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Wie die Olympischen Spiele 1972 Stadt und Land verändert haben Fünf Ringe für München

Mit den Olympischen Spielen vor 50 Jahren wurde aus der beschaulichen bayerischen Landeshauptstadt die viel zitierte Weltstadt mit Herz: München erlebte einen Modernisierungsschub sondergleichen und veränderte sein Image grundlegend.

Stand: 13.07.2022 | Archiv

Die Veränderungen, die Olympia 72 über Bayern und München gebracht hat sind nach wie vor sichtbar. Die Landeshauptstadt war schon Ende der 1950er Jahre kräftig unter Druck geraten: Starke Zuwanderung, erhöhter Wohnungsbedarf, dazu die neue Mobilität - die Idee einer autogerechten Stadt. Am Stachus ging es damals buchstäblich zu wie - na ja - am sprichwörtlichen Stachus. Dieses rapide Wachstum verlangte damals nach neuen Infrastrukturmaßnahmen. Es entstand ein Stadtentwicklungsplan mit Perspektiven für die nächsten drei Jahrzehnte. So konnte man nach der erfolgreichen Olympiabewerbung in den sechs Jahren vor 1972 das realisieren, was eigentlich für die kommenden 30 Jahre angedacht war.

"Deutschlands heimliche Hauptstadt" - dynamisch, selbstbewusst und attraktiv. München war damals eine vergleichsweise junge Stadt. Selbst ihr Oberbürgermeister Hans Jochen Vogel war bei seiner Wahl 1960 erst 34 Jahre alt. Angezogen von diesem heiteren Flair des Südens wurden zahlreiche junge Leute aus dem Norden der alten Bundesrepublik. München rockte und rollte.

"Als ich nach München kam, war ich erst mal ganz auf mich gestellt und wohnte in Schwabing in der Feilitzsch-Straße, direkt am Wedekind-Brunnen und über einem Nachtlokal. Und weil ich da abends sowieso nicht schlafen konnte, bin ich dann eben entsprechend oft auch erst selber spät nach Hause gekommen. Also ich habe die Stadt als vibrierend erlebt, dort in dem Viertel mit Live-Musik, noch in mehreren Kneipen. Eine wunderbare Startphase."

Wolfgang Hegels (83), kam 1961 als Student nach München, später Abteilungsleiter im Organisationskomitee

Die Idee mit Olympia kam erst im Oktober 1965 auf. In nur wenigen Wochen waren die Bewerbungsunterlagen ausgearbeitet und beim Olympischen Komitee eingereicht. Vier Monate später die Entscheidung in Rom: München setzte sich durch gegen die Bewerbungen aus Detroit, Madrid und Montreal. Die Arbeit konnte also beginnen. Auf dem Oberwiesenfeld im Norden der Stadt sollten neue Sportstätten entstehen. Zentrumsnah und doch im Grünen!

Bau der Wettkampfstätten im Olympiapark, August 1971

Die Folgen waren heftig und in der ganzen Stadt zu spüren: Baulärm, aufgerissene Straßen, kilometerlange Staus. Kein Wunder, dass viele Münchnerinnen und Münchner nicht glücklich waren über die Olympia-Entscheidung. Denn mit der bayerischen Ruhe war's spätestens seit 1967 vorbei. Nicht nur draußen auf dem Oberwiesenfeld, wo ja nur der alte Flughafen und die Schuttberge aus dem Bombenkrieg waren. "München wird moderner", steht im Mai 1969 auf städtischen Plakaten. Für viele eher eine Drohung. Sie fürchten um ihre alte Residenzstadt, protestieren heftig gegen den Bau eines Altstadtrings. "Ein Kulturverbrechen", schimpfen damals bereits Münchner Zeitungen. Alte Häuser, Hinterhöfe, Kneipen, ganze Viertel werden saniert, betoniert oder gar eliminiert. Mit ihnen ist auch ein Stück Identität verloren gegangen.

