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Husten, Kopfweh, Depression Die Anwendungsgebiete der Phytotherapie

Die Phytotherapie arbeitet nicht mit Wundermitteln, sondern mit Heilpflanzen aus der Natur. Es gibt dafür klare Erfahrungswerte. Somit weiß der gut ausgebildete Arzt, wo der Einsatz von Phytotherapie Sinn macht und wo ihre Grenzen liegen.

Von: Klaus Schneider

Stand: 26.07.2021

Teeutensilien, Foto: Karl Holzhauser, (c)MEV Verlag GmbH_Aktuelles_Foto-Archiv_Volume_117/41_52/ 09.04.2012 | Bild: MEV/Karl Holzhauser

Galenik

Unter Galenik versteht man die Herstellung von Arzneimitteln und die daraus resultierende Darreichungsform. In der Phytotherapie gibt es beispielsweise Saft, Tinktur, Extrakt, Infus (= Tee), Dekokt (= Auskochung), Mazerat (= Kaltauszug).

Die Anwendungsgebiete der Phytotherapie sind vielfältig. Pflanzen und Pflanzenextrakte können dabei gleichwertig chemische Substanzen ersetzen.

Hier einige Beispiele zur Veranschaulichung:

Beispiel: trockener, produktiver Husten, Bronchitis

Normalerweise werden hier Stoffe wie Codein, Bromhexin, Ambroxol gegeben – chemisch definierte Substanzen, die zum Teil auf das Zentralhirn wirksam sind und deshalb auch u.a. müde machen. In der Phytotherapie hingegen kennt man bei trockenem, produktivem Husten Eibisch, Spitzwegerich, Huflattichblätter und Thymian. Diese Präparate können tatsächlich gleichwertig eingesetzt werden.

Beispiel: klimakterische Beschwerden (Wechseljahresbeschwerden)

Üblicherweise verschreiben Ärzte Östrogene oder Gestagene gegen Wechseljahrbeschwerden wie Hitzewallungen und Schlafstörungen. Doch viele Patientinnen wollen das nicht mehr, denn Studien haben gezeigt, dass diese Substanzen Krebs und Thrombosen verursachen können. Die Phytotherapie kennt hier die Traubensilberkerze oder den Sibirischen Rhabarber – sie können gleichwertig eingesetzt werden. Die Wirkweise dieser Pflanzen ist ebenfalls durch Studien belegt.

Beispiel: gutartige Prostatavergrößerung

Bei der gutartigen Prostatavergrößerung werden vom Urologen normalerweise chemisch-synthetische Substanzen wie Alpha-Rezeptorenblocker (Tamsulosin) und Alpha-Reduktasehemmer (Finasterid) verordnet. Studien zeigen allerdings, dass im Stadium eins und zwei - also bei vor allem irritativen Symptomen in der Prostata - eine Behandlung mit der Sägepalme oder einem Brennesselwurzelextrakt gleichwertige Ergebnisse erzielt.

Beispiel: Depression

Depressionen nehmen zu. Dementsprechend werden immer mehr moderne Präparate an Antidepressiva verschrieben. Genauso wirksam sind jedoch Johanniskrautextrakte, was Metaanalysen bestätigen. Gleichzeitig sind die Nebenwirkungen hier deutlich geringer.

Grenzen der Phytotherapie

Die Pflanzen der Phytotherapie sind keine Allheilmittel. Die Wirkweise der Pflanzen ist gut erforscht und klar umrissen – dementsprechend sind auch die Grenzen der Phytotherapie klar gesteckt. Sie gehen aus den Zulassungen hervor, die die pflanzlichen Arzneimittel haben. Bei der gutartigen Prostatavergrößerung kann die Phytotherapie zum Beispiel dann nicht mehr helfen, sobald stärkere Obstruktionen vorhanden sind, z.B. Verlegungen der Harnwege. Auch bei der schweren Depression ist die Phytotherapie überfordert.

Phytotherapie bei Krebs

Entsprechend neuerer Studien nutzen mehr als 60 Prozent der onkologischen Patienten Mistelpräparate. Rudolf Steiner empfahl die Mistel, die über Jahrhunderte primär für andere Anwendungsgebiete genutzt wurde in den 20-er Jahren des letzten Jahrhunderts erstmals für die Behandlung maligner Tumoren. Man unterscheidet bei der Mistel zwischen Inhaltsstoff-standardisierten und Prozess-standardisierten Präparaten. Während letztere – die "klassischen" anthroposophischen Präparate – alle Mistelinhaltstoffe in erheblicher, aber von Präparat zu Präparat unterschiedlicher Menge enthalten, bestehen erstere, soweit es sich um die "modernen" phytotherapeutischen Mistelpräparate handelt, fast ausschließlich aus dem normierten Inhaltsstoff, also dem Mistellektin. Einige wenige Studien deuten auf eine Verbesserung der Lebensqualität, auf eine mögliche Verlängerung der durchschnittlichen Überlebenszeit und eine verringerte Rezidiv- und Metastasierungsrate hin.

