Bayern 2

     

radioWissen Ganz schön krank!

Symbolbild "Pathologisierung", Mann mit gesenkten Kopf von hinten | Bild: colourbox.com

Freitag, 09.11.2012
09:05 bis 10:00 Uhr

  • Als Podcast verfügbar

BAYERN 2

Ganz schön krank?
Die Pathologisierung der Gesellschaft

Hysterie
Die Geschichte eines Krankheitsbildes

Studiogast: Dr. med. Philipp Osten, Medizinhistoriker
an der Universität Heidelberg

Das Kalenderblatt
9.11.1938
Frieda Kahle rettet jüdische Familie
Ausgewählte Beiträge als Podcast verfügbar

Ganz schön krank? - Die Pathologisierung der Gesellschaft
von Veronika Bräse
Wenn sich jemand den Fuß gebrochen hat, ist der Fall klar: Diese Person ist krank und muss behandelt werden. Was aber, wenn jemand vergesslich ist und Angst hat, an Alzheimer zu erkranken? Oder wenn ein lebhaftes Kind die Diagnose ADHS bekommt? Oder ein überarbeiteter Zeitgenosse für sich reklamiert, bestimmt schon Burnout zu haben? In diesen Bereichen sind die Diagnosen oft nicht so eindeutig. Manchmal wird pathologisiert, das heißt, wir oder die Ärzte machen uns kränker als wir sind. Es gibt auch gegenläufige Trends: Gehörlose zum Beispiel wollen sich oft nicht mehr als krank abstempeln lassen. Viele von ihnen betrachten sich heutzutage als eigene Kultur. "Krankheit" ist eben immer auch eine Interpretation.

Hysterie - Die Geschichte eines Krankheitsbildes
von Ulrike Rückert
"Die Gebärmutter ist ein Tier, das glühend nach Kindern verlangt. Bleibt dasselbe lange Zeit unfruchtbar, so erzürnt es sich, durchzieht den ganzen Körper und erzeugt allerlei Krankheiten", heißt es bei Platon und vom griechischen Wort für Gebärmutter ist die Bezeichnung Hysterie abgeleitet. Ihren Höhepunkt fand die Geschichte dieses seltsamen Krankheitsbildes der Hysterie im 19. Jahrhundert, als eine wahre Epidemie die westliche Welt zu überrollen schien. Zwar wusste man nun, dass die Gebärmutter fest an ihrem Platze sitzt, aber auch jetzt suchte man den Keim der Krankheit in der weiblichen Sexualität. Eine Flut von wissenschaftlichen Schriften befasste sich damit, Ärzte propagierten bizarre Therapien. Die Hysterieforschung brachte den Vibrator und Freuds Psychoanalyse hervor. Hysterikerinnen bevölkerten die Romane und Dramen von Flaubert, Fontane und Strindberg. Dabei waren selbst Experten in Definitionsnot: "Sehr häufig weiß man gar nicht, was das ist, die Hysterie, aber das Wort ist da und es erklärt alles." Erklären aber sollte es vor allem eines: was "gesunde" und was "kranke" Weiblichkeit ist.

Redaktion: Nicole Ruchlak
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