"Olympia bringt das Kapital der ganzen Welt, verteuert die Wohnungen, macht alles teurer und schwerer für die normalen Menschen. Es gibt ja dann auch ein Theaterstück von Franz Xaver Kroetz, das witzigerweise den Titel hat 'Globales Interesse' und genau auf so etwas verweist."

Prof. Dr. Ferdinand Kramer, Institut für Bayerische Geschichte, das die Olympia-Folgen für München und Bayern erforscht

Trotz Demos und Münchner Grant: die Zustimmungswerte für Olympia blieben relativ hoch. Je näher die Spiele rückten, desto größer wurde die Vorfreude darauf. Endlich durfte man sich als liberales, offenes und modernes München, Bayern und Deutschland von aller Welt feiern lassen.

Spielstraße bei den Olympischen Spielen in München 1972

Es ist ein Spagat, der gelingt: Einerseits Bayern, Brauchtum und Folklore, andererseits Hochkultur aus aller Welt. Picasso und Goaßlschnalzer quasi, Stockhausen und Schuhplattler. Gern bodenständig, und stets international. Aber bloß nicht allzu deutsch! Nie wieder Berlin 36, lautet das Motto, das ständig mitschwingt. Kaum jemand hätte diese Distanz zum Nationalsozialismus glaubwürdiger verkörpern können als der Ulmer Grafikdesigner und Gestalter Otl Aicher. Seine Frau Inge war eine Schwester von Hans und Sophie Scholl, den Widerstandskämpfern der Weißen Rose. Otl Aicher selbst hatte als junger Katholik den Eintritt in die HJ verweigert. Er war ein linksliberaler Reformer, der nur so sprühte vor Ideen. Gemeinsam mit dem Münchner Kulturreferenten Herbert Hohenemser scharte Aicher einen Kreis von Leuten um sich, der den Spielen ihr Gesicht gab. Ein heiteres, friedliches, demokratisches Gesicht.

Der gebürtige Osnabrücker Wolfgang Hegels damals 33, war als Student nach München gekommen und im Organisationskomitee der Spiele Leiter einer riesigen Abteilung geworden. Zu seinen Aufgaben gehörte die Einkleidung tausender Sportler und Mitarbeiter ebenso wie die Versorgung der Gäste, die Gestaltung von Programmheften, der Vertrieb von Erinnerungsstücken. Der große Designer Otl Aicher gestaltete alles: Von den Uniformen über die Eintrittskarten bis zur heiter-leichten Farbgebung in Orange, Hellgrün und lichtem Blau.

Es werden Spiele der Superlative. 195 Wettkämpfe, 21 Sportarten, mehr als 7000 Athleten aus 122 Staaten. Dazu noch tausende Sportfunktionäre, Medienvertreter und natürlich Zuschauer aus aller Welt. Während vor den Rundfunk- und Fernsehgeräten in aller Welt Millionen dabei sind. 17 Tage soll dieses globale Medienereignis dauern. An Tag elf aber platzt der Traum vom Friedensfest. Die palästinensische Terrororganisation "Schwarzer September" verübt einen Terroranschlag auf die israelische Olympia-Herrenmannschaft. Der Überfall, die anschließende Geiselnahme und die gescheiterte Geiselbefreiung enden mit der Ermordung von elf Israelis. Auch ein deutscher Polizist wird getötet, ebenso fünf Terroristen. München ist im Schockzustand. Und die Welt ist live mit dabei. Der Traum von den friedlichen, heiteren Spielen ist zum Alptraum geworden. Für einen ganzen Tag sind die Spiele unterbrochen. Doch die Spiele müssen weiter gehen. Und sie gingen weiter. Aber nichts war wie zuvor. Zwischen Traum und Trauma lagen nur wenige Stunden. Stunden, die Wolfgang Hegels sein Leben lang begleiten. Denn, um die Illusion der heiteren Spiele nicht zu gefährden, waren die Sicherheitsvorkehrungen viel zu lax.