Zusammenfassend kann die Mistelanwendung in der Hand des damit erfahrenen Arztes ohne nennenswertes Risiko ernsthafter Nebenwirkungen die Lebensqualität verbessern und die Überlebenszeit erhöhen.

Nebenwirkungen bei pflanzlichen Arzneimitteln

Bei pflanzlichen Stoffen sind die Nebenwirkungen deutlich geringer als bei chemisch-synthetischen Substanzen. Der Grund: Bei chemisch-synthetischen Substanzen, beispielsweise Acetylsalicylsäure bei Kopfschmerzen, gibt es nur einen Wirkstoff, der auf Enzyme wirkt, die die Schmerzen beeinflussen. Eine Unverträglichkeit gegen diesen Stoff macht sich dadurch sofort bemerkbar. Bei Pflanzen hingegen wirkt eine Vielzahl von Stoffen. Denn in einer einzigen Pflanze stecken 15 bis 20 verschiedene Inhaltsstoffe, von denen alle über verschiedene Wirkmechanismen funktionieren, beispielsweise antientzündlich.

Beispiel: Weidenrinde

Die Weidenrinde hilft gegen Schmerzen. Darin sind jedoch nur zum Teil Stoffe enthalten, die antientzündlich wirken. Andere Stoffe wirken auf die Gerinnung, wiederum andere auf Rezeptoren. Diese verschiedenen Wirkmechanismen sorgen dafür, dass sich eventuelle Nebenwirkungen eines Pflanzenextrakts bildlich gesprochen auf verschiedene Schultern verteilen und dadurch auch nicht so stark ausgebildet sind. In der Summe ist die Wirkung der Einzelwirkstoffe in einer Pflanze jedoch stark. Die Medizin spricht hier von Pleiotropie.

Wechselwirkungen möglich

Dennoch können auch pflanzliche Arzneimittel Neben- und Wechselwirkungen haben. So hatte eine Patientin nach einer Nierentransplantation 15 Jahre lang keine Probleme. Plötzlich wurden ihre Nierenwerte jedoch schlecht. Der Transplanteur musste davon ausgehen, dass der Körper der Patientin die fremde Niere abstieß. Tatsächlich hatte die Patientin auf eigene Faust Johanniskrautextrakt aus der Apotheke eingenommen. Was sie nicht wusste: Johanniskrautextrakt kann bestimmte chemisch definierte Arzneimittel in ihrer Wirksamkeit abschwächen.

Wichtig: Phytotherapie nicht auf eigene Faust!

Deshalb sollte man nicht einfach in die Apotheke laufen und zu Arzneimitteltees greifen. Zwar haben längst nicht alle Mediziner umfassende Kenntnisse über die Phytotherapie. Seit 2004 ist diese jedoch für alle Medizinstudenten Prüfungsgegenstand im Rahmen einer Pflichtvorlesung. Gerade die jüngere Generation von Ärzten weiß also um die Wirksamkeit von pflanzlichen Arzneimitteln.

Wer zahlt Phytotherapeutika?

Verordnungsfähigkeit von Phytopharmaka: Wer auf chemisch definierte Substanzen lieber verzichtet, muss dafür leider in der Regel selbst aufkommen. Denn nur rezeptpflichtige Arzneimittel sind verordnungsfähig. In Deutschland ist die Verschreibungspflicht jedoch vom Risiko abhängig, das mit der Anwendung des Arzneimittels verbunden ist. Da Phytopharmaka in der Regel risikoarm sind, sind sie auch nicht verschreibungspflichtig und damit auch nicht durch die gesetzliche Krankenkasse erstattungsfähig. Das macht es für Arzneimittelhersteller weniger attraktiv, Phytopharmaka tatsächlich auch als Arznei zulassen zu lassen. Viele Präparate sind deshalb in den Nahrungsergänzungssektor oder in den Bereich der Medizinprodukte oder Diätetische Substanzen abgewandert, womit für Ärzte jedoch die Qualität beziehungsweise die Unbedenklichkeit nur noch bedingt gegeben ist.

Weniger Pflanzenmittel

Während 1976 noch 78.000 Phytopharmaka auf dem Markt waren, sind es im Moment nur noch etwa 1.550 pflanzliche Mono- und Kombipräparate, auf die Ärzte zurückgreifen können. Die dadurch entstandenen Indikationslücken werden besonders von der Ärzteschaft, die täglich die Naturheilverfahren in der Praxis anwenden, beklagt. Sie fordern Nachbesserungen vom Bundesamt für Gesundheit.


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