Bayern 2 - Das Kalenderblatt


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5. Januar 1914 Henry Ford kündigt Achtstundentag an

Wer weniger arbeitet, hat mehr Zeit, sein Geld auszugeben. Denkt sich der US-amerikanische Unternehmer Henry Ford. Er verkürzt die Arbeitszeit seiner Mitarbeitenden und erhöht deren Löhne. Dafür sollen sie ihren Lebensstil seiner Moral unterwerfen. Die Rechnung geht nicht auf. Autor: Sebastian Kirschner

Stand: 05.01.2023 | Archiv

05 Januar

Donnerstag, 05. Januar 2023

Autor(in): Sebastian Kirschner

Sprecher(in): Hans-Jürgen Stockerl

Illustration: Tobias Kubald

Redaktion: Susi Weichselbaumer

Mein Haus, mein Auto, meine Fernreise: Der Kapitalismus in unserer Gesellschaft ist knallhart. Kaufen, kaufen, Kohle scheffeln - schon Kinder werden angefixt, zu konsumieren. „Da hast du 5 Mark, jetzt kaufst du dir was Schönes, gell.“ Und bereits beim ersten Weihnachtsfest liegen Berge von Geschenken unterm Baum - da, wo die Kleinen eigentlich noch mit dem Glitzern und Rascheln des Papiers zufrieden sind. Aber man will ja nicht geizen. Einerseits.

Andererseits: Der Mensch ist ein soziales Wesen. In unserem Inneren wissen wir, geben ist besser als nehmen. Wir wollen sozial sein, uns in Nächstenliebe üben. Wir wollen Altruismus leben, mit anderen teilen ohne eine Gegenleistung zu erwarten. - Ein psychischer Spagat, der Hinz und Kunz im Kleinen schwerfällt. Wie viel leichter muss das doch für große Unternehmen sein? Für Autokonzerne zum Beispiel, den Symbolen des Kapitalismus schlechthin? Nur dem Geld und wohl der Kapitalgeber verpflichtet, nichts weiter.

Geben, einfach geben!

Insofern klingt es reichlich verwirrend, was am 5. Januar 1914 auf einer Pressekonferenz der Ford Motor Company passiert. Henry Ford, Chef des seinerzeit größten Automobilkonzerns der Welt, kündigt den 8-Stunden-Tag in seinem Unternehmen an. Und darüber hinaus einen geradezu revolutionären Lohn von mindestens fünf Dollar pro Tag. Bedingungen, von denen die meisten in den USA zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur träumen können. Der Durchschnittsarbeiter schuftet täglich zehn bis 12 Stunden, und das für nicht mal den halben Verdienst. Henry Ford - ein echter Wohltäter, wie es scheint.

Großzügig oder berechnend?

Einer, der offenbar nicht vergessen hat, woher er kommt: Nämlich aus einfachen Verhältnissen. 1863 als Farmersohn geboren in einer Kleinstadt westlich von Detroit. Bescheiden, bodenständig, moralisch ein Vorbild. Und als Selfmademan zum Großunternehmer und Multimillionär aufgestiegen - so die von Ford gepflegte Version seines Lebenslaufes. Der wahr gewordene amerikanische Traum. Nur: Hinter Henry Fords traumhaften Arbeitsbedingungen stecken keine soziale Ader und auch keine frühe Form der Work-Life-Balance. Es geht um handfestes Kalkül.

Wer mehr Freizeit genießt, der hat mehr Zeit für Konsum, so der Gedanke von Ford. Wer mehr Geld verdient, kann mehr davon ausgeben. Und die traumhaften Bedingungen in der Ford Motor Company haben ihren Preis: Henry Ford richtet eine spezielle Abteilung ein, die auch mit Hausbesuchen sicherstellt, dass seine strengen Vorstellungen von Moral und Anstand eingehalten werden. Wer nicht Fords Ideal eines amerikanischen Arbeiters entspricht, spürt es auf dem Lohnzettel.

Aufgegangen ist Fords Kalkül indes nicht wirklich. Weil der gewünschte Erfolg ausbleibt, schließt Ford die Spezialabteilung wieder - und das nach nur zwei Jahren. Trotz viel Lohn und wenig Arbeitszeit ist die Fluktuation unter den Mitarbeitern hoch. Und für Ford völlig unverständlich: Die verbliebenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen sich nicht so bevormunden lassen: Sie quittieren seinen Führungsstil, indem sie Gewerkschaften gründen. Mein Haus, mein Auto, mein Leben.


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