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Vor einer OP Narkosen im Alter

Eine neue Hüfte, ein neues Kniegelenk oder eine Schulterfraktur: das sind typische Operationen im Alter. Aber viele ältere Menschen haben Angst vor einer Vollnarkose. Die Sorgen sind vielfältig: nicht mehr aufzuwachen, bleibende Schäden oder nicht mehr auf die Beine zu kommen. Worauf muss man achten bei einer Narkose im Alter?

Stand: 04.04.2022

Arzt hält im Krankenhaus Atemmaske in der Hand | Bild: colourbox.com

Laut Weltgesundheitsorganisation werden "ältere Patienten" schon ab einem Alter von 60 Jahren so bezeichnet. Alte Patienten gelten ab 75 Jahre als alt.

Experte:

Prof. Dr. med Thomas Bein, Intensivmediziner, Medizinethiker und Anästhesist an der Klinik für Anasthesiologie des Universitätsklinikums Regensburg

Auch wenn man als 70-Jähriger noch fit und fidel ist, hat man rein biologisch gesehen nicht mehr die gleichen Reserven wie ein 35-Jähriger. Denn ab dem 40. Lebensjahr baut der Körper ab. Bestimmte Organfunktionen wie die von Herz, Niere oder Leber verlieren langsam ihre Reserve, aber auch das Immunsystem und die Muskelmasse bauen ab. Das alles muss bei einer Operation und einer Vollnarkose berücksichtigt werden. Die Medikamente müssen in der richtigen Balance dosiert werden: so flach wie möglich, so tief wie nötig sollte die Narkose sein.

Die Ängste vor einer Vollnarkose sind meist mehr emotional als rational begründet. Fragen wie "Bin ich noch der Gleiche wie vorher?", "Habe ich danach Einschränkungen?", "Kann ich mich nie mehr richtig bewegen?" Oder: "Wie lange ist die Narkose in meinem Körper?" "Werde ich überhaupt wieder wach?" Das sind die Hauptängste von älteren sowie alten Patientinnen und Patienten.

"Man übergibt sein ganzes Leben einem Arzt, der ‘einen ausschaltet‘ für einen Eingriff, damit man bewusstlos ist, damit man keine Schmerzen hat."

Anästhesist Professor Thomas Bein vom Universitätsklinikum Regensburg

Dabei hat die Medizin, speziell die Anästhesie, in den letzten 20 bis 30 Jahren enorme Fortschritte gemacht, was die Sicherheit angeht. Deshalb ist ein Risiko, an einer Anästhesie selber Schaden zu nehmen oder gar zu versterben, mittlerweile im untersten Promillebereich angelangt. Das gilt im Übrigen für die alten wie für die jungen Patientinnen und Patienten.

Narkosen im Alter sind nicht gefährlich. Es bedarf aber einer intensiveren Vor- und Nachbereitung der OP. Der Erfolg von Operation und Narkose im Alter hängt sehr stark von einem guten operativen Management ab, aber auch von einer guten präoperativen Vorbereitung und einer guten Nachsorge. Ältere und alte Patienten brauchen viel mehr als Jüngere ein spezielles Management nach einer Operation und Narkose. Das bedeutet, sie müssen schnell wieder auf die Beine kommen. Dafür brauchen sie eine spezifische Schmerztherapie. Dazu gehört auch, dass sie möglichst keine Opioide bekommen, die langfristige Müdigkeit zum Beispiel machen.

Schnell wieder Orientierung zurückbekommen

Nach dem Eingriff ist es außerdem wichtig, dass sich der Patient rasch wieder orientieren kann. Das heißt: Orientierungshilfen wie Brille und Hörgerät schon im Aufwachraum zurückgeben, Angehörige schnell zum Besuch zulassen, Tag- Nachrhythmus wiederherstellen, Unruhe vermeiden und baldmöglichst wieder mobilisieren.

Das Problem ist, dass wir in einer Medizin leben, die sehr stark auch auf rechtliche Aspekte Rücksicht nehmen muss. Dafür gibt es das Aufklärungsgespräch zwischen Patienten und Arzt. Dabei werden die wesentlichen Risiken und mögliche Komplikationen besprochen und dokumentiert. Aber vor allem sollte es in diesem Gespräch vor dem Eingriff darum gehen, Ängste zu nehmen und Vertrauen aufzubauen. Das muss ein guter Anästhesist beides schaffen. Er sollte dem Patienten vermitteln, dass er in sicheren Händen ist und dass er während der Operation sehr gut aufpasst.

