld kam und der seine Stellung während eines Auslandsaufenthalts von Geoffroy weiter festigte. Der wiederum versuchte wissenschaftlich zu punkten.

Am 15. Februar 1830 stellte er in der Akademie eine Arbeit von zwei Nachwuchsforschern vor. Sie zeigte nach seinen Worten deutlich, dass Unterschiede zwischen den Tieren, die für Cuvier so wichtig waren, doch Nebensache sind.

Endloser Streit

Woche für Woche stritten die beiden jetzt in der Akademiesitzung darüber. Mal ging es um die Anatomie von Tintenfischen und ihre vermeintliche Ähnlichkeit mit Wirbeltieren, mal stützte sich eine Theorie auf das Brustbein von Fröschen, selbst das Zungenbein kam nicht zu kurz - und die entscheidende Frage, warum es bei Katzen aus neun Teilen besteht, bei Menschen dagegen nur aus fünf. Anfang April hatten bereits zahlreiche Zuhörer Geschmack an dem wöchentlichen Disput gefunden und diskutierten lautstark mit bei dem Schauspiel - bis Geoffroy, dem die Argumente ausgingen, eines Tages verkündete, er werde jetzt nichts mehr sagen.

Zwei Jahre später fegte eine Choleraepidemie über Paris hinweg und raffte Tausende dahin. Darunter Georges Cuvier. Erst auf dessen Beerdigung brach Etienne Geoffroy sein Schweigen. Viele Forscher hätten dem umfangreichen Wissen Cuviers unendlich viel zu verdanken. Und er selbst, Geoffroy, habe den genialen Zoologen einst entdeckt, als er ihn für die Professur in Paris empfahl. Lobhudelei auf einen Konkurrenten, der zum Gegner geworden war, gewürzt mit einer Prise Eigenlob - Wissenschaftler sind eben auch nur Menschen.


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