Bayern 2

     

radioFeature Algerien: Das Schicksal der Harkis

Ansicht Rivesaltes mit Pic du Canigou | Bild: BR/Rainer Volk

Samstag, 21.04.2012
13:05 bis 14:00 Uhr

BAYERN 2

Verloren zwischen zwei Nationen
Was aus Frankreichs Helfern im Algerienkrieg wurde
Von Rainer Volk
Wiederholung am Sonntag, 21.03 Uhr

Wenn die Steine von Rivesaltes erzählen könnten, wären sie beredte Zeitzeugen des 20.Jahrhunderts. In dem Dorf bei Perpignan, das in ganz Frankreich bekannt ist für seinen süßen Dessertwein, baute die Armee in den 30er Jahren ein Depot. Sechs Jahrzehnte diente es als Lager - für Verfolgte, Verfemte, Heimatlose. Erst kamen Anhänger der spanischen Republik, die vor dem Franco-Regime fliehen mussten. Dann wurden Juden dort interniert, die aus Nazi-Deutschland emigriert waren; viele von ihnen wurden schließlich nach Auschwitz deportiert und umgebracht. Vor allem aber diente Rivesaltes lange als Notunterkunft für Harkis - maghrebinische Hilfssoldaten im Algerienkrieg. Bis zu Zehntausend wurden ab 1962 in Rivesaltes mit ihren Familien in Baracken und Zelten regelrecht eingesperrt, als sich Frankreich aus seiner Kolonie zurückzog.
Viele der Harkis blieben über Jahrzehnte dort. Nach der Schließung des Lagers im Jahr 2007 siedelten sie sich in der Umgebung an. So hat Perpignan bis heute eine große Harki-Gemeinde, fast eine Parallelgesellschaft. In manchen Dörfern sind 50 Prozent der Bevölkerung ehemalige Hilfswillige aus dem Algerienkrieg und ihre Nachkommen. Die Traumata der ersten Generation der Harki haben sich auf die Kinder und Enkel übertragen. Immer wieder begannen Söhne und Töchter der Harki Hungerstreiks, um gegen ihre soziale Isolation zu protestieren und ihre Rechte einzufordern. Doch erst im Jahr 2001 erwies Frankreich bei einer Zeremonie im Pariser Invalidendom den Harkis offiziell die Ehre, seit 2005 bekommen die Veteranen und ihre Witwen eine kleine Rente.
Der Krieg, der vor 50 Jahren zu Ende ging, wirft bis heute seine Schatten auf so viele Leben.