Die Anästhesie wendet sich zunehmend ab von der reinen Altersbestimmung. Denn ein 70-jähriger Patient, der jeden Tag eine Stunde mit seinem Hund spazieren geht, ist fitter als ein Patient, der mit 70 Jahren beeinträchtigt ist, unter Umständen pflegebedürftig oder immobil ist. Beide stellen unterschiedliche Herausforderungen dar. Genauso ist es bei jüngeren Patienten. Die Anästhesie von heute achtet mehr auf die körperliche Konstitution, auf die Gebrechlichkeit im Alter, Organfunktion, aber auch auf Mangelernährung, wenn der Patient zum Beispiel alleine lebt oder aus einem Pflegeheim kommt. Man erfasst also vor dem Eingriff, wie selbständig, wie fit, wie gut die physischen und psychischen Reserven des Patienten sind.

Während der Vollnarkose ist es wichtig, dass die Dosierung der Medikamente der physiologischen Abnahme bestimmter Organfunktionen angepasst wird. So muss zum Beispiel eine eingeschränkte Nierenfunktion oder eingeschränkte Leberfunktion berücksichtigt werden, da diese Medikamente dann längere Abbauwege haben. Zurückhalten sollten sich Anästhesisten auch bei bestimmten Substanzklassen wie Opioiden, die bei alten Patienten extrem lange nachwirken und auch auf die kognitiven Leistungen starke Nebenwirkungen haben.

"Das Motto bei der Dosierung ist: so viel wie nötig, so wenig wie möglich, Und damit kommt man zu einer erheblichen Medikamenten Reduktion, die dann nicht mehr durch eingeschränkte Organe länger ausgeschieden werden müssen. Es muss ausbalanciert werden."

Anästhesist Professor Thomas Bein vom Universitätsklinikum Regensburg.

Um den Ängsten vor Vollnarkosen vorzubeugen, nutzen vor allem immer mehr orthopädische Kliniken die Regionalanästhesie, früher Lokalanästhesie genannt. Der Patient ist also bei Bewusstsein und die zu operierende Region wird durch Injektionen über Katheter komplett ausgeschaltet, der Patient oder die Patientin erhalten zusätzlich eine Art Dämmerschlaf. Aber das ist nicht unbedingt einfacher. Denn es kann auch da zu Blutdruckschwankungen kommen. Man muss genauso wie bei einer Vollnarkose ältere oder alte Patienten in Regionalanästhesie sehr sorgfältig überwachen, aber man erspart ihnen die tiefe Bewusstlosigkeit. Regionalanästhesie braucht viel Erfahrung. Sie umfasst mehr, als zum Beispiel bei einer Schulteroperation Katheter am Hals zu legen. Bei Bauchoperationen wird es allerdings mit einer Regionalanästhesie schwieriger. Aber gerade typische Operationen im Alter, wie Kniegelenksersatz, Hüftfraktur, Schulterfraktur oder Oberarmfraktur, lassen sich sehr gut mit modernen Regionalanästhesie-Verfahren durchführen. So werden geschätzt etwa 30 bis 40 Prozent der Allgemeinanästhesie gespart.

Anästhesisten stellen sich auf ältere Patienten ein. Das gelingt bei geplanten Operationen natürlich besser als bei Notfalleingriffen. Aber auch hier gilt: Sicherheit geht bei einem Notfalleingriff vor. Hier stellt sich die Frage der Nüchternheit. Sind diese Patienten bei einem Notfalleingriff nüchtern? Man muss vermeiden, dass es während der Narkose-Einleitung zum Erbrechen kommt, denn schlimmstenfalls könnte das Erbrochene in die Lunge gelangen. Hier bedarf es eines guten Notfallmanagements. Der Kreislauf muss bei Notfalloperationen besonders sorgfältig überwachen werden. Auch bei einer Notfallsituation muss ein kurzes Vorbereitungsgespräch geführt werden. Auch da gilt es, Ängste zu nehmen. Diese Patienten machen sich in der Regel allerdings weniger Gedanken über die Narkose als jemand, der vier Wochen auf seine Hüft-OP wartet.

Auch wenn Vollnarkosen grundsätzlich keine Gefahr darstellen, bleibt ein Risiko, vor allem nach längeren Herz-OPs, die im höheren Alter eine extrem belastend sind: das Delir, eine vorübergehende geistige Einschränkung nach einer Narkose, eine Störung des Denkens und der Wahrnehmung. Die Betroffenen sind verwirrt und halluzinieren. Es gibt verschiedene Ansätze, Delir abzumildern oder zu verhindern: durch bestimmte Narkosemittel, die man verändert, durch eine frühzeitige Mobilisierung und rasche Orientierung. Aber man hat es bis heute noch nicht geschafft, ein Delir vollkommen zu verhindern, auch, wenn dazu bereits viel Forschung betrieben worden ist. In jedem Fall muss ein Delir medikamentös behandelt werden, was zudem den Aufenthalt im Krankenhaus verlängert.

