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Fotoatelier Elvira in München Eine Keimzelle der Frauenbewegung in Deutschland

Es stand mit am Anfang der Frauenbewegung in München: Das 1887 gegründete Atelier Elvira von Augspurg und Sophia Goudstikker. Anfangs viel geschmäht, fand sich das Liebespaar bald in der Mitte der Münchner Gesellschaft wieder und mischten mit, wenn es um eine freie, selbstbestimmte Zukunft für Frauen ging.

Von: Sarah Khosh-Amoz

Stand: 07.03.2024 | Archiv

Verheiratete Frauen mochte sie nicht, Hausarbeit war ihr zuwider, das Höhere-Töchter-Dasein, das man mit Stricken, Sticken, Musizieren und schöngeistiger Literatur verbrachte, war für die 1857 geborene Anita Augspurg wie "verbannt zu sein, in die Enge des Hauses, um allen Familienmitgliedern zu dienen, allen Ausbeutungsobjekt für nichtige Dinge zu sein."

Sie wollte ihr Elternhaus in Niedersachen so bald wie möglich verlassen, offiziell für eine Ausbildung zur Lehrerin in Berlin. Heimlich absolvierte sie dort zusätzlich eine Schauspielausbildung und sollte in ganz Europa auf Theaterbühnen unterwegs sein. Als sie in Dresden ihre Schwester Amalie besucht, die dort an einer Malschule lehrt, trifft Anita Augspurg auf eine Gleichgesinnte, erzählt Ingvild Richardsen, Literaturwissenschaftlerin und Kulturhistorikerin.

"In dieser Malschule hat Anita Augspurg Sophia Goudstikker kennengelernt. Sophia war damals 21, Anita 28. Ja, und Sophia Goudstikker war eine Holländerin. Sie wurde in Rotterdam geboren in die damals noch nicht so bekannte Familie Goudstikker, die heute eine der bekanntesten Kunst- und Anitquitätenhändlerfamilien Europas ist."

Ingvild Richardsen

Sophia Goudstikker

Beide sind sofort auf einer Wellenlänge, verlieben sich ineinander, wollen künstlerisch aktiv sein und finanziell eigenständig. Sie fassen einen Plan: Sie wollen nicht nur zusammenleben, sondern auch gemeinsam als Unternehmerinnen arbeiten: Die Fotografie war in den 1880er Jahren ein relativ junger Kunstzweig. Dazu ein Beruf, der viele Menschen anzog, die nach einer Herausforderung suchten. Und: Gegenüber Frauen gab es im fotografischen Gewerbe keine traditionellen Schranken, zumal es noch keine festgelegten Ausbildungsvorschriften gab.

"Ab nach München!"

Die Idee des Fotoateliers Elvira war geboren, benannt nach der Prinzessin Elvira von Bayern. Wo also sollten Anita und Sophia ihr Fotoatelier gründen, wenn nicht in München? Die Wahl erklärte Anita Augspurg später so: "Von allen Großstädten erschien München als die geistig freieste, wenigstens vorurteilfreieste Stadt; sie war schön gelegen, künstlerisch von höchster Bedeutung, und es bestanden manche Beziehungen zu ausgezeichneten Persönlichkeiten, zu Theater- und Malerkreisen."

"Ab nach München!" hieß es im In- und Ausland. Man war damals davon überzeugt, dass der Aufbruch des "neuen Menschen", der Aufbruch in die "Moderne" nur hier erfolgen würde. Tatsächlich lebten um 1900 in der Maxvorstadt und in Schwabing die bekanntesten Künstlerinnen und Künstler, Schriftsteller und Schriftstellerinnen und Frauenrechtlerinnen des Deutschen Reiches.

"Da haben sie ganz gezielt erst mal zur Untermiete gewohnt, haben sich ausbilden lassen bei einem sehr bekannten Fotografenatelier damals, sechs Monate lang. Danach haben sie in der Von der Tann-Straße, wo heute das US-amerikanische Generalkonsulat ist, ihr Atelier eröffnet. Spezialität: Kinderaufnahmen."

Ingvild Richardsen

Kontaktabzüge aus dem Atelier Elvira

Ein Skandal! Insbesondere die Neuigkeit der weiblichen Leitung sorgte für großes Aufsehen. Um was für Frauen es sich bei den beiden Fotografinnen tatsächlich handelt, muss sich rasch herumgesprochen haben: Sie trugen ihre Haare kurz: "Tituskopf" nannte man den modischen Kurzhaarschnitt, sie zogen Männerkleidung an oder Reformkleider, rauchten, ritten auf Pferden durch den Englischen Garten, fuhren Fahrrad und lebten ihre lesbische Partnerschaft authentisch und offen. Absolut unüblich und selbst für das liberale München ein Novum.

