Bayern 2 - radioFeature


2

Verloren zwischen zwei Nationen Was aus Frankreichs Helfern im Algerienkrieg wurde

Sommer 1962: der Algerien-Krieg ist zu Ende, über eine Million Menschen flüchten aus der Kolonie ins Mutterland Frankreich, darunter zehntausende algerische "Hilfswillige" der Armee. Viele von landen in bewachten Lagern. Sie sind so bis heute Verlorene in Frankreich.

Von: Rainer Volk

Stand: 20.04.2012 | Archiv

Wenn die Steine von Rivesaltes Geschichten erzählen könnten, handelten sie von Flüchtlingen. In dem Dorf unweit von Perpignan im äußersten Süden Frankreichs gab es fast 70 Jahre lang ein riesiges Sammellager für Flüchtlinge und "Unerwünschte" aller Länder und Nationen. 1938 eingerichtet, stand es dort bis 2007: für die Anhänger der spanischen Republik, Juden, Sinti und Roma, Afrikaner, Kriegsgefangene – und die Harkis. Denn ab 1962 diente ein Teil der Baracken auf dem Gelände als offizielles Auffanglager für die Flüchtlinge aus Algerien.

Der erste Schnee

Wortbedeutung

"Harki" ist arabisch. Das Wort kommt von "harka"- "Bewegung", oder "bewegliche Gruppe". Harki wurden im Algerienkrieg die Einheimischen genannt, die Frankreich gegen die Untergrundkämpfer der selbsternannten Befreiungsfront FLN unterstützten. Über 200.000 Mann sollen es laut Statistik von1962 gewesen sein. Einer von ihnen war der heute 74jährige Abed Souifia.

Männer wie der heute 57jährige Mohamed Blashef oder der 74jährige Abed Souafia fanden hier ein Dach über dem Kopf, weil sie oder ihre Väter in Algerien auf der Seite der französischen Armee gekämpft hatten. Blashef erinnert sich daran, in Rivesaltes erstmals in seinem Leben Schnee gesehen zu haben. Er habe wie ein Mantel die Erde bedeckt, erinnert er sich im Interview. Die Unterkunft in den Baracken von Rivesaltes war primitiv: mehrere Familien teilten sich ein Zimmer, es gab nur wenige Latrinen und Waschgelegenheiten, im ersten Winter schliefen tausende sogar in Zelten. Alles sei damals improvisiert und überstürzt eingerichtet worden, sagt der Historiker Abderrahmen Moumen.

Große Pläne, wenig Substanz

Er gehört zu einem Team, das in Rivesaltes eine Gedenkstätte vorbereitet: von den Baracken auf dem 300-Hektar-Areal sind nur noch Trümmer übrig. Es gibt zwar Pläne und Konzepte, aber noch ist kein richtiger Anfang gemacht. Denn einen Teil des kargen Geländes will die französische Armee wieder nutzen. Bisher gibt es nur außerhalb der Umzäunung einige Gedenkstelen für die in Rivesaltes Gestorbenen.

Vergittertes Algerien

In St. Maurice de l’Ardoise sind sogar nur noch einige Betonplatten übrig. Unweit des Dorfes, 50 Kilometer nördlich von Avignon, war eines der schlimmsten Lager für Harki-Familien. St. Maurice war, anders als Rivesaltes, nicht für eine Übergangszeit gedacht, sondern als eine Art "Ghetto" für schwierige Fälle. Die Mutter von Rachid Guemrirène lebte anderthalb Jahrzehnte hier: "Dass sie kein Französisch spricht, ist nicht ihre Schuld. Sie wurde in einem "vergitterten Algerien" in Frankreich gehalten – nur mit ihresgleichen", erzählt Guemrirène verbittert. Er selbst, der als 12-jähriger 1962 nach Frankreich kam, hat bis heute Albträume von den Dingen, die er in Algerien und in den Lagern erlebte.

Zerstrittene Verbände

In den 70er und in den 90er Jahren gab es in Frankreich landesweite Proteste von Harki-Gruppen. Trotzdem fehlt bis heute eine Lobby in Frankreich, die sich ihrer Anliegen annimmt. Unter den nordafrikanischen Einwanderern im Land gilt "Harki" zum Beispiel als Schimpfwort  -oft als Synonym für "Verräter". Anders als die europäisch-stämmigen Algerien-Franzosen ("Pieds-Noirs"), die im aktuellen Wahlkampf als von den Parteien umgarnt werden, lassen die Mächtigen die Harkis weiter unbeachtet.

Zwar haben einige von ihnen Vereine und Lobby-Verbände gegründet – aber die sind zerstritten. Der 50. Jahrestag des Waffenstillstands von Évian, mit dem der Krieg im März 1962 zu Ende ging, macht die Tragödie der Harki aber nun wieder zum öffentlichen Thema. Sue hält der "Grande Nation" wie keine andere die Fehler ihrer Außenpolitik im 20. Jahrhundert vor Augen.


2