Ursache von Delir

Intensivmediziner und Anästhesisten wissen um dieses Erkrankungsbild. Man vermutet, dass der Auslöser eines Delirs ein komplexer Mechanismus im Körper ist. Vereinfacht erklärt: Die Operation oder die Herz-Lungen-Maschine löst eine akute Veränderung von bestimmten Blutbild-Parametern aus. Man spricht dabei von einer Inflammation. Bestimmte Bestandteile im Blut, die eigentlich eine schwere Infektion abwehren sollen, steigen an. Denn: Aufgrund des großen Stresses durch Operation und Herz-Kreislauf-Maschine entstehen erhöhte Stresshormone. Die werden über das Blut ins Gehirn transportiert und sorgen dort für ein "Durcheinander". Das kann nach ein paar Tagen wieder weg sein. Es kann aber auch zwei, drei, vier Wochen dauern.

Auch der Patient selbst kann seinen Beitrag für eine gute Vorbereitung auf eine Vollnarkose leisten. Dazu gehört auch, im Gespräch mit dem Anästhesisten vor der Operation ehrlich zu sein, seinen wirklichen Zustand zu erklären, nichts zu verheimlichen – vor allem keine Beschwerden oder Vorerkrankungen. Zum Beispiel: Kann der Patient noch Treppen steigen? Was schafft er noch alles im Haushalt? Der Anästhesist hört bei der Vorbereitung nicht nur das Herz ab und misst den Blutdruck. Um den Patienten bestmöglich auf die Vollnarkose vorzubereiten, muss der Arzt alles wissen. Dazu gehört auch, bestehende Ängste anzusprechen.

Nach der Operation

Auch eine gute Nachsorge nach dem Eingriff ist wichtig, so Prof. Bein. Dazu gehöre, sich unter Umständen Hilfe für Zuhause zu holen.

"Das sind die drei wesentlichen Aspekte: gute Vorbereitung, gutes Gespräch und gute Nachsorge. Das kann der Patient ein bisschen mit beeinflussen, dass er darauf achtet." Anästhesist Professor Thomas Bein vom Universitätsklinikum Regensburg.

Die Moderne Anästhesie besteht aus verschiedenen Klassen von Medikamenten. Da gibt es einerseits Medikamente, die man über die Infusionsnadel direkt in die Venen gibt und andererseits die sogenannten Narkosegase, die über den Atemschlauch in die Lunge kommen, dort von der Blutbahn aufgenommen werden und teilweise wieder ins Atmungsgerät zurückgehen und zum Teil aber auch vom Patienten ausgeschieden werden. Damit gelangen Narkosegase in die Atmosphäre. Dort haben sie einen Effekt, den man bisher unterschätzt hatte, der aber durch die Klimadiskussion inzwischen zunehmend in den Fokus gerät.

Lange verkannt: Narkosegase schaden dem Klima

Es sind halogenierte Kohlenwasserstoffe, die letztlich auch einen klimaschädlichen Effekt haben. Wenn man bedenkt, dass viele Millionen Narkosen weltweit jährlich durchgeführt werden, dann summiert sich dieser Effekt und hat tatsächlich einen klimaschädlichen Einfluss. Anästhesisten in Deutschland haben dazu unter dem Dach unseres Berufsverbandes der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin einen Arbeitskreis gegründet, um sich verstärkt wissenschaftlich und klinisch damit zu befassen. Eine der Fragen, der nachgegangen wird, ist: Wie kann man Narkosen klimafreundlicher machen?

Studie: Narkosegase wirken sich unterschiedlich auf Klima aus 

Studienergebnisse zeigen: Die Auswirkungen der Narkosegase sind – je nach Hersteller - extrem unterschiedlich. So hat ein Narkosegas den 20- oder 30-fach höheren klimaschädlichen Effekt als andere Gase. Noch klimaschädlicher ist das berühmte Lachgas: das traditionell alte Narkosegas hat einen hundertfach höheren schädlichen Effekt als andere Narkosegase. Das heißt: Lachgas sollte eigentlich nicht mehr in der klinischen Routine eingesetzt werden, sondern nur diejenigen Narkosegase, die den geringsten Einfluss auf die Klimaveränderung, also den geringsten CO2-Fußabdruck, haben.

Außerdem, so Prof. Bein, müssten Gespräche mit der Industrie geführt werden, um für Narkosemaschinen noch bessere Filter zu entwickeln, die diese Narkosegase herausfiltern. So könnten die Gase dann klimafreundlich entsorgt werden.

Gesundheitssektor verursacht Treibhausgase

Es gibt Berechnungen, wonach der Gesundheitssektor weltweit etwa fünf Prozent an den klimaschädlichen sogenannten Treibhausgasen mit beiträgt.

"Wir müssen unser Verhalten ändern, auch im medizinischen Bereich. Die Klimakrise ist da. Wenn wir denken, wir wollen alles ändern, dann sind auch diese fünf Prozent wichtig." Anästhesist Professor Thomas Bein vom Universitätsklinikum Regensburg.

Der Arbeitskreis von Anästhesisten versucht, Kliniken und Kollegen für klimaschädliche Narkosegase weiter zu sensibilisieren. Dafür wurde eine Akademie gegründet, die dieses Thema für interessierte Anästhesisten als Fortbildungen anbietet.