"Das ist das bittere Fazit, wir haben unseren Auftrag nicht gut genug erfüllt. Und das plagt mich bis heute. Das plagt mich bis heute, weil ich denke, wir hätten vorher ahnen können, dass dort etwas passiert. Ich mache mir zum Vorwurf, dass wir den Zaun um das Olympiadorf, auf dringenden Wunsch der Architekten, nicht höher gezogen haben. Wir hatten ganz früh das Gefühl, der ist zu niedrig mit 1,60. Da kann man mit Räuberleiter ganz leicht drüber. Und so ist es ja in der Nacht am 5. September auch passiert. Und das lässt sich natürlich nicht mehr gutmachen. Wir hatten alle einen Traum von Olympia und sind dann aus dem Traum bitter aufgeschreckt worden. Und wir hätten nicht träumen dürfen, wir hätten als Verantwortliche - die Älteren vielleicht noch mehr als ich als Jüngerer, aber letztlich wir alle zusammen - wir hätten nicht träumen dürfen, wir hätten realistischer sein müssen. Dann wäre dieses Attentat so nicht passiert. Zumindest hätte es nicht in diesen Dimensionen geendet."

Wolfgang Hegels (83) Abteilungsleiter im Organisationskomitee

Baustelle im Olympiapark mit Bau des Olympischen Dorfes

Im Olympischen Dorf beginnt nach den Spielen ein städtebauliches Experiment. Eine "Stadt in der Stadt" - mit Wohnungen, Bungalows und Einkaufsmöglichkeiten, mit Schulen, Kindergärten, Spielplätzen und Kultureinrichtungen. Die Zufahrtsstraßen verlaufen unterirdisch, die Oberfläche ist autofrei - 40 Hektar Grün, mit einer terrassenförmigen Wohnlandschaft. Heute leben dort mehr als 6000 Menschen. Es ist ein äußerst beliebtes Viertel. Mitten in der Stadt und doch, zumindest bei Föhn, mit Blick auf die Alpen.

"Sehr gute Lebensqualität. Sowohl was das reine Wohnen dort angeht als auch die Tatsache, dass die Leute es hier schätzen, dass sie mit wenigen Schritten im Olympiapark sind. Ich selber gehe, wenn es das Wetter erlaubt, gerne vor dem Frühstück noch mal auf eine Rundtour bis hin zum Olympiapark. Ärger mich jetzt, wo ich ein bisschen älter geworden bin, wenn ich dann von Joggerinnen leichtfüßig überholt werde. Aber damit kann ich mittlerweile ganz gut leben."

Hartmut Sommer (78), 1973 einer der ersten Eigentümer im Olympiadorf

Auch das ein Ergebnis der Spiele im Grünen: Der Breitensport hat enorm profitiert von Olympia 72. Die sogenannte Trimm-Dich-Bewegung kam damals ins Laufen. Und in ganz Bayern wurden zahlreiche neue Schwimmbäder und Turnhallen gebaut. Dazu U-Bahn, S-Bahn, Mittlerer Ring, Fußgängerzone … Ob all die Infrastruktur-Projekte nicht auch ohne Olympia gekommen wären? Vermutlich schon, aber eben nicht so schnell. Mit den beschleunigten Investitionen durch Olympia hat München einen echten Entwicklungsvorsprung gewonnen und war bestens aufgestellt für die kommenden Jahrzehnte.

Und das Ganze für relativ wenig Geld. Denn der Verkauf von Olympia-Münzen, Medienrechten, Plakaten und Maskottchen spülte unerwartet hohe Einnahmen in die Kassen der öffentlichen Hand. Mit gut 600 Millionen D-Mark lagen die Kosten am Ende nur knapp über der ursprünglich veranschlagten Summe von 500 Millionen Mark. Kein schlechtes Geschäft also, wenn man bedenkt, was die Stadt München und der Freistaat Bayern dafür bekommen haben.


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