"Ich bin fürwahr kein Feind der holden Frauen, soweit sie rund sind, nett und appetitlich. Nur eines gibt es, was ich wirklich hasse: Das ist der Volksversammlungsrednerinnen, der Zielbewussten tintenfrohen Klasse. Sie taugen nichts im Haus, nichts im Bette."

Ludwig Thoma

So schrieb es Ludwig Thoma, Redakteur im politisch progressiven Satireblatt "Simplicissimus". Mit seiner männlichen Häme und den spezifischen Rollenerwartungen stand er nicht allein da. Zahlreiche Karikaturen und Schmähgedichte beschäftigten sich mit dem Kampf um weibliche Rechte, deren Aktivistinnen man immer wieder unterstellte, einfach keinen Mann gefunden zu haben. Als "Krönung" eines Frauenlebens galt nun mal die Heirat.

Während es anfänglich eher Skandalcharakter hat, sich oder seine Kinder von diesen beiden unkonventionellen Frauen fotografieren zu lassen, wendet sich das Blatt schnell ins Gegenteil, denn durch die guten Kontakte von Anita Augspurg zur deutschen Theaterszene tummeln sich bald Schauspieler und Opernsänger vor ihren Kameras und verleihen dem Atelier eine Aura von Glamour. Ein Besuch im Elvira gilt als äußerst modern und angesagt. Als sich später auch noch die bayerische Königsfamilie im Elvira ablichten lässt, ist das Renommee des Ateliers endgültig gesichert.

"Die gesamte Creme de la Creme der Frauenrechtlerinnen in Deutschland hat sich in München im Atelier Elvira fotografieren lassen und das Atelier Elvira, das ist mein Fazit nach all meinen Forschungen, war die Keimzelle der deutschen Frauenbewegung.

Sie haben damals schon gekämpft für Gleichstellung, Gleichberechtigung, gleiche Bezahlung, für Selbstverwirklichung."

Ingvild Richardsen

Für Anita Augspurg war klar: Ohne sich um das Recht der Frauen zu kümmern wird sich nie etwas im Deutschen Reich ändern. Sie geht nach Zürich, um dort Jura zu studieren. In der Schweiz war das möglich, in Deutschland sollte es noch Jahre dauern, bis Frauen zum Studium zugelassen werden. "Dann hat sie das tatsächlich geschafft, noch vor Rosa Luxemburg, die war schon vor ihr da, promoviert zu sein", sagt Richardsen. Das war 1897.

1886 war es, als die damals 28-jährige Anita und die 21-jährige Sophia von Dresden nach München zogen, sie fingen bei null an. Zwölf Jahre später ist die eine die erste promovierte Juristin im Deutschen Reich und die andere die berühmteste Fotografin. Eine Leistung, die ihresgleichen sucht und die vollste Anerkennung verdient, betont Ingvild Richardsen.

"Sowas progressives ist mir eigentlich bis heute nicht mehr begegnet wie diese zwei Frauen, vor allen Dingen mit diesem Mut, anderen zu helfen und sich einzusetzen, dass sich die Gesellschaft wirklich verändert. Ihr eigenes Leben dafür zu geben. Tragisch finde ich, dass sie selber noch erlebt haben, wie das alles den Bach runtergegangen ist."

Ingvild Richardsen

Anita Augspurg in ihrem Münchner Wohnhaus

Für die Nationalsozialisten ist das Atelier Elvira mit seiner einzigartigen Jugendstil-Fassade nichts anderes als Entartete Kunst. Der Jugenstildrache musste auf Anordnung der Nationalsozialisten herausgehauen werden, die Löcher wurden ausgefüllt und das lila-grüne Haus sollte unauffällig gestrichen werden. Da jedoch der neue Putz eine andere Saugfähigkeit hatte als der alte, schimmerte der Drache viele Jahre als geisterhafter Silhouette an der Fassade durch.

Im April 1944 zerstörte ein Fliegerangriff das Atelier völlig. Die einstige Keimzelle der Frauenbewegung in München ist ausgelöscht und damit auch der größte Teil der Erinnerung an sie. Bis heute sucht man vergeblich nach einer würdigenden Erinnerungstafel. Einzig der Sophia-Goudstikker-Park, die Anita-Augspurg-Allee und -Straße erinnern in München an die einmaligen, berühmten Gründerinnen des Hof-Ateliers Elvira, die für Frauen heute so viel möglich gemacht